Interview

ARD-Experte zur Anschlagswarnung "Minister musste reagieren"

Stand: 17.11.2010 17:04 Uhr

Die Anschlagswarnung der Bundesregierung hat eine neue Qualität, meint Joachim Hagen, Terrorismusexperte des ARD-Hörfunks. Inzwischen gebe es so viele Hinweise auf mögliche Terror-Aktivitäten, dass diese nicht mehr ignoriert werden könnten, sagt er im Gespräch mit tagesschau.de. Die Warnung werde auch die Innenministerkonferenz beeinflussen - aber möglicherweise nur zu einer Diskussion über Placebo-Vorschläge führen.

tagesschau.de: Laut Bundesinnenminister de Maizière gab es in den letzten zwei Wochen konkrete Spuren auf geplante Anschläge in Deutschland. Er sieht "Grund zur Sorge, aber keinen Grund zur Hysterie". Hat eine solche Warnung eine neue Qualität?

Hagen: Ja, diese Ankündigung hat neue Qualität. Angeblich gab es heute sogar eine neue Warnmeldung. Allerdings enthält diese Warnmeldung nichts wirklich Neues. Wenn man in der Geheimdienst-Community und bei den Sicherheitsbehörden nachhört, heißt es, dass das Hintergrundrauschen zu möglichen terroristischen Aktivitäten, das es immer schon gegeben hat, habe inzwischen eine solche Lautstärke erreicht, dass man habe reagieren müssen. Inzwischen gibt es so viele Warnmeldungen, dass man einfach nicht ausschließen kann, dass wirklich etwas dahinter steckt.

tagesschau.de: Welchen Sinn hat eine solche öffentliche Warnung des Ministers?

Hagen: Zum einen will er die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass in Zukunft mehr Polizei  an den Flughäfen und an den Bahnhöfen patrouillieren wird. Sicherlich hängt damit auch zusammen, dass nach den versuchten Paketbomben-Anschlägen aus dem Jemen klar geworden ist, dass auch Deutschland betroffen ist, da eine dieser Bomben auf dem Flughafen Köln/Bonn umgeladen worden sind. Das ist, so hört man, einer der Gründe dafür, dass de Maizière diesmal sehr viel offensiver auftritt.

"Warnung hat nichts mit Paketbomben zu tun"

tageschau.de: Haben die jetzigen Warnungen etwas mit den versuchten Fracht-Bomben-Anschlägen zu tun? Oder haben diese nur die deutschen Sicherheitsbehörden aufgeschreckt?

Hagen: Es hat offenbar nichts miteinander zu tun. Aber die Vorfälle passen in diese ganze Reihe von Warnmeldungen. Und sie sind der Beweis dafür, dass diese Warnmeldungen nicht nur aus der Luft gegriffen sind, sondern dass reale Bedrohungen dahinterstecken können. De Maizière wurde dadurch wirklich aufgeschreckt.

tagesschau.de: De Maizière kündigte Maßnahmen zur "Vorbeugung und Abschreckung" von Anschlägen an. Unter anderem sollen mögliche Anschlagsziele in Deutschland besser geschützt werden. Andere Maßnahmen könnten die Bürger nicht sehen. Was heißt das?

Hagen: Auf den Flughäfen wird nicht nur sichtbar patrouilliert, sondern sicherlich auch hinter den Kulissen genauer kontrolliert. Koffer werden genauer und häufiger durchleuchtet. Natürlich werden auch die Botschaften stärker geschützt als bisher und symbolische Punkte wie Fernsehtürme und Hauptbahnhöfe stärker kontrolliert. Gleichzeitig arbeiten die Sicherheitsdienste noch sehr viel enger zusammen als bisher.

Zur Person

Das Spezialgebiet von Joachim Hagen ist der internationale Terrorismus. Besonders interessiert ihn die Frage, wie die Furcht vor Terror-Anschlägen Deutschland verändert. Zu seinen Themen gehören sowohl der Ausbau der Sicherheitsbehörden als auch die Auswirkungen der verschärften Kontrollen auf die Muslime.

"Es hat einfach niemand damit gerechnet"

tagesschau.de: Dem Transportweg Luftfracht wurde ja bis vor kurzem wenig Aufmerksamkeit in Zusammenhang mit möglichen Anschlägen geschenkt. Gibt es noch andere Bereiche, die trotz aller Anti-Terror-Maßnahmen bisher wenig gesichert sind und zu Einfallstoren für terroristische Angriffen werden könnten?

Hagen: Eines der Ziele der amerikanischen Sicherheitsbehörden ist, dass bis 2013 alle Container durchleuchtet werden müssen, die in die USA kommen. Bisher war es so, dass die Container lediglich auf radioaktive Stoffe gescannt wurden. Jetzt soll das auf andere Stoffe ausgeweitet werden. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Amerikaner das auch durchsetzen werden.

"Möglichkeit, sich als harter Sicherheitspolitiker zu profilieren"

tagesschau.de: In der Vergangenheit haben einige Innenminister in ähnlichen Fällen schnell weitreichende Forderungen nach neuen Sicherheitsmaßnahmen in die Diskussion gebracht, die zumindest plakativ Abhilfe versprachen. Denken wir an die Forderungen nach mehr Videoüberwachung nach den versuchten Anschlägen auf Regionalzüge. Diesmal scheinen die Minister nicht so schnell Lösungen parat zu haben.

Hagen: Das fängt jetzt gerade an. In Hamburg findet jetzt die Innenministerkonferenz statt, und Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann bringt dort Vorschläge für eine neue Anti-Terror-Strategie vor.  Sie soll unter anderem erlauben,  Frachtflugzeuge abzuschießen, wenn man weiß, dass diese eine Bombe an Bord haben. Auch Herr Schünemann weiß, dass er so ein Ziel natürlich nicht durchsetzen kann. Aber es ist eine Möglichkeit, sich als harter Sicherheitspolitiker zu profilieren.

tagesschau.de: Können Sie abschätzen, was bei der Konferenz konkret beschlossen wird?

Hagen: Die Terrorismus-Warnung, die de Maizière ausgegeben hat, wird sicherlich dazu führen, dass über mehr Kontrollen in den Bundesländern geredet wird. Möglicherweise wird auch beschlossen, dass die Polizei ausgebaut wird – auf Bundesebene ist ja bereits entschieden, dass die Bundespolizei mehr Stellen bekommt. Allerdings haben die Bundesländer kein Geld dafür. Deshalb könnte die Debatte über den Abschuss von Frachtflugzeugen ein Ersatz für wirklich konkrete Handlungen sein.

Die Fragen stellte Fiete Stegers, tagesschau.de