Flüchtlinge an der bayerischen Grenze Seehofer schimpft auf Wien - und droht Berlin

Stand: 27.10.2015 11:07 Uhr

Bayerns Ministerpräsident Seehofer beschwert sich öffentlich über Österreich. Kanzlerin Merkel solle einschreiten und endlich die Politik der offenen Grenzen beenden. Und er setzte ihr eine Frist - und drohte erneut mit "bayerischer Notwehr". Ruhig Blut, hieß es dazu aus der CDU.

Zerstrittene Nachbarn in Europa sollen sich in der Flüchtlingskrise zusammenraufen. Das war die Grundidee des Brüsseler Treffens. Ein "Ende der Durchwinkens" von Flüchtlingen sowie bessere Zusammenarbeit wurden denn auch beschlossen. Bayerns Regierungschef Horst Seehofer findet die Situation an seiner Grenze aber offenbar weiterhin unerträglich. Schuld sei vor allem Österreich.

Die Regierung in Wien würde durch ihr Verhalten die nachbarschaftlichen Beziehungen aufs Spiel setzen, polterte der CSU-Chef in der "Passauer Neuen Presse". Sein Vorwurf: mangelnde Koordination des Flüchtlingszustroms an der ost- und südostbayerischen Grenze. Innenminister Joachim Herrmann sekundierte im Bayerischen Rundfunk: "Das ist ein unverantwortliches Verhalten der österreichischen Kollegen."

Seehofer sieht jetzt die Kanzlerin in der Pflicht, schließlich sei sie zusammen mit der Regierung in Wien auch Schuld an der Situation. "Merkel hat ja mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann am 4. September eine Entscheidung getroffen, die die Politik der offenen Grenzen eingeleitet hat." Das könne und müsse die Bundeskanzlerin jetzt auch wieder beenden. Dazu genüge ein Telefonat, denn: "Als die Grenze am 4. September durch die Bundeskanzlerin und den Bundeskanzler geöffnet wurde, hatte auch ein Telefonat genügt", befand Seehofer.

Ultimatum bis Allerheiligen

Der CSU-Chef fordert seit Wochen, die Grenzen für Flüchtlinge zu schließen, Transitzonen einzurichten und Obergrenzen für Flüchtlinge zu benennen. Das ist also nicht neu. Doch Seehofer fordert in der "Passauer Neuen Presse" auch Dinge, die beim Brüsseler Krisentreffen am Sonntag vereinbart wurden, zum Beispiel bessere Absprachen und ein Informationsaustausch über durchreisende Flüchtlinge.

Nicht zum ersten Mal untermauerte Seehofer seine Forderungen mit einem Ultimatum Richtung Berlin: Bis Allerheiligen - also kommenden Sonntag - werde er noch abwarten, ob die bayerischen Forderungen nach einer Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung in Berlin Gehör fänden. "Sollte ich keinen Erfolg haben, müssen wir überlegen, welche Handlungsoptionen wir haben", fügte er hinzu. Der CSU-Chef hatte zuvor bereits "Notwehrmaßnahmen" bis hin zur Verfassungsklage angedroht - mit überschaubarem Erfolg. Bayerns Drohungen ließen die Bundesregierung bislang kalt.

Kühler Kopf statt heißes Blut

Ruhig Blut, schallte es Seehofer denn auch von der Schwesterpartei CDU entgegen. In Krisenzeiten gehe es darum, einen "kühlen Kopf" zu bewahren", sagte Vize-Parteichefin Julia Klöckner im Deutschlandfunk. "Mit Ultimaten, glaube ich, kommen wir nicht viel weiter." Sie riet dazu, erst einmal die neuen verschärften Asylgesetze wirken zu lassen.

Die Situation an der bayerisch-österreichischen Grenze ist weiterhin schwierig. Allein im Raum Passau seien am Montag 8000 Flüchtlinge angekommen, sagte der Sprecher der Bundespolizei in Bayern, Frank Koller. Der Passauer Landrat Franz Meyer sprach im Interview mit dem nachtