
Unzulässige Abschalteinrichtung Beim Audi-Skandal droht Verjährung
Stand: 08.10.2019 06:00 Uhr
Schon vor einem Jahr kündigte das Kraftfahrt-Bundesamt nach BR-Informationen gegenüber Audi den Rückruf manipulierter Euro-4-Dieselautos an. Doch passiert ist bis heute nichts. Mögliche Ansprüche auf Schadenersatz drohen zu verjähren.
Von Josef Streule und Lisa Wreschniok, BR
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) prüft den Fall mittlerweile seit fast vier Jahren. Bereits im Dezember 2015 konfrontierten Beamte Audi-Manager bei einem Treffen mit dem Vorwurf, in älteren Euro-4-Dieselfahrzeugen mit größeren 2,7 und 3,0 Liter-Motoren sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut.
Dieselskandal bei Audi: Ansprüche auf Schadensersatz möglicherweise verjährt
mittagsmagazin, 08.10.2019
Das geht aus einem Protokoll des Treffens hervor, das BR Recherche vorliegt. "Dies wird von Audi vehement bestritten", heißt es in dem Protokoll weiter. Es ging um die sogenannte Akustikfunktion. Diese wurde bei Audi entwickelt, angeblich um beim damals neuen V6-Dieselmotor unangenehme Geräusche, häufig beschrieben als "Nageln", zu vermindern. Audi argumentierte, die Akustikfunktion "dient rein dazu, den Motor beziehungsweise die Keramikglühkerzen des Motors zu schützen." Zudem bestand Audi darauf, dass die Funktion "keinerlei Zyklus-oder Prüfstandserkennung" habe.
Audi informierte nicht korrekt
Doch Audi informierte die Behörde nicht korrekt, wie interne Dokumente zeigen. Im Juni 2016 kam der Arbeitskreis Diesel des Audi-Aufsichtsrats zusammen. In dem Sitzungsprotokoll, überschrieben mit "Vertraulich!", heißt es wörtlich, dass "die von Audi gegenüber dem KBA (…) abgegebene Darstellung zur Akustikfunktion unzutreffend" sei.
Es wird beschrieben, dass die Akustikfunktion auf dem Prüfstand den Stickoxid-Ausstoß vermindert. Auf der Straße stoßen die Fahrzeuge mehr gefährliche Stickoxide aus. Explizit ist von einer "Testerkennung" die Rede. Doch statt die Behörde umgehend zu informieren, mahnt ein Mitglied des Aufsichtsrates "das Aufklärungs- und Unternehmensinteresse abzuwägen".
Audi will sich auf BR-Anfrage nicht dazu äußern, da es sich "um ein laufendes Verfahren des KBA handelt."
"Als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft"
Erst im Mai 2017, fast eineinhalb Jahre nach dem ersten Verdacht, gab das Kraftfahrt-Bundesamt ein Gutachten in Auftrag. Motorexperte Georg Wachtmeister von der TU München, soll prüfen, ob die "Audi-Akustikfunktion" unzulässig ist. Das Gutachten liegt BR Recherche und dem Transparenzportal "Frag den Staat" vor.
Darin kommt der Motorexperte zu folgendem Urteil: "Eine Anwendung von Bauteil- bzw. Motorschutz ist mit den von Audi vorgebrachten Argumenten nicht gegeben. Damit wird in Fällen der Grenzwertüberschreitung die Akustikfunktion als unerlaubte Abschalteinrichtung eingestuft."
Statt aktiv zu werden, ließ das Kraftfahrt-Bundesamt wieder ein Jahr verstreichen. Im Juli 2018 hielt die Behörde in einem internen Vermerk fest: "Die Akustikfunktion wird als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft." Laut dem Vermerk geht das KBA damals von rund 150.000 Diesel-Autos der Baujahre 2003 bis 2010 von Audi und VW mit der unzulässigen Abschalteinrichtung aus. Inzwischen dürften es weniger sein.
Ein weiterer Aufschub
Im September 2018 teilte dann das Kraftfahrt-Bundesamt Audi schriftlich mit: Es sei beabsichtigt, einen Rückruf-Bescheid zu erlassen. Wörtlich heißt es in dem Schreiben, das BR Recherche vorliegt: "Alle betroffenen produzierten Fahrzeuge sind umzurüsten." Der Autobauer bekam Gelegenheit, bis zum 27.9.2018 Stellung zu nehmen. Doch die ließ der Autobauer verstreichen, ohne Konsequenzen. Das KBA gewährte den Ingolstädtern offenbar weiter Aufschub. Zurückgerufen hat das KBA die Fahrzeuge bis heute nicht.
Auf BR-Anfrage antwortet das übergeordnete Bundesverkehrsministerium: "Die Messungen des KBA und die Bewertung der Ergebnisse dieser Messungen sind noch nicht in Gänze abgeschlossen."
"Untätigkeit ist skandalös"
Der Darmstädter Jurist Martin Führ, der auch Gutachter im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags war, kritisiert die Untätigkeit der Behörde scharf: "Ich finde das, gelinde gesagt, sehr erstaunlich, dass es immer noch nicht zu einem Eingreifen der Behörde gekommen ist. Wenn man bedenkt, dass es hier um den Schutz von Leben und Gesundheit geht, dann wäre unverzügliches Handeln geboten."
Schadenersatzansprüche drohen zu verjähren
Für Autofahrer, die ihren Euro-4-Audi vor 2010 erworben haben, ist die verschleppte Klärung des Falls ärgerlich. Verbraucheranwälte befürchten, Schadenersatzansprüche könnten nach zehn Jahren verjähren. "Das Kraftfahrt-Bundesamt hat hier eine Steilvorlage geliefert, dadurch, dass sie in den letzten Jahren nicht aktiv geworden sind. Audi wird sich in den Verfahren sicher darauf berufen, dass das Ganze so lange her ist, dass Ansprüche verjährt sind", meint der Münchner Anwalt Thorsten Krause, der zahlreiche Dieselfahrer vertritt.
Audio
Aus dem Archiv
Weitere Meldungen aus dem Archiv vom 08.10.2019 und vom 07.10.2019
- Alle Meldungen vom 08.10.2019 zeigen
- Alle Meldungen vom 07.10.2019 zeigen