Interview

Gynäkologe erklärt "Social Freezing" Einfrieren für späten Nachwuchs

Stand: 22.05.2014 18:06 Uhr

Der Ethikrat beschäftigt sich auf seiner Jahrestagung mit "Social Freezing". Eine Technik mit der immer mehr gesunde Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen, um Jahre später noch Kinder bekommen zu können. Über Fluch und Segen dieser Methode spricht der Gynäkologe Michael von Wolff im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Müssen Frauen sich jetzt bei der Familienplanung keine Sorgen mehr über ihre biologische Uhr machen?

Michael von Wolff: Es ist sicherlich eine Errungenschaft, weil wir in der Lage sind, die Grenze, bis wann Frauen schwanger werden können, ein wenig zu verschieben. Aber das Problem der einsetzenden Menopause bleibt ja.

Die Chancen dieser Technik sind aber nicht gut genug, als dass man sich bei seinem Kinderwunsch wirklich darauf verlassen könnte. Die Erfolgschancen sind sehr stark altersabhängig: Wenn Frauen beim Einfrieren der Eizellen unter 35 sind, beträgt die geschätzte Geburtenrate pro Stimulation ungefähr 40 Prozent. Bei 35 bis 39-Jährigen sind es 30 Prozent und wenn sie es mit 40 bis 44 Jahren machen ungefähr zehn Prozent.

Zur Person

Michael von Wolff ist Gynäkologe und Reproduktionsmediziner in Bern und ist Gründer und medizinischer Koordinator des Netzwerks "Fertiprotekt". Dieses Netzwerk für fertilitätsprotektive Maßnahmen gründete sich 2006, um krebskranken Frauen und Männern auch nach einer Chemotherapie bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches helfen zu können. Inzwischen umfasst das Netzwerk 95 medizinische Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich zu strengen Standards und Qualitätskontrollen verpflichtet haben und sich an der medizinischen Evaluation beteiligen.

tagesschau.de: Wie funktioniert das Einfrieren von Eizellen?

Von Wolff: Das Vorgehen ist zunächst ähnlich wie bei der künstlichen Befruchtung. Die Frauen werden etwa zehn Tage lang mit Hormonen stimuliert, damit sich möglichst viele Eibläschen bilden. Diese werden dann über die Scheide abgesaugt, in flüssigem Stickstoff schockgefroren und eingelagert. Wenn die Frau dann einige Jahre später schwanger werden möchte und womöglich unfruchtbar geworden ist, können die Eizellen aufgetaut und mit den Spermien des Partners befruchtet werden. Anschließend werden sie als Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt.

"Bei den Kindern sind Risiken nicht ausgeschlossen"

tagesschau.de: Welche medizinischen Risiken entstehen bei diesem Prozess für die Mutter beziehungsweise für das Kind?

Von Wolff: Für die Frauen gibt es ein sehr geringes medizinisches Risiko. Theoretisch kann es bei der Entnahme der Eizellen zu einer Blutung oder einer Infektion kommen. Ich hab das aber in all den Jahren meiner Arbeit noch nie erlebt. Früher kam es bei der Hormonbehandlung häufig zu einer Überstimulation der Eierstöcke, die dazu führen kann, dass sich Wasser im Bauch ansammelt. Durch die neuen Stimulationsmethoden kommt das aber quasi nicht mehr vor.

Das Risiko seitens des Kindes können wir bislang nur schwer abschätzen. Eine aktuelle Studie gibt zumindest Hinweise darauf, dass das Verfahren zu einer gewissen Schädigung der Embryonen führen kann. Kulturen von Embryonen müssen ja in einer Kulturschale unter künstlichen Bedingungen haltbar gemacht werden. Womöglich kann es dabei zu sogenannten epigenetischen Störungen kommen. Das sind minimale Veränderungen in der Erbinformation, die zu Schädigungen im Gefäßsystem der Kinder führen. Es ist also zumindest nicht auszuschließen, dass dieser Prozess einen zwar nicht sehr ausgeprägten, aber doch einen gewissen Effekt auf die Gesundheit der Kinder haben kann.

Demgegenüber stellen muss man aber ein womöglich geringeres Risiko für Chromosomenfehlverteilung, zum Beispiel das Down-Syndrom. Denn bei dem Verfahren arbeiten wir ja mit jungen Eizellen. Es kann also sein, dass man zwar ein höheres Risiko durch das Verfahren hat, aber ein geringeres Risiko durch die jüngeren Eizellen. Allerdings ist es schwierig, das eine gegen das andere abzuwägen.

Überwiegend Frauen ohne Partner

tagesschau.de: Welche Frauen sind es vor allem, die Social Freezing in Anspruch nehmen?

Von Wolff: Überwiegend sind das Frauen zwischen 35 und 40 Jahren und zwar solche, die keinen Partner haben. Entweder weil sie noch nicht den richtigen Partner gefunden haben oder weil sie gerade eine Trennung hinter sich haben und Torschlusspanik bekommen. Ganz selten sind es auch Frauen, mit einem Partner, vielleicht auch schon mit einem Kind, die Angst haben, beim Wunsch nach einem zweiten Kind womöglich nicht mehr fruchtbar zu sein. Man liest immer wieder, dass das auch Frauen machen, die wegen der Karriere den Kinderwunsch nach hinten schieben wollen. Von so einem Fall habe ich allerdings noch nie gehört.

tagesschau.de: Um wie viele Frauen handelt es sich in Deutschland?

Von Wolff: Wir schätzen, dass es im vergangenen Jahr an die 300 Behandlungen in Deutschland gab. Wir merken aber, dass die Nachfrage stark ansteigt, je bekannter die Methode wird. Ich gehe davon aus, dass es in diesem Jahr schon 500 bis 1000 sein werden.

Höhere Risiken bei älteren Schwangeren

tagesschau.de: Ursprünglich hat man diese Technik ja entwickelt, um Frauen zu helfen, die wegen einer Krebsbehandlung fürchten müssen, später nicht mehr fruchtbar zu sein. Kritiker befürchten, dass die Methode eine Art Lifestyle-Instrument werden könnte, bei dem Risiken ausgeblendet werden.

Von Wolff: Eine Reihe namhafter Ethiker hat sich dazu geäußert und relativ unisono gesagt, es sei im Rahmen der Autonomie der Frau zulässig. Ich finde das ein wenig einseitig. Denn die Frauen haben, wenn sie sehr lange warten mit der Schwangerschaft, ja deutlich höhere Gesundheitsrisiken, beispielsweise für Fehl- und Frühgeburten, Schwangerschaftsdiabetes und eine Schwangerschaftsvergiftung. Dadurch steigt auch das Risiko einer Behinderung bei den Kindern.

Das wichtigste ist, dass die Frauen richtig aufgeklärt werden. Dass sie die Zahlen der Erfolgschancen schwarz auf weiß haben und über Risiken Bescheid wissen.

tagesschau.de: Gibt es eine Altersgrenze für das Transferieren der Embryonen?

Von Wolff: Nein. Wir haben uns bei Fertiprotekt allerdings um eine Selbstverpflichtung bemüht. Nach einem langen Diskussionsprozess haben wir uns darauf geeinigt, dass der Embryotransfer bei einem Alter unter 50 Jahren stattfinden sollte. Ich persönlich würde mich bei der Altersgrenze lieber an der biologischen Grenze der Fruchtbarkeit orientieren und die liegt etwa bei 45 Jahren. Denn danach steigen die Risiken sprunghaft an.

"Idealer Zeitpunkt mit 35 Jahren"

tagesschau.de: Was ist der ideale Zeitpunkt für das Einfrieren der Eizellen?

Von Wolff: Ich würde sagen, der liegt bei etwa 35 Jahren. Wenn ich zu früh einfriere, gehe ich das Risiko ein, das unnötig zu machen und habe hohe, unnötige Kosten. Die Eizellen von Frauen mit 30 bis 35 Jahren sind auch noch gut genug. Und mit 35 kann man besser einschätzen, wie die weitere Lebensplanung verläuft. Je länger man dann allerdings wartet, desto geringer werden die Erfolgschancen.

tagesschau.de: Wie hoch sind denn die Kosten?

Von Wolff: Das kann man so pauschal nicht sagen, weil diese bei einzelnen Medizinern beziehungsweise in den verschiedenen Ländern voneinander abweichen können. In der Regel wird man mit 3000 Euro für Stimulation, Entnahme der Eizellen, Einfrieren und Einlagern rechnen müssen. Wenn man später die Eizellen auftauen, befruchten und die Embryonen transferieren lässt, kommen natürlich nochmal Kosten dazu. Insgesamt sind es einige tausend Euro.

Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de