Interview

Hinter den Kulissen der tagesthemen "Langsamer, sprich langsamer"

Stand: 02.01.2018 05:30 Uhr

Wenn die tagesthemen auf Sendung gehen, liegt hinter dem Team schon ein ganzer Arbeitstag. Und die Nachrichten beschäftigen die Moderatoren oft noch nach Sendeschluss. Caren Miosga und Ingo Zamperoni erzählen zum 40. Jubiläum der Sendung im Gespräch mit Judith Rakers von bewegenden Momenten, speziellen Arbeitstechniken - und einem kleinen Skandal.

Judith Rakers: Caren Miosga und Ingo Zamperoni zusammen im Studio von ARD-aktuell - das ist ein ungewöhnliches Bild.

Ingo Zamperoni: Das ist die ganz seltene Ausnahme.

Caren Misoga: Es kommt praktisch nie dazu, weil entweder Ingo oder ich eine Woche arbeiten. Wir können uns höchstens mal zum Frühstück verabreden, aber in diesem Studio haben wir uns noch nie getroffen - bis auf ein einziges Mal, als wir hier Fotos für die Medien gemacht haben.

Zamperoni: Am Vorabend der ersten Sendung nach meiner Rückkehr aus den USA bin ich als Gag während der Abmoderation durchs Studio geschlendert, um mir das "Wohnzimmer" mal anzugucken.

Arbeitsbeginn elf Stunden vor Sendungsbeginn

Rakers: Wie sieht denn so ein Arbeitsalltag aus? Ihr geht abends um 22.15 Uhr auf Sendung - aber wann fangt ihr an, in der Redaktion zu arbeiten? Ehrlich sein!

Miosga: Unsere erste Konferenz beginnt um 11.30 Uhr. Da kommen wir dann ins Haus "getrabt" mit in der Woche tiefer werdenden Augenrändern und beginnen, den Tag zu planen. Das Redaktionsteam hat dann schon entworfen, wie die Sendung am Abend aussehen könnte. Dann telefonieren die Redakteure mit den einzelnen ARD-Sendern, den Autoren und den Auslandsstudios und geben Filme in Auftrag. Wir Moderatoren beginnen zu lesen, uns in den Tag hinein zu denken, und überlegen, mit wem man Gespräche führen könnte.

Zamperoni: Wir machen auch noch eine Bilderkonferenz, auf der wir darüber sprechen, welche Hintergrundbilder zur Moderation passen könnten. Da wir ja nicht auf Illustrationen zurückgreifen, sondern auf Bilder, die ein Fotograf schon geschossen hat, können wir uns da nichts wünschen. Wir können höchstens eine Richtung vorgeben, und dann versucht das Bildarchiv, das umzusetzen. Das frisst auch noch mal viel Zeit.

Miosga: Aber das macht auch richtig Spaß, die Grafikabteilung ist daran sehr beteiligt, Redaktion und Grafik sind ständig im Austausch. Wir suchen selbst mit aus, was wir in der Moderation zeigen wollen, und das kostet Zeit.

Ernste Angelegenheiten - und der Umgang mit ihnen

Rakers: Sind Nachrichten eine ernste Angelegenheit, immer und grundsätzlich?

Zamperoni: Grundsätzlich ist etwas eine Nachricht, was nicht normal, was eine Ausnahme ist. Das sind eben oft ernste, traurige oder außergewöhnliche Anlässe. Aber wir versuchen immer, so damit umzugehen, dass man merkt, wir gehen nicht zum Lachen in den Keller. Es kommt immer auf den Anlass an. Aber wenn es sich anbietet, dann kann das auch mal ein bisschen lustiger angehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Nachrichten ernster sind.

Miosga: Es sind ja auch Menschen, die hier stehen. Das ist ja auch der Vorteil dieses neuen Studios, dass wir nicht mehr die abgeschnittene Puppe sind, die jahrzehntelang da stand und sagte: "Bonn". Wir können uns hier bewegen. Natürlich sehen die Zuschauer, welche Haltung die oder der hat, der da steht, wie es dem dabei geht.

Es gibt Dinge, die uns amüsieren, es gibt Dinge, die uns aufregen, und dafür sind auch Nachrichtenmoderatoren eben Menschen. Es ist falsch zu sagen, es muss immer ernst sein, bierernst schon gar nicht. Aber natürlich angemessen. Wenn etwas an sich traurig ist, müssen wir nicht das nicht noch extra verstärken,  indem wir besonders traurig gucken oder gar anfangen zu heulen. Ist dir das schon mal passiert, Ingo, dass du das Gefühl hattest ...

Zamperoni: Du meinst, dass man schlucken muss?

Miosga: Ja

Zamperoni: In der Anmoderation nie. Aber wenn dann der Beitrag läuft, den wir ja während der Sendung auf den Studiomonitoren mitsehen, dann gibt es schon manchmal Situationen, in denen man denkt: Oh - heftig.

Rakers: Wie ist das mit Dir, Caren? Welche Nachrichten nimmst Du mit nach Hause?

Miosga: Grundsätzlich sehe ich es so wie Ingo. Wenn wir uns von jeder Nachricht emotional mitnehmen lassen würde, könnten wir diesen Job gar nicht machen. Aber es gibt natürlich Themen, die auch mich länger beschäftigen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen jungen Palästinenser, den zehnjährigen Thaer. Ihn haben wir begleitet, er war bei einem  Bombenangriff in Gaza schwer verletzt worden, hatte ein Bein verloren und starke Verbrennungen. Er wurde von einer Hilfsorganisation nach Deutschland ausgeflogen.

