
Jahresbericht des Wehrbeauftragten Nicht mal ein Bett für jeden Soldaten
Stand: 28.01.2020 12:37 Uhr
Die Sorgen der Soldaten sind sein Hauptanliegen. Heute hat der Wehrbeauftragte ihre größten Probleme vorgestellt. Fazit: Es herrscht immer noch ein großer Mangel.
Von Birgit Schmeitzner, ARD-Hauptstadtstudio
Zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie - so beschreibt der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, in seinem Bericht das, was die Soldaten in ihrem Alltag wahrnehmen. Die Probleme seien bekannt, die nötigen Trendwenden zur Modernisierung der Bundeswehr in den Bereichen Material, Personal und Finanzen seien eingeleitet. Allein bei den Soldaten komme kaum etwas an. Wenn jetzt nicht etwas passiere, wenn es keine innere Reform der Bundeswehr gebe, drohen laut Bartels die Trendwenden zu scheitern. Die Vorschläge der Soldaten lägen vor, müssten jetzt aber auch umgesetzt werden.
Jahresbericht des Wehrbeauftragten listet erhebliche Mängel bei der Bundeswehr
tagesschau 20:00 Uhr, 28.01.2020, Ariane Reimers, ARD Berlin
Klagen der Soldaten
In dem rund hundert Seiten langen Bericht nennt Bartels Beispiele: Das gängige Rucksackmodell sei häufig defekt und passe nicht zum Hüfttragsystem. In manchen Unterkünften blühe der Schimmel an den Wänden, fehlten die Türschlösser. Es sei ein Trugschluss zu glauben, jedem Soldaten stünden in der Kaserne ein Bett und ein Spind zur Verfügung. Am Marinestützpunkt Eckernförde warte man seit nunmehr zwei Jahren darauf, dass bereits genehmigte Container aufgestellt werden. Der Grund: Personalengpässe. Für die Übergabe eine Radpanzers beim Jägerbataillon 1 in Schwarzenborn gebe es 70 Anlageblätter - das bedeute einen halben Tag Arbeit und extra dafür abgestelltes Personal.
Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter der Bundesregierung, über die Klagen der Soldaten
tagesschau24 15:00 Uhr, 28.01.2020
Viele Stellen nicht besetzt
Laut Bartels prägen an vielen Standorten Personallücken den Alltag. Oft seien die technischen Bereiche betroffen, es fehle demnach an Fernmelde- und Luftfahrzeugtechnikern. Die Artillerie sei unterbesetzt, es gebe zu wenig Piloten für den Transporthubschrauber NH90 und im Zentralen Sanitätsdienst fehlten Fachärzte. Auch im neuen Bereich Cyber habe die Bundeswehr Schwierigkeiten, das nötige hochspezialisierte Personal zu bekommen.
Bei den Hauptwaffensystemen - Kampffahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen, Hubschraubern - kommt Bartels zu dem Schluss: Die Bundeswehr sei immer noch weit davon entfernt, für ihre Aufgaben wirklich gerüstet zu sein. Bestes Beispiel dafür sei der neue Schützenpanzer Puma, er stehe "für den Kummer der Truppe mit dem anscheinend unbeherrschbar gewordenen Rüstungsprozess". Bereits ausgelieferte Panzer müssten für viel Geld nachgerüstet werden, um überhaupt einsetzbar zu sein. Und an Ersatzteilen mangele es nach wie vor. Das Ausbilden und Üben sei deshalb nur "mit erheblichsten Einschränkungen" möglich.
Kernproblem: Die Beschaffung
Vieles liegt laut Bartels am "schleppenden" Beschaffungswesen. Dabei liege es nicht am Personal, sondern an den Strukturen im Amt. Dazu kämen dann noch Defizite bei der Industrie, etwa beim Know-How. Da sei Vertrauen verloren gegangen. Der Wehrbeauftragte wünscht sich einen "mutigen Paradigmenwechsel". Weg von der Vorgabe, nicht mehr alles umständlich definieren, ausschreiben, testen, zertifizieren zu müssen, um es dann über 15 Jahre einzuführen.
Einen Teil "von der Stange kaufen"
Bartels schwebt ein dualer Beschaffungsweg vor: Den Großteil der Ausrüstung - vom Rucksack bis zum leichten Verbindungshubschrauber - könne man doch nach dem "Ikea-Prinzip" beschaffen: aussuchen, bezahlen, mitnehmen. Nur für das obere Ende der Ausrüstung, vom neuen Kampfpanzer bis zur Raketenabwehr, würde man dann die passgenaue "Designer-Lösung" wählen. Ein solches zweigleisiges System, schreibt Bartels, könnte "Zeit, Geld und Personal sparen, die Vollausstattung beschleunigen und die Nerven der Soldatinnen und Soldaten schonen".
Es gibt auch Lichtblicke
Bartels nennt in seinem Wehrbericht aber auch Dinge, die besser laufen. Im vergangenen Jahr habe es gesetzliche Verbesserungen für die Soldaten gegeben, die Auslandsbesoldung sei höher geworden, einige Zulagen wurden ebenfalls erhöht, andere neu geschaffen. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Stellen in der Bundeswehr, um Missstände aufzuklären, laufe gut. Und: Die Zahl der Eingaben, die die Soldaten machen, gehe insgesamt zurück. Nach Einschätzung von Bartels könnte das ein Zeichen dafür sein, dass so manche Unsicherheiten aus der Vergangenheit "Geschichte sind".
Hilfe für traumatisierte Soldaten
Ein Problemfeld mit Licht und Schatten sind einsatzbedingte psychische Erkrankungen. Im vergangenen Jahr gab es 290 neue Fälle. Bartels begrüßt, dass es neue Behandlungsformen für PTBS, also posttraumatische Belastungsstörungen, gebe. Er mahnt aber auch, mehr an Vorsorge zu denken. Und sich zuverlässig an die Regel zu halten, dass zwischen zwei Auslandseinsätzen fünf Monate in Deutschland liegen müssen, damit sich die Soldaten wieder ins normale Leben integrieren können. Diese Regel werde wegen Personalmangels immer wieder gebrochen.
Für den Wehrbericht 2019 wurden 3835 Vorgänge erfasst. Der größte Teil - 2459 Vorgänge - sind Eingaben von Soldaten oder deren Angehörigen. Dazu kommen 809 sogenannte meldepflichtige Ereignisse, dabei geht es etwa um sexuelle Übergriffe, Mobbing und Fälle von Extremismus. 45 Soldaten wurden wegen extremistischer Verfehlungen vorzeitig entlassen. Einer der Betroffenen hatte gesagt: "Alle Juden müssten vergast werden." Ein anderer zeigte den verbotenen Hitler-Gruß. Weitere Vorgänge wurden nach Truppenbesuchen und Presseberichten angelegt oder gehen auf allgemeine Anfragen von Privatpersonen zurück.
Wehrbeauftragter Bartels stellt neuen Jahresbericht vor
Birgit Schmeitzner, ARD Berlin
28.01.2020 12:25 Uhr
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