Olaf Scholz und Klara Geywitz
FAQ

Vorentscheidung über SPD-Vorsitz Was das SPD-Votum für die GroKo heißt

Stand: 26.10.2019 20:45 Uhr

Im Rennen um den SPD-Vorsitz erreicht Scholz mit Politik-Partnerin Geywitz das Etappenziel. Knapp dahinter: das Lieblings-Duo der Parteilinken Walter-Borjans/Esken. Was heißt das für die SPD und GroKo?

Am Vorabend der erwarteten nächsten Wahlniederlage in diesem Jahr - in Thüringen -, hat die SPD ausgezählt. Die Mitglieder gaben ein erstes Votum darüber ab, wer die Partei aus der Krise führen soll. Doch das Ergebnis ist denkbar knapp. Auf der Suche nach ihrer neuen Spitze muss die SPD deshalb nachsitzen. Die Stichwahl dürfte zugleich eine politische Richtungsentscheidung werden.

Wer geht in die Stichwahl?

Der bekannteste und ranghöchste Sozialdemokrat bleibt im Rennen: Olaf Scholz und seine Politik-Partnerin, die ehemalige Brandenburger SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz, schaffen es mit 22,7 Prozent in die Stichwahl. Das ist knapp Platz 1. Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen - ob eine böse oder eine freudige, hängt davon ab, wen man fragt bei den Genossen. Im Willy-Brandt-Haus, in der Fraktion und auch bei der Union dürfte aber so manchem ein Stein vom Herzen plumpsen.

Auf Platz 2: das hochgehandelte Politik-Paar Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Mit 21 Prozent liegen sie nur knapp hinter dem Führungsduo. Der ehemalige NRW-Finanzminister und die Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg repräsentieren das linkere Lager im Bewerberfeld. Alle anderen vier Teams sind raus, darunter auch das Duo Lauterbach/Scheer, die als einzige offensiv für ein sofortiges Verlassen der Großen Koalition warben.

Was heißt das Ergebnis für die SPD?

Die SPD betreibt maximalen Aufwand bei der Suche nach einer neuen Parteispitze. Sah es nach dem Rumpel-Start zunächst so aus, als ende das Ganze mangels namhaften Bewerbern im peinlichen Fiasko, wurde es dann doch noch überraschend lebendig. Das Casting-Format mit viel Show und wenig Zeit für Inhalt kam dabei an seine Grenzen. Die wochenlange Selbstbeschäftigung hatte aber zumindest keine erkennbaren Auswirkungen auf das Regieren, womit belegt ist, dass Partei- und Regierungsarbeit nebeneinander funktionieren.

Das Interesse der Basis an den Regionalkonferenzen war groß. An der Abstimmung beteiligt haben sich rund 53 Prozent der 425.000 SPD-Mitglieder. Nicht überragend, aber auch keine Enttäuschung. Die Beteiligung am Mitgliedervotum über eine erneute GroKo lag 2018 noch bei 78,4 Prozent.Dass nicht noch mehr abgestimmt haben, mag damit zusammenhängen, dass keines der Teams die Partei vom Hocker gerissen hat. Auch die Final-Paare stehen kaum für Aufbruch und Erneuerung. Und so sieht der Neuanfang der SPD ziemlich alt aus, vor allem wenn man in die beiden männlichen Gesichter schaut.

Der 61-jährige Scholz hat seit bald 20 Jahren verschiedene Führungsämter in der SPD inne, Walter-Borjans hatte seine politische Karriere eigentlich beendet. Der Ex-NRW-Finanzminister profilierte sich einst als Kämpfer gegen Steuerbetrug. Inzwischen ist er 67 Jahre alt und wollte eigentlich in den Ruhestand. Nun bewirbt sich Walter-Borjans, Rufname "NoWaBo", als SPD-Chef.

Mehr Neuanfang versprechen da schon die beiden Frauen, bundespolitisch sind Geywitz und Esken weitgehend unbekannt. Dabei sind sie keine Politik-Neulinge: Esken sitzt seit 2013 im Bundestag, Schwerpunkt Netz- und Digitalpolitik. Die 43-jährige Geywitz macht seit Jahren in Brandenburg Politik, zuletzt verlor sie jedoch knapp ihr Landtagsmandat.

Die Kandidatenpaare Norbert Walter-Borjans (l) und Saskia Esken (2.v.l) sowie Olaf Scholz 2.v.r.) und Klara Geywitz (r) gratulieren einander zum Einzug in die Stichwahl.

Sie gehen in die Stichwahl: Team "NoWaBo/Esken und Scholz/Geywitz

Offenbar ist vielen Genossen die Sache mit dem Neuanfang aber auch gar nicht wichtig - das Ergebnis für Scholz zeigt auch einen Wunsch nach Kontinuität, nach ordentlichem Zu-Ende-Regieren in der GroKo und Machtperspektive für die Zeit danach.

Wenn es aber doch auf ein personelles "Weiter so" hinausläuft, hätte die SPD Zeit und Kraft nicht sinnvoller einsetzen können, etwa um Politik zu machen? Vielleicht, wenn der Nahles-Rückzug ein normaler Abtritt in einer in sich ruhenden Partei gewesen wäre. In einer existenziellen Krise ist aber nichts normal. Zumal der Umgang mit Andrea Nahles auch erschreckende Einblicke gab in tiefe Grabenkämpfe, Heckenschützentum, Intrigen und Misstrauen.

Das aufwändige Urwahlverfahren sollte Ruhe in den Laden bringen, die Reihen schließen und die neue Parteispitze mit einer größtmöglichen Legitimation ausstatten. Hoffnung: Wenn alle beteiligt sind, hören auch die öffentlichen Attacken auf. Ob das klappt, wird sich zeigen.

Die nächsten Wochen bis zur Stichwahl dürften zeigen, wie viel von der neuen Geschlossenheit und Solidarität bleiben. Im Hintergrund ist das Gerangel jedoch schon groß. Walter-Borjans und Esken werden von Juso-Chef Kevin Kühnert unterstützt, und auch vom mächtigen NRW-Landesverband. Mit Spannung wird erwartet, wie sich die unterlegenen Kandidaten positionieren.

Was heißt das Ergebnis für die GroKo?

Tief durchatmen und erstmal weitermachen. Das GroKo-freundlichste Paar im Bewerberfeld - Scholz/Geywitz - hat das Etappenziel erreicht, wenn auch nur mit knappem Vorsprung. Damit sind zunächst einmal neue akute Anfälle nervöser Unruhe abgewendet. Das Ergebnis für die beiden ist auch ein Votum für den Verbleib im ungeliebten Bündnis mit der Union bis 2021.

Auch mit Walter-Borjans/Esken an der Spitze dürfte es kaum eine überstürzte Flucht aus der GroKo geben. Zwar positionierten sie sich immer wieder kritisch zum Bündnis mit der Union, aber nach einem sofortiges Verlassen der Regierung klang das bislang nie. Womöglich hat sich vielen in der SPD die Einsicht durchgesetzt, dass diese GroKo zwar ein Fehler war, jetzt die Regierung zu verlassen, aber politischer Selbstmord wäre.

Aufschluss über die Stimmungslage wird aber erst der Parteitag Anfang Dezember bringen, wenn es um die Halbzeitbilanz geht. Niemand wagt momentan vorherzusagen, ob das Wahlergebnis in Thüringen, die wabernde Unzufriedenheit mit dem Klimapaket, der Grundrenten-Streit und der Unmut über den jüngsten Alleingang Kramp-Karrenbauers in der Syrien-Politik neue Anti-GroKo-Dynamiken in der SPD auslösen, die den Blick auf das, was die Partei in der Regierung bislang erreicht hat, vernebeln.

Was heißt das Ergebnis für Olaf Scholz?

Scholz ist mit seiner Kandidatur volles Risiko eingegangen, was schon deshalb erstaunlich ist, weil er den Job eigentlich zunächst gar nicht wollte. Erst als sich kein namhafter SPD-Politiker traute und die Suche nach einer neuen Parteispitze blamable Züge annahm, kündigte er zusammen mit der früheren Brandenburger SPD-Generalsekretärin Geywitz seine Kandidatur an.

Die 23 Casting-Runden waren für beide keine Wohlfühloasen, vor allem Scholz bekam oftmals nicht nur den Unmut der GroKo-Gegner im Publikum ab. Auch die Mitbewerber positionierten sich mehr oder weniger stark gegen Scholz, seine Politik der Schwarzen Null, das Klimapaket, gegen die GroKo-Politik überhaupt.

Für den Finanzminister und Vize-Kanzler der Koalition ist dieser Mitgliederentscheid zugleich auch ein Votum über seinen Rückhalt in der Partei. Hätte es der macht- und selbstbewusste Scholz nicht in die Stichwahl geschafft, wäre dies einem Misstrauensvotum gleichgekommen, mit Folgen auch für seine Position in der Regierung - und für die Stabilität der GroKo. Der ranghöchste Sozialdemokrat wäre erheblich beschädigt, seine Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur beendet.

Nun war Scholz’ Beliebtheit in der Partei nie ausgeprägt, bei den Wahlen zum stellvertretenden Parteichef bekam er regelmäßig das schlechteste Ergebnis, aber ein vorzeitiges Aus im jetzigen Kandidatenrennen hätte wohl mittelfristig das Ende seiner politischen Karriere bedeutet.

Wie geht es jetzt weiter?

Der parteiinterne Wahlkampf geht in die zweite Runde. Die beiden verbleibenden Teams treffen in mehreren Veranstaltungen aufeinander. Dabei wird hoffentlich auch klarer, was die Duos inhaltlich unterscheidet und wer von ihnen das Zeug hat, die SPD aus der Existenzkrise zu führen.

Denn diese Fragen sind auch nach 23 Regionalkonferenzen quer durch Deutschland unbeantwortet. Vom 19. bis 29. November entscheiden dann die Mitglieder über Platz 1. Die neue Spitze wird dann endgültig am 6. Dezember auf dem Parteitag durch die Wahl der Delegierten bestätigt - rund sechs Monate nach dem Rücktritt von Andrea Nahles.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 26. Oktober 2019 um 20:00 Uhr.