
Geplante WhatsApp-Überwachung Der Staat wird zum Hacker
SMS überwachen erlaubt, WhatsApp aber nicht? Das will die Große Koalition nun ändern. Experten warnen jedoch: Dafür wären massive Eingriffe in die Smartphones nötig, mit denen deutlich mehr Inhalte überwacht werden könnten.
SMS-Nachrichten von Verdächtigen dürfen deutsche Fahnder mitlesen. WhatsApp-Nachrichten aber häufig nicht. Bislang ist umstritten, ob dies nach derzeitiger Rechtslage erlaubt ist oder nicht. Da Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram immer populärer werden, müssten die Ermittler auch dort mitlesen dürfen, fordert die Bundesregierung. Heute wollen Union und SPD entsprechende Gesetzesänderungen verabschieden.
Das Besondere bei Messenger-Diensten: Die Kommunikation ist durch eine Verschlüsselung geschützt. Um die Nachrichten mitlesen zu können, müssen die Ermittler heimlich eine Software auf das Handy des Verdächtigen laden. In der Fachsprache: "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" oder "Quellen-TKÜ".
Kritiker sagen: Damit begibt sich der Staat auf gefährliches Terrain. Er wird zum Hacker. Vereinfacht ausgedrückt funktioniert die Quellen-TKÜ so: Die bereits getippte WhatsApp-Nachricht soll kurz vor dem Abschicken "ausgeleitet" werden. Soll heißen: Die Ermittler bekommen - kurz vor der Verschlüsselung - eine Kopie davon.
Tiefer Eingriff ins System
Die Frage ist nur: Woher wissen die Ermittler denn, wann der Verdächtige zum Handy greift, welchen der Messenger-Dienste er öffnet und wann genau er eine Nachricht schreibt? Woher wissen die Ermittler, wie lang die Nachricht sein wird und zu welchem Zeitpunkt genau der Verdächtige die Nachricht abschickt? Gibt es eine Software, die den so genannten "auslösenden Moment" kennt und nur dann aktiv ist? Die Antwort des IT-Experten Linus Neumann vom Chaos Computer Club: nein. Das habe sich in einem ähnlichen Fall - beim Staatstrojaner des BKA 2011 - gezeigt.
Um herauszufinden, wann der Verdächtige eine E-Mail-Nachricht verfasst, wurden damals in kurzen Abständen Fotos vom Computer-Bildschirm gemacht. Ergo: Der Verdächtige wurde nicht nur in seiner E-Mail-Kommunikation beobachtet, sondern auch bei allen anderen Dingen, die er am Computer machte. Jetzt müssen sich die Ermittler noch mehr einfallen lassen, denn seit 2011 hat sich einiges getan. Bei neuen Smartphones gibt es inzwischen sehr viel bessere Sicherheitstechniken als damals. So wollen die Hersteller verhindern, dass ein Programm auf Inhalte eines anderen Programms zugreifen kann.
Wenn nun also deutsche Ermittler auf WhatsApp-Kommunikation von Verdächtigen zugreifen wollen, dann müssen sie diese hochmodernen Schutzmechanismen erst einmal außer Kraft setzen. Das heißt: Die Fahnder müssen sehr tief in das System eingreifen. Nach Ansicht des Chaos Computer Clubs überschreiten sie damit die Voraussetzungen, die für diese Art der Kommunikationsüberwachung gelten.
Kein Kontakt mit der Datenschutzbeauftragten
Union und SPD hätten all diese heiklen Fragen mit der Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung besprechen können. Das wollten sie aber nicht. Das zuständige Ministerium, das Bundesjustizministerium, habe Andrea Voßhoff über die geplante Änderung erst gar nicht informiert, heißt es von der Datenschutzbeauftragten. "Angesichts der erheblichen datenschutzrechtlichen und verfassungsschutzrechtlichen Bedeutung des Vorhabens ist dies nicht nachvollziehbar", ärgert sich Voßhoff.
Künftig könnten nicht nur aktuelle Mails, Messenger-Nachrichten oder Internet-Telefonate während des Sendevorgangs abgehört werden, so Voßhoff. Ermittler könnten auch "rückwirkend gespeicherte Mails und SMS, archivierte WhatsApp-Nachrichten und Anruflisten des Mobiltelefons auslesen. Selbst in der Cloud gespeicherte Daten wären betroffen", heißt es in einer Stellungnahme Voßhoffs.
Besonders schwerer Eingriff in die Grundrechte
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürften die Ermittler bei der Quellen-TKÜ aber nur die sogenannte "laufende Kommunikation" in den Blick nehmen, erläutert Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, gegenüber der ARD. Gemeint ist das Abfischen von Nachrichten, die gerade gesendet oder empfangen werden. Da das nun geplante Gesetz vorsehe, das Smartphone auch nach früherer Kommunikation durchsuchen zu können, gehe der Gesetzgeber zu weit.
Das Argument von IT-Experten und Datenschützern: Was die Regierung derzeit plant, ist keine Quellen-TKÜ mehr, sondern eher eine Online-Durchsuchung, bei der das infiltrierte Gerät komplett durchsucht werden darf. Allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht die rechtlichen Hürden dafür sehr hoch angesetzt. Schließlich handelt es sich um einen besonders schweren Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen.
Überwachung auch in anderen Bereichen wichtig
Trotz aller Kritik - die Bundesregierung hat auch Unterstützter für ihr Vorhaben. Gerade im Bereich der Organisierten Kriminalität sowie der schweren Betäubungsmittelkriminalität sei eine nachhaltige und effektive Verbrechensbekämpfung ohne die Telekommunikation nicht vorstellbar, heißt es in einer Stellungnahme von Oberstaatsanwalt Alfred Huber. Er hatte sich als Sachverständiger im Bundestag für die Gesetzesänderungen ausgesprochen. Da immer mehr Messenger-Dienste eine verschlüsselte Kommunikation anböten, sei damit zu rechnen, dass die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung nicht mehr ausreiche. Dem könne man wirksam begegnen, indem man die verschlüsselte Kommunikation für die Ermittlungsbehörden zugängliche mache.
Sollten die Gesetzesänderungen kommen, wird es wohl Klagen geben. Am Ende dürfte dann das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden.