Moral-Experte sieht Vertrauen in Wulff beschädigt Die ganze Wahrheit muss auf den Tisch

Stand: 21.12.2011 15:24 Uhr

Lügen, Fehlentscheidungen, vergessener Anstand - die Gründe für den Rücktritt eines Politikers sind vielfältig, ihr Umgang mit Vorwürfen auch. Im Fall Wulff sieht der Moral-Experte Erlinger das Vertrauen beschädigt. Um es wieder herzustellen, bedürfe es der ganzen Wahrheit, sagte er in der ARD.

Lügen, Betrug, falsche Worte, Fehlentscheidungen, vergessener Anstand - die Gründe für den Rücktritt eines Politikers sind vielfältig - ihr Umgang mit den meist zuvor geäußerten Vorwürfen auch, wie folgende Beispiele zeigen.

Bei Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg war die gern genutzte Salamitaktik kein Erfolgsrezept. So musste er letztlich doch einräumen, seine Doktorarbeit zum großen Teil abgeschrieben zu haben. Er zog die Konsequenz, trat ab - vorerst, wie er selber sagte. Für einen Paukenschlag sorgte 2010 Bundespräsident Horst Köhler, als er völlig überraschend sein Amt hinschmiss. Ob ihn der Berliner Politikbetrieb zermürbte oder die Opposition zu viel Kritik übte - die genauen Hintergründe blieben bis heute unklar.

Ganz anders dagegen agierte die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Sie trotzte allen Rücktrittsforderungen, als ihr im Sommer 2009 der Dienstwagen im Urlaub geklaut worden war. Dabei musste sie nur einen dienstlichen Termin während der Ferien in Spanien wahrnehmen. "Das ist schon Pech", hieß es damals nur vom CSU-Politiker Horst Seehofer.

"Mit erhobenem Haupt und geraden Rückgrat" nahm im Jahr 2002 Verteidigungsminister Rudolf Scharping vom Amt Abschied. Nach zahllosen Patzern konnte ihn der damalige Kanzler Gerhard Schröder nicht länger halten. Während deutsche Soldaten nach Mazedonien zogen, ließ er beispielsweise sein Liebesleben in der Boulevardpresse ablichten und machte sich einen Namen als "Planschminister". ARD-Korrespondent Axel John fasst die Fälle im folgenden Video zusammen.

Müssen Politiker bessere Menschen sein?

Aktuell geht es um Bundespräsident Christian Wulff. Viele Fragen stellen sich im Zusammenhang mit dem Darlehen für sein Haus: Hat er juristisch einwandfrei gehandelt? Ist sein Verhalten moralisch verwerflich? Entsprechen seine Angaben der Wahrheit.? Warum kommen täglich neue Details heraus? Wie glaubwürdig ist Wulff? Ist das Amt des Bundespräsidenten beschädigt?

Der Publizist Rainer Erlinger schreibt seit Jahren über das Thema Moral. Er sagte im ARD-Morgenmagazin: "Politiker müssen auf keinen Fall bessere Menschen sein." Aber Politiker seien in ein Amt gewählt worden und "für diese Amtswahrnehmung gelten andere Maßstäbe": So habe der Politiker durch sein Amt sehr viel Macht und müsse aufpassen, diese nicht mit der Wirtschaft, bestimmten Personen oder Privatem zu vermengen.

Als weiteren Aspekt nannte Erlinger, dass die Politiker das Land und den Staat gegenüber den Bürgern repräsentiert. Und sollte der Bürger den Eindruck haben, dass da etwas nicht stimme, dann steige die Staatsverdrossenheit. Erlinger befürchtet, dass dies im Fall Wulff auch zutrifft. "Hier entsteht schon das Gefühl oder der Verdacht, na vielleicht war da doch irgendetwas." Allein die Möglichkeit einer Vermengung sieht Erlinger als Problem. Politiker müssten schon den Anschein vermeiden, sagte im ARD-Morgenmagazin (siehe Video).

In Frankreich nur eine Kurzmeldung - in Großbritannien keine Chance

Über die Vorwürfe gegen Wulff berichten ausländischen Medien sehr unterschiedlich. Der "Kurier" in Österreich schreibt beispielsweise: "Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff wird zurücktreten müssen."

In Frankreich sei der Fall kaum eine Schlagzeile wert, denn mit Politiker-Affären gingen die Franzosen anders um, berichtet ARD-Korrespondentin Ellen Ehni. Zuletzt erwischt hatte es Ex-Präsident Jaques Chirac. Er wurde erst vor wenigen Tagen wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel und illegaler Parteienfinanzierung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ein Zeichen dafür, dass in Frankreich nicht mehr alles toleriert wird.

Doch die Kontaktpflege zu Wirtschaftsbossen besteht nach wie vor. Direkt nach seiner Wahl ließ sich Präsident Nicolas Sarkozy auf die Yacht eines französischen Milliardärs einladen. Alles in allem ging es um Kosten von bis zu 200.000 Euro. Die Unterkunft bei einer Reise mit seiner Frau Carla Bruni nach Ägypten sollen Scheichs bezahlt haben. "Soll etwa der Steuerzahler für meine Reisen aufkommen", fragte Sarkozy?

Ganz anders in Großbritannien: Hätte Deutschland die aggressive Presselandschaft des Königreichs, hätte Wulff schon längst den Rücktritt antreten müssen und nicht mehr den Hauch einer Chance, berichtet ARD-Korrespondentin Annette Dittert im nächsten Video. Der britische Premier David Cameron sah sich zwar auch schon einigen "Angriffe" ausgesetzt, überstand diese aber, weil er nicht irgendetwas sagte, was er hinterher wieder zurücknehmen musste.

Wahrheit für Vertrauen

Mit Blick auf die unterschiedliche Bewertung von Politikerverhalten in Frankreich und Großbritannien begrüßte der Publizist Erlinger die Trennung zwischen Politik und Wirtschaft sowie Privatem, die in Deutschland gepflegt wird.

Im Gegensatz beispielsweise zum britischen Premier habe der deutsche Bundespräsident aber nur seine moralische Autorität und deswegen werde er auch mit schärferen moralischen Maßstäben gemessen. Der Umgang mit der gesamten Wahrheit und das Nachvornegehen sei das Sinnvollste, um Vertrauen wieder herzustellen, sagte Erlinger, wie das Video zeigt.