Interview

Pro Bahn kritisiert geheime DB-Verspätungsstatistik "Ein Staatsgeheimnis eines Staatsbetriebs"

Stand: 22.10.2015 12:25 Uhr

Der Winter zeigt der Deutschen Bahn ihre Grenzen in Puncto Pünktlichkeit: Laut einer internen Statistik soll im Dezember zeitweise nur jeder fünfte Zug im Zeitplan gewesen sein. Und auch im übrigen Jahr war die Bahn unpünktlich. Wie sehr, das bleibt Betriebsgeheimnis - sehr zum Ärger von Pro Bahn. Im Interview mit tagesschau.de fordert der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbands, Karl-Peter Naumann, die Daten öffentlich zu machen.

tagesschau.de: Im Herbst 2007 hat die Stiftung Warentest die Ankunftszeiten von fast 90.000 Zügen der Deutschen Bahn überprüft. Insgesamt fuhren damals viel zu wenige Züge exakt nach Fahrplan. Vor allem die Fernzüge schnitten schlecht ab: "Rund vier von zehn Fernzügen kommen zu spät", hieß es in dem Testbericht. Hat sich bis 2010 daran etwas geändert?

Karl-Peter Naumann: Dazu liegen uns keine exakten Daten vor. Die Zahlen sind offenbar ein Staatsgeheimnis eines großen Staatsbetriebs. Gefühlt hat es sich zwischendurch etwas verbessert. Gerade im Spätsommer und im Frühherbst 2010 war ein Großteil der Züge nahezu pünktlich. Das wurde erst mit dem Wintereinbruch deutlich schlechter.

Zur Person

Seit 1996 ist Karl-Peter Naumann Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn.

Bund soll das Betriebsgeheimnis brechen

tagesschau.de: Die genauen Zahlen sind also ein "Betriebsgeheimnis" der Deutschen Bahn. Wie beurteilen Sie das?

Naumann: Wenn es denn wirklich einen Wettbewerbsmarkt gäbe, dann könnte ich das noch verstehen. Aber solange die Bahn im Fernverkehr ein Monopol hat und auch im Nahverkehr der große Anbieter ist, kann das eigentlich nicht sein. Hier ist sicherlich auch der Bund als Eigentümer gefragt, dafür zu sorgen, dass diese Zahlen veröffentlicht werden.

tagesschau.de: Auf Nachfrage wollte sich die Bahn heute nicht zur Verspätungsstatistik äußern. Im Internet wirbt sie mit "90 Prozent Pünktlichkeit".

Naumann: Nun, diese Zahl mag unter Umständen stimmen. Wenn ich aber meinen Blick zum Beispiel nach Japan wende und feststelle, dass dort Pünktlichkeitsgrade von 99 Prozent erreicht werden, dann relativiert sich meine Freude über die 90 Prozent doch erheblich.

"Einzelfälle sind schwer in einer Statistik auszudrücken"

tagesschau.de: "Pünktlich wie die Eisenbahn" hieß es früher - und galt als Lob. Heute hören Sie sicher mehr Beschwerden wegen Verspätungen?

Naumann: Insgesamt hören wir mehr von verpassten Anschlüssen als von Einzelverspätungen. Doch genau hier stellt sich die Frage, wie man einen solchen verpassten Anschluss in einer Verspätungsstatistik wertet. Ein Beispiel: Ein ICE ist zehn Minuten zu spät und der Regionalexpress am Umsteigebahnhof wartet nicht, fährt pünktlich ab. Dann werden nur die zehn Minuten ICE-Verspätung erfasst. Der Fahrgast aber kommt in der Regel eine Stunde später ans Ziel, weil er auf den nächsten Zug warten muss. Solche Einzelfälle sind schwer in einer Statistik auszudrücken.

Aber immerhin gilt für die anteilige Fahrpreiserstattung bei Verspätungen die reale Verspätung am Zielbahnhof. Und die kann bis zu fünf Tagen nach einer Zugreise bei der Deutschen Bahn geltend gemacht werden.

Das Interview führte Karl-Felix Scheele für tagesschau.de.