
Bürgerschaftswahl in Hamburg Nur keine Aufregung, bitte!
Stand: 21.02.2020 13:04 Uhr
Erst dachten alle, die Bürgerschaftswahl in Hamburg sei nur eine unbedeutende Abstimmung mit wenig Aussagekraft. Aber nach den Ereignissen in Thüringen und dem Richtungsstreit in der CDU wird sie zum Stimmungstest.
Von Jan Liebold, NDR
So ein Wahlkampf im Winter kann ganz schön anstrengend sein, aber der Erste Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Peter Tschentscher lächelt die Müdigkeit einfach weg. Es ist irgendwann Mitte Februar, und er, der Mann mit Auftrag, ist wieder unterwegs auf einer seiner unzähligen Touren durch die Hamburger Stadtteile.
Tschentscher muss die Wahl gewinnen. Denn alles andere als der Sieg in Hamburg, dem sozialdemokratischen Kernland, wäre eine Katastrophe für die gebeutelte SPD. Und Tschentscher gibt alles: "Wahlprogramme schreiben sie alle", ruft er dem Publikum zu. "Aber ist das glaubwürdig? An den Taten muss man ja Leute erkennen. Und glaubwürdig ist nur die SPD."
Jan Liebold, NDR, zum Wahlkampf-Endspurt in Hamburg
tagesschau24 11:00 Uhr, 21.02.2020
Visionärin gegen Pragmatiker
In den Umfragen hat sich die Partei in den letzten Wochen stetig verbessert, zuletzt sahen sie die Wahlforscher im HamburgTrend der tagesthemen bei 38 Prozent ganz vorn in der Wählergunst, deutlich vor den Grünen, die mit 23 Prozent auf dem zweiten Platz stehen. Dabei schien es im Januar noch so, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Parteien geben könnte, ein packendes Duell zwischen SPD-Kandidat Tschentscher und der grünen Spitzenkandidatin Katharina Fegebank.
Fegebank inszenierte sich als visionäres Gegenmodell zu "Pragmatiker" Tschentscher, dem seit seiner Zeit als Hamburger Finanzsenator noch immer das Image des detailversessenen Tüftlers anhaftet. Es brauche aber auch mal die großen Linien, hielt Fegebank im Wahlkampf stets dagegen. Und forderte die klimaneutrale Stadt bis 2035, die unter anderem mit weniger Autoverkehr und härteren Umweltschutzauflagen im Hafen Realität werden soll.
Hamburg im Wahlkampf vor der Bürgerschaftswahl am 23.Februar
tagesthemen 22:15 Uhr, 13.02.2020, Jan Liebold, NDR
Staatstragende Genossen
Die Hamburger Sozialdemokraten präsentierten sich im Wahlkampf dagegen als wohlwollende Unterstützer der Wirtschaft und behutsame Erneuerer der Stadt. Allerdings wurde die Partei in der vergangenen Woche von Berichten über den mutmaßlichen Verzicht der Hamburger Finanzverwaltung auf 47 Millionen Euro gegenüber einer Hamburger Privatbank im Jahr 2016 überrascht.
Die Bank hatte die Summe offenbar im Rahmen sogenannter "Cum-Ex"-Geschäfte zunächst zu Unrecht vom Fiskus erhalten. Nun stellt die Opposition die Frage, ob der SPD-geführte Senat damals bewusst entschied, auf eine Rückforderung zu verzichten. Aber Peter Tschentscher, damals der zuständige Finanzsenator, bestreitet jede politische Einflussnahme. Die Behörden hätten nach "Recht und Gesetz" gehandelt.
Wie sich das Thema auf ihr Wahlergebnis niederschlägt, werden die Genossen erst am Sonntag sehen. Grundsätzlich aber sprachen sie im Wahlkampf viel lieber über die Zukunft als über die Vergangenheit. Denn Hamburg ist auf Wachstumskurs, und die SPD findet, das hat vor allem mit ihr zu tun. Neben Konzepten gegen Wohnraummangel und zunehmendes Verkehrschaos ging es in den vergangenen Wochen auch um die Themen Bildung und Wissenschaft.
Ein Ersatzkandidat müht sich
Und die Hamburger CDU träumte, dass ihre Stadt irgendwann Berlin überholen könne als Top-Standort für Startups und Tech-Firmen. Aber für Spitzenkandidat Marcus Weinberg war es im Wahlkampf nicht einfach, mit seinen Konzepten durchzudringen. Schwer nur konnte er sich vom Image des Ersatzmanns lösen, nachdem seine Partei zunächst die ehemalige niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan als Spitzenkandidatin nominiert hatte. Wegen einer Erkrankung musste sie aber absagen.
Weinberg kämpfte seitdem pflichtbewusst, aber seine Partei hat traditionell einen schweren Stand in Großstädten wie Hamburg. Und die Richtungskämpfe in der Bundes-CDU nach dem angekündigten Rücktritt der Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer waren eine weitere Bürde. Nun geht die Furcht um in der Partei, dass am Sonntag in Hamburg so wenig Menschen wie noch nie die CDU wählen könnten. Obwohl die Partei auch schon 2015, bei der letzten Bürgerschaftswahl, mit knapp 16 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis einfuhr.
Kaum Chancen auf "Deutschland-Koalition"
Eine von Weinberg und der Hamburger FDP zwischenzeitlich ins Spiel gebrachte "Deutschland-Koalition" gemeinsam mit den Sozialdemokraten wird damit immer unwahrscheinlicher. Zumal die Liberalen bangen müssen, ob sie es überhaupt noch einmal in die Bürgerschaft schaffen. In der letzten ARD-Umfrage standen sie bei fünf Prozent. Dabei hatte sich Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels nach der Wahl ihres Parteikollegen Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD schnell distanziert. Und bei der letzten Bürgerschaftssitzung vor der Wahl am 12. Februar entschuldigte sie sich sogar im Parlament für ihre eigene Partei.
Bleibt alles, wie es ist?
Nach den turbulenten Ereignissen der letzten Wochen in Thüringen und Berlin ist der Wunsch nach Normalität spürbar bei den Hamburger Parteien. Außer an den politischen Rändern vielleicht, bei der AfD, die gewohnt krawallig Wahlkampf machte und versuchte, sich als Autofahrer-Partei zu profilieren in Gegnerschaft zu den Grünen. Oder bei der Linkspartei, die im Wahlkampf stark auf Sozialthemen setzte.
Aber vor allem die seit 2015 gemeinsam in Hamburg regierenden Sozialdemokraten und Grünen beteuern immer wieder, wie wichtig geordnete Verhältnisse seien für die Stadt. Nach der Wahl sei ein neues rot-grünes Bündnis "naheliegend", sagt Tschentscher. Und Fegebank findet, dass diese Koalition ein echter "Stabilitätsanker" wäre. Immerhin sei eine klare Zwei-Parteien-Mehrheit in Hamburg ja noch möglich, im Gegensatz zu anderen Bundesländern.
Kurz vor der Wahl scheint sich die Grüne zwar damit abgefunden zu haben, dass es vermutlich erstmal nichts wird mit ihrem Plan, Hamburgs Erste Bürgermeisterin zu stellen. Aber gestärkt wird ihre Partei vermutlich trotzdem aus der Wahl hervorgehen. Und die Hamburger SPD braucht die Grünen, um nach einem möglichen Wahlsieg schnell einen regierungsfähigen Senat zu präsentieren.
Persönlich wird Tschentscher und Fegebank übrigens ein entspanntes Verhältnis nachgesagt. Auch wenn sie beim Wahl-Duell im NDR-Fernsehen am vergangenen Dienstag die ein oder andere Spitze gegeneinander austeilten. Sollte es am Sonntag zu einer Mehrheit für Rot und Grün reichen, werden sich der Pragmatiker und die Visionärin aber vermutlich schnell arrangieren.
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