
Afghanistan-Untersuchungsausschuss Aufarbeitung verzögert sich weiter
Mit einer groß angelegten Aufklärungsoffensive wollte die Koalition den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr beleuchten. Doch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag verzögert sich weiter.
Die Bilder gingen um die Welt: Menschen fielen von Flugzeugen, zehntausende Afghaninnen und Afghanen versuchten fluchtartig ihr Land zu verlassen - die Bundeswehr im Dauereinsatz. Mit dem gescheiterten militärischen Afghanistan-Einsatz sollte sich auch das Parlament befassen, so steht es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Doch der Beginn der Aufklärungsarbeit verzögert sich abermals. Wie WDR und NDR erfuhren, ist die Einsetzung des Untersuchungsausschusses durch den Bundestag inzwischen für frühestens Ende Mai geplant. Ursprünglich sollte der Ausschuss spätestens Ende März eingesetzt werden.
Hintergrund für die Verzögerung sind unter anderem Wünsche aus dem Auswärtigen Amt. Das Ministerium unter Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat angesichts der derzeitigen Ukraine-Krise die Koalitionsfraktionen um mehr Zeit für die Vorbereitung eines Untersuchungsausschusses gebeten. Derzeit sind die Diplomaten umfassend mit der Reaktion auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine befasst. In Afghanistan kommt es unterdessen zu weiteren Menschenrechtseinschränkungen durch die Taliban. So dürfen etwa Mädchen ab der sechsten Klasse nicht mehr die Schule besuchen, Frauen dürfen nicht mehr alleine mit dem Flugzeug reisen. Tausende Menschen, die eine Aufnahmezusage aus Deutschland haben, befinden sich nach wie vor weiterhin in Afghanistan.
Noch keine Einigung mit der Union
Doch die Gründe für die Verzögerung bei der Aufarbeitung sind auch im Parlament zu suchen. Zwar hatten sich die Koalitionsfraktionen aus SPD, Grünen und FDP bereits Ende Februar auf einen gemeinsamen Antragsentwurf verständigt. In dem Papier, das WDR und NDR vorliegt, heißt es, die Koalition wolle untersuchen lassen, "wie es zu den Lageeinschätzungen und Entscheidungen von Vertretern von Bundesbehörden rund um den Abzug der Bundeswehr und die Evakuierung" von Botschaftspersonal, Staatsbürgern und afghanischen Ortskräften gekommen ist.
Auch soll der Untersuchungsausschuss aufklären, ab wann in der Bundesregierung "eigene Erkenntnisse sowie Hinweise und Informationen über den Abzug der verbündeten Streitkräfte und Diplomaten vorlagen". Der Aspekt hatte öffentlich für Empörung gesorgt, weil die damalige Bundesregierung von den Geschehnissen im August rund um den Fall Kabuls offenbar überrascht worden war. Monate zuvor hatten das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und das Bundesinnenministerium allerdings bereits darum gerungen, etwa afghanische Ortskräfte der Bundeswehr nach Deutschland einreisen lassen zu können.
Doch um den Ausschuss auch einsetzen zu können, soll nun noch die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion eingeholt werden. Dies ist noch nicht geschehen, wird aber in Koalitionskreisen für nötig befunden. Andernfalls könnte die Union theoretisch mit einer eigenen Abstimmung einen eigenen Untersuchungsausschuss erzwingen. Das gilt zwar als unwahrscheinlich, allerdings geht es auch um politische Fragen: So hatte die Union in der Vergangenheit immer wieder auf die Versäumnisse des Auswärtigen Amtes unter damaliger Führung von SPD-Politiker Heiko Maas hingewiesen. Bei den Sozialdemokraten schimpfte man dagegen stets über die schlechte Vorbereitung durch die unionsgeführten Verteidigungs- und Innenministerien. Um den Streit nicht zu eskalieren, ist es der Koalition wichtig, einen gemeinsamen Untersuchungsbeschluss mit CDU und CSU herbeizuführen und sich auf einen gemeinsamen Arbeitsrahmen zu verständigen.
Vorsitzende stehen fest
Ein weiterer Grund für den verspäteten Arbeitsbeginn: Zeitgleich mit dem Untersuchungsausschuss soll im Bundestag auch eine sogenannte Enquete-Kommission eingesetzt werden. Diese soll der Frage nach Einsatzstrategien grundlegender nachgehen und Lehren aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr erarbeiten ebenso Konsequenzen für die Ausrichtung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Allerdings stockt es in der Koalition auch hier. Ein abgestimmter Entwurf dazu liegt offenbar noch nicht vor.
Fest steht unterdessen bereits, wer auf Seiten der SPD den Afghanistan-Untersuchungsausschuss leiten soll: Der schleswig-holsteinische Sozialdemokrat Ralf Stegner. Die Enquete-Kommission soll ebenfalls unter Leitung eines SPD-Politikers stehen: dem früheren Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD). Der war bei der letzten Bundestagswahl ins Parlament eingezogen und betätigt sich dort nun als Außenpolitiker. Sowohl Stegner als auch Müller sind erfahrene Parteipolitiker, aber keine ausgewiesenen Außen- oder Sicherheitsexperten. Beide Namen gelten in der SPD dennoch als gesetzt.
Umfassende Absichten, fehlende Abstimmung
Mit diesem umfassenden Ansatz könnte die Afghanistan-Aufklärung damit zum Paradefall einer breiten gesellschaftlichen Aufarbeitung zivil-militärischer Auslandseinsätze werden, denn noch an einer weiteren Stelle sollen Experten unabhängig ermitteln, welche zivilen Maßnahmen der Bundesregierung in Afghanistan sinnvoll waren - und welche nicht. Mit einer solchen Untersuchung hatte noch die alte Bundesregierung kurz vor der Bundestagswahl im Herbst letzten Jahres unter anderem das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit, Deval, beauftragt.
Im Parlament hatte das teils für Irritationen gesorgt, Abgeordnete hatten die Mittelvergabe kritisiert. Andererseits könnte die zivile Überprüfung auch Vorteile bringen: Wenn nämlich die Evaluierungsarbeit der geschulten Experten auch in die parlamentarische Aufarbeitung einfließen würde. Dazu gibt es bislang nach Informationen von WDR und NDR allerdings keinerlei Pläne im Parlament.
Hilfe mit Bedingungen
Unterdessen ist die humanitäre Lage in Afghanistan desaströs. Die Vereinten Nationen warnen weiterhin vor einer Hungerkatastrophe. 95 Prozent der afghanischen Bevölkerung können sich nach Angaben der Welthungerhilfe nicht mehr ausreichend ernähren. Auch deshalb findet an diesem Donnerstag eine internationale Geberkonferenz statt, die unter anderem von Deutschland mitorganisiert wird.
Die Herausforderung dabei: Die humanitäre Not der Menschen rasch zu lindern, ohne dabei zu eng mit den Taliban zusammen zu arbeiten. Die hatten sich wiederholt nicht an Bedingungen gehalten. So hatte Deutschland bereits mehrere hundert Millionen Euro Soforthilfe angekündigt und dies teils an Bedingungen geknüpft - etwa dass die Mädchenschulen im Land ab der sechsten Klasse wieder geöffnet werden müssten. Das war in der vergangenen Woche dann durch die Taliban-Führung verhindert worden.