Ich erinnere mich bis heute an eine Szene in dem Beitrag, die mir noch jetzt nahegeht, als der Vater den Jungen zum Flugzeug brachte und sich nicht traute, ihm zu sagen, dass Mutter und Schwester bei dem Angriff ums Leben gekommen waren. Als der Junge im Flugzeug war, ist der Vater dann selbst zusammengebrochen.  Wir haben den Jungen dann auch hier begleitet, als er operiert wurde und auch, als er wieder zurückkam. Das hat mich fertig gemacht. Ich habe wirklich ein paar Tage gebraucht, um das zu verarbeiten. Ich habe auch zuhause darüber geredet, das ist ganz normal. Das geht ja den Zuschauern auch so.

Das Klein- und das Großgedruckte

Rakers: Ihr schreibt die Moderationen ja vorher, und dann kommen die Texte auf den Teleprompter, von dem ihr ablest. Du, Caren, hast eine Schriftgröße, für die ich ein Opernglas bräuchte, und Ingo hat riesengroße Buchstaben.

Miosga: Wirklich? Das wusste ich gar nicht.

Rakers: Wenn ihr gemeinsam im Studio stehen würdet, dann hättet ihr ein Problem. Einer von euch könnte nichts lesen.

Miosga: Für mich ist es einfach besser, den ganzen Satz zu sehen. Ich brauche den Satzzusammenhang. Wir arbeiten mit dem Prompter, um in der Zeit zu bleiben und nicht zu schwadronieren.

Zamperoni: Mein Vater sagt immer: Langsamer, sprich langsamer. Er ist Italiener, vielleicht deshalb. Meine Theorie ist: Wenn ich nicht den ganzen Satz sehe, dann bremst mich das automatisch, weil ich ja warten muss, bis der Text kommt. Sonst würde ich, wenn ich alle Zeilen sehen würde, zu viel Gas geben.

Die Sache mit dem Halbfinale

Rakers: Wo wir über Deinen Vater sprechen: Bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 kam es im Halbfinale zur Begegnung Deutschland - Italien. In der Halbzeitpause gab es die tagesthemen, und es stand 2:0 für Italien. Du hast dann gesagt, möge der Bessere gewinnen - mit einem süffisanten Lächeln.

Zamperoni: Das wurde mir unterstellt.

Rakers: Am nächsten Tag war es Thema in allen Zeitungen. Mit einer Welle der Kritik, aber auch der Sympathie. Ist euch bewusst, dass alles, was man hier macht, beäugt wird?

Miosga: Das war Dir in dem Moment nicht bewusst, oder?

Zamperoni: Nein, mir war die Tragweite nicht bewusst. Ich hatte mir überlegt, was könnte man sagen, das möglichst neutral ist. Das Problem war der Halbzeitstand von 2:0. Alle haben gesagt, das Spiel ist gelaufen, obwohl noch eine ganze Halbzeit zu spielen war. Solche Reaktionen sind auch durch die sozialen Netzwerke häufiger geworden. Uli Wickert hat mir immer gesagt: Früher hat es gedauert, bis sich jemand hingesetzt, einen Brief geschrieben und an die tagesthemen geschickt hat. Klar, auch früher gab es wütende Reaktionen und Protestbriefe, aber es kam weniger an.

Miosga: Heute kannst du es einfach in die Tasten hacken und zack - ist es hier.

Zamperoni: Uns erreicht viel mehr.

Und in 40 Jahren?

Rakers: Da Ihr Social Media ansprecht: Die Nachrichten, das Nachrichtengewerbe hat sich verändert. Wird es die tagesthemen in 40 Jahren noch geben?

Miosga: Ja!

Zamperoni: Ich bin überzeugt davon, dass es die tagesthemen dann noch geben wird. Ob auf diesem Ausspielweg, das weiß ich nicht. Vielleicht gibt es kein Fernsehen mehr, sondern nur noch online.

Miosga: Das kann natürlich sein. Aber in Zeiten, in denen sich alles immer weiter verschnellert, wird es um so mehr das Bedürfnis geben nach Schwerpunkten, nach Erklärungen, nach Vertiefungen, was hinter den Themen ist. Wir bilden ja jetzt schon in den tagesthemen nicht nur ab, sondern versuchen immer, den Zuschauern zu erklären, warum etwas passiert. Ich glaube, dass dieses Bedürfnis bleibt oder sogar stärker wird. Deshalb werden auch solche Formate wichtig bleiben. Wir wissen nur nicht, wo die Zuschauer uns sehen werden. Hat man dann auf dem Computer zehn Seiten auf, und in einer ist eben auch das, was man im Fernsehen hätte sehen können oder früher gesehen hat?

Zamperoni: Ich glaube, dass die Informationsflut ironischerweise nicht dafür sorgt, dass wir mehr wissen, sondern dass wir immer weniger verstehen, weil es oft zu schwer ist, die Dinge auseinanderzuhalten. Unser Ziel ist es, eine Art Leuchtturm oder Fels in dieser Nachrichtenbrandung zu sein, an dem sich die Leute orientieren können. Es gibt einen Satz von Wolf von Lojewski, einem unserer Vorgänger: "Die tagesschau sagt: Minister wirft Handtuch. Die tagesthemen sagen, wohin." Dieser Gedanke ist das, was uns antreibt. Und ich glaube, dass das auch immer ein Publikum finden wird.

Rakers: Ich hoffe, dass noch viele gemeinsame Sendungen folgen. In dieser Konstellation sehen wir uns vielleicht erst zum 50. Jubiläum wieder ...

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 21.Dezember 2017 um 14:30 Uhr.