Interview

Kabarettist zum Thema Rassismus und Vorurteile "Auch Deutsche könnten Türkisch lernen"

Stand: 21.03.2012 11:33 Uhr

Seine Kabarett-Programme haben Titel wie "Hassprediger" oder "Mein Kampf" - Serdar Somuncu kennt keine Tabus, wenn es darum geht, mit Vorurteilen und Stereotypen aufzuräumen. "Deutschland hat ein Rassismus-Problem", sagt er im Interview mit tagesschau.de. Es sei an der Zeit, alte Denkmuster aufzubrechen.

tagesschau.de: Am heutigen internationalen Tag gegen Rassismus gibt es bundesweit mehr als 1100 Veranstaltungen. Was für eine Wirkung kann von so einem Tag ausgehen?

Serdar Somuncu: Es ist ein Anlass, über das Thema Rassismus zu sprechen. Dadurch rückt es stärker ins Bewusstsein und das ist wichtig. Es unterstützt all diejenigen, die sich schon seit langem mit diesem Thema auseinandersetzen und dafür kämpfen, dass es nicht in den Hintergrund gerät.

Zur Person

Serdar Somuncu ist Schauspieler und Kaberettist. Mit Soloprogrammen wie "Mein Kampf" oder der "Hassprediger" tourt er durch deutsche Theater und TV-Shows. Für seine Bücher und Stücke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er gehört zur zweiten türkischen Einwanderergeneration in Deutschland.

tagesschau.de: Am Beispiel der NSU-Mordserie konnte man sehen, dass eine subtile Form von Alltagsrassimus in der deutschen Gesellschaft verankert ist. Einerseits waren alle entsetzt, andererseits sprachen viele - auch die Medien - von "Dönermorden", was ja eine rassistische Konnotation hat. Fehlt hier die nötige Sensibilität?

Somuncu: Prinzipiell mangelt es an Sensibilität, aber nicht nur in diesem Bereich. Man hört viele Formulierungen, wo sich einem die Haare sträuben. Zum Beispiel den Ausdruck "bis zur Vergasung". Nicht jeder ist sensibel genug, so etwas nicht durchgehen zu lassen. Das spricht dafür, dass man das weiter aufarbeiten muss.

Ich finde ich es sehr berechtigt, dass "Dönermorde" zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Dieser Begriff zieht ja die Frage nach sich, ob denn die Mörder dann die "Sauerkrautmörder" waren. Ich glaube, man macht es sich zu einfach, das Morden von Menschen auf kulinarische Gewohnheiten zu beziehen. Hier hat einfach eine Gruppe von Menschen kriminell gehandelt, da ist es erstmal egal, wo die herkommen. Das Recht Täter zu sein, liegt nicht bei den Deutschen und das Schicksal Opfer zu sein nicht bei Türken oder Griechen. Viel wichtiger ist, dass wir uns damit beschäftigen, dass so etwas zehn Jahre lang geschehen konnte, ohne dass wir es gemerkt haben.

"Deutschland hat ein massives Rassismus-Problem"

tagesschau.de: Sie greifen das Thema Rassismus immer wieder auf. Hat Deutschland ein Rassismus-Problem?

Somuncu: Deutschland hat - so wie viele andere Nationen, gerade in Europa - ein massives Rassismus-Problem. Wir leben zwar in einer Zeit der Globalisierung, wenn es um Märkte geht. Aber die Globalisierung in den Köpfen steht still. Immer noch wird auf althergebrachte Denkmuster zurückgegriffen. Es wird gefordert, dass Menschen sich an eine Leitkultur anzupassen haben, obwohl es gar keine Leitkultur gegeben hat und auch nicht geben wird. All das ist der Ansatz für Rassismus und schürt Intoleranz. Intoleranz ist der Brennstoff für Rassismus. Gerade in Deutschland mit seiner historischen Vorbelastung könnte man da klüger sein.

tagesschau.de: Haben Sie selbst schon mal Erfahrungen mit rassistischen Tendenzen gemacht?

Somuncu: Hab ich. Das fängt ja schon an, wenn ich in Talkshows eingeladen werde, um als Türke explizit zu türkischen Themen Stellung zu nehmen. Das ist ein rassistischer Ansatz. Ich möchte auch das Recht haben über deutsche Innenpolitik zu sprechen und nicht nur über Integration. So weit sind wir leider noch nicht. Den hier lebenden Ausländern wird ein eigener Bereich zugeteilt, sie dürfen an bestimmten Diskussionen teilnehmen, an anderen nicht. Das wäre anders, wenn wir diese Denkmuster in den Köpfen aufheben könnten. Wenn wir die Menschen als Deutsche betrachten würden, die Deutsche sein wollen.

"Rassismus hat in den letzten zehn Jahren wieder zugenommen"

tagesschau.de: Bei Alltagsrassimus geht es ja oft um versteckte Vorurteile, die sich in bestimmten Situationen Bahn brechen. Wo begegnet ihnen das sonst noch?

Somuncu: Es wäre jetzt auch rassistisch, wenn ich den Deutschen prinzipiell unterstellen würde, rassistisch zu sein. Aber es gibt ein Verhaltensmerkmal, was mir immer wieder auffällt und was gerade in der Sarrazin-Debatte immer wieder vorkam: Da wurde ja relativ viel behauptet, zum Beispiel die Ausländer seien häufiger kriminell als Deutsche, wollen die deutsche Sprache nicht lernen und sich nicht anpassen. Da haben sehr viele Leute Argumentationen an- und übernommen, die nicht nachgewiesen waren. Und die werden dann im zweiten Satz immer nachgeschoben.

Oder wenn ich zum Beispiel irgendwo einen Konflikt habe, dann kommt oft im zweiten Satz: 'Sie sind ja nicht von hier, gehen sie doch dahin, wo sie hergekommen sind.' Das ist eigentlich anachronistisch, dieses Verhalten kenne ich aus den 70er-Jahren. Aber in den letzten zehn Jahren hat das wieder zugenommen.

"Wir brauchen Maßstäbe, die für uns alle gleichermaßen gelten"

tagesschau.de: Wie kann der Einzelne im Alltag solchen Anfeindungen begegnen?

Es gibt genug Gelegenheiten, Farbe zu bekennen und Widerstand zu leisten. Sei es, wenn jemand in der Bahn angepöbelt wird oder wenn verstecke Andeutungen gemacht werden, die man nicht dulden muss. Ich kann nur jedem raten, dann einzuschreiten und seine Meinung zu sagen, auch wenn es manchmal ein Risiko ist. Viele Leute schweigen gerade in solchen Situationen. Es gehört aber auch dazu, dass man kritisch bleibt und nicht übertolerant ist, nur weil jemand Ausländer ist. Wir brauchen Maßstäbe, die für uns alle gleichermaßen gelten.

tagesschau.de: In ihren Programmen spielen Vorurteile und Rassismus eine große Rolle. Aber Sie greifen beispielsweise auch Muslime an. Was wollen Sie damit erreichen?

Somuncu: Ich greife auch Muslime an, weil ich mir das Recht herausnehme, über mehr als nur die Themenpalette zu sprechen, die mir zugewiesen wird. Und dazu gehört, dass ich selbstkritisch mit meinen eigenen Leuten umgehe. Wer meine eigenen Leute sind, sei mal dahingestellt. Ich sage einfach, wenn mir was nicht passt. Ich habe eine Verantwortung als Kabarettist und Künstler und der werde ich dadurch gerecht, dass ich mich nicht festlegen lasse. Ich versuche je nach Thema, meinen eigenen Standpunkt unabhängig von der Zuordnung der anderen zu definieren.

tagesschau.de: Wo sehen Sie Versäumnisse der Politik beim Thema Rassismus?

Somuncu: Die Politik und auch die Gesellschaft muss ein anderes Bewusstsein dafür bekommen, wo wir im Jahr 2012 in Deutschland stehen. Multikulti heißt nicht Einschränkung, sondern Vielfalt. Von den Stärken dieser gewachsenen multikulturellen Gesellschaft zu profitieren, ist eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wenn wir das nicht schaffen, dann wird das dazu führen, dass unsere Gesellschaft innerlich verkümmert. Dann denken wir weiterhin in unseren kleinen eingeschränkten Bereichen, was wir bisher gedacht haben. Aber diese Bereiche werden nicht erweitert.

Mir fällt ein Beispiel ein, als ich vor zwei Jahren in Kanada war und selbst gemerkt habe, wie engstirnig ich manchmal denke. Ich hatte einen Taxifahrer, der einen Turban trug und ich habe ihn gefragt, woher er eigentlich kommt. Und er hat ganz selbstverständlich gesagt: 'aus Kanada'. Auch in Deutschland kann man sich aus diesen alten Denkstrukturen lösen, man muss nur ein bisschen Mut haben.

"Auch deutsche könnten Türkisch als Zweitsprache lernen"

tagesschau.de: Das hört sich ja alles schön an, aber wie kann man das denn erreichen?

Somuncu: Das erreicht man nur durch eine Auseinandersetzung mit sich selbst und den anderen. Ich kenne viele Deutsche, die mir diese Frage stellen, die selbst in der vierten oder fünften Generation gar nicht aus Deutschland kommen. Das ist doch das beste Beispiel, dass wir in Deutschland bereits multikulturell sind. Das hat stattgefunden, weil es ein Interesse am Fremden gegeben hat. So lange das da ist, ist Integration ein Kinderspiel.

Für mich ist Integration gegenseitige Annäherung. Das heißt, man fordert nicht nur Anpassung, sondern geht auch auf die anderen zu. Deshalb hab ich schon oft vorgeschlagen, dass Deutsche auch Türkisch, als Zweit- oder Drittsprache lernen. Dann könnte man denen, die nicht bereit sind, sich anzupassen, zeigen, dass man selbst bereit ist, die andere Sprache zu lernen. Zumindest ein paar Floskeln. In Köln gibt es eine Grundschule, in der deutsche und türkische Kinder beide Sprachen lernen können. Und das hat zur Folge, dass die Abgrenzung, die von manchen türkischen Familien betrieben wird, um sich gegen deutsche Einflüsse zu wehren, aufgehoben wird. Das sind kleine Schritte, aber es sind effektive Schritte.

Ich kenne das von mir selbst, wenn ich in ein vietnamesisches oder griechisches Restaurant gehe und ich sage nur drei Wörter in deren Sprache, dann sind die viel offener, weil sie merken: 'Hey, der interessiert sich für mich.'

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de