Zwei Jahre NSU-Komplex Das Netzwerk bleibt im Dunkeln

Stand: 04.11.2013 05:30 Uhr

Vor zwei Jahren starben die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Eisenach. Erst da erkannten Polizei und Öffentlichkeit, dass die sogenannten "Döner-Morde" eine rassistische Terrorserie waren. Viele Fragen sind bis heute offen.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Banküberfälle, Bombenanschläge, Morde - das Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) traf die Öffentlichkeit im November 2011 unvorbereitet. Bis dahin hieß es in der Wissenschaft, in den Medien, in der Politik und vor allem von Seiten des Geheimdienstes, rechtsterroristische Strukturen existierten nicht in Deutschland. Eine fatale Fehleinschätzung.

Die Aufarbeitung der Terrorserie dauert bis heute an: Mehrere Untersuchungsausschüsse versuchten, Licht ins Dunkel zu bringen. Seit einem halben Jahr stehen zudem Beate Zschäpe, Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und drei weitere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München.

Zschäpes Schweigen

Ein historisches Verfahren, denn niemals zuvor waren so viele Nebenkläger vor Gericht vertreten. Die Anwälte der Opferfamilien wollen Antworten auf die vielen offenen Fragen im NSU-Komplex finden. Doch dies erscheint kaum möglich, so lange die Angeklagte Zschäpe weiter schweigt.

Ihr beharrliches Schweigen erscheint irritierend, wenn man - wie die Ermittlungsbehörden es tun - davon ausgeht, dass der NSU lediglich aus drei Personen bestand. Dies bezweifeln Beobachter jedoch.

Der vierte Mann?

Hinweise auf mindestens eine weitere Person, die zum engsten Kreis der Rechtsterroristen gezählt werden kann, ergeben sich beispielsweise aus dem Bekennervideo des NSU: Darin brüsten sich die Täter mit ihren Morden und erzählen den Ablauf ihrer Anschläge und der Ermittlungen verkürzt nach. Es werden Sequenzen gezeigt, in denen eine unbekannte Person die Täter im Bau von Bomben unterrichtet und bei der Planung unterstützt. Bis heute ist unklar, woher die NSU-Terroristen ihr Wissen zum Bau von Rohrbomben erhalten haben.

Zudem werden in dem Video vier Köpfe rund um den Schriftzug NSU gezeigt. In internen Ermittlungsakten heißt es dazu: "An dieser Stelle würden auch weniger Köpfe eine symmetrische Darstellung ermöglichen, so dass die Wahl von vier Köpfen an zwei Stellen des Films auch als Hinweis auf die zahlenmäßige Zusammensetzung des NSU sein könnte."

Weitere Indizien sprechen für mindestens eine weitere Person, die zum NSU gezählt werden müsste. Denn wie hatte Zschäpe überhaupt vom Tod ihrer Mitstreiter Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 erfahren? Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet.

"Ein Netzwerk von Kameraden"

Zudem texteten die Neonazis in ihrem Bekennervideo: "Der nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden." Dies könnte zwar eine typische Prahlerei von Neonazis sein, gleichzeitig spricht vieles für ein tatsächlich existierendes Netzwerk: Etwa die Versorgung der Neonazis im Untergrund sowie das Auskundschaften der Tatorte in Hamburg, Dortmund, Kassel, München, Nürnberg, Rostock, München, Köln und Heilbronn.

Ist es wirklich plausibel, dass gesuchte Neonazis von Zwickau aus wochenlang durch Deutschland reisen und Ziele beobachten, die in Vierteln liegen, in denen viele Migranten leben? Hilfsmittel wie Google Street View existierten noch nicht, als die Neonazis ihre Anschläge planten. Für die These, dass Zschäpe einen oder mehrere Komplizen deckt, spricht auch ein Briefwechsel, den sie mit einem Neonazi aus Dortmund geführt hat.

Unklar bleibt weiterhin auch, welche Rolle die V-Leute - Neonazis, die Informationen an den Staat verkaufen - im NSU-Komplex spielten. Obwohl die Terrorzelle praktisch von V-Leuten umringt war, blieben die Neonazis unentdeckt. Auch die Rolle eines Verfassungsschutzmitarbeiters, der beim Mord in Kassel am Tatort war, sorgt immer wieder für Spekulationen. Trotz des NSU-Desasters wird weiter an dem umstrittenen V-Mann-System festgehalten.

Empfehlungen sollen realisiert werden

Union und SPD einigten sich aber darauf, in einer Großen Koalition die Empfehlungen des Bundestags-Untersuchungsausschusses komplett umsetzen. Opfer rassistischer Gewalt sollen künftig besser geschützt werden. Dies soll erreicht werden, indem beispielsweise mehr Menschen aus Zuwandererfamilien bei Polizei und Verfassungsschutz arbeiten. Der Fall des NSU soll Bestandteil der Polizeiausbildung werden. Ziel sei ein Mentalitätswechsel bei den Ermittlern, "der sie in die Lage versetzt, rassistische Gewalttaten früher zu erkennen und richtig einzuordnen und die Menschen davor besser zu schützen".

Die Aufarbeitung dauert also an, die Untersuchungsausschüsse in Thüringen und Sachsen tagen weiter, in Baden-Württemberg hat unter anderem der DGB erst Ende September ebenfalls ein solches Gremium gefordert. Auch der NSU-Prozess vor dem OLG München wird noch viele Monate dauern. Ob aber alle Fragen im NSU-Komplex jemals beantwortet werden, bleibt ungewiss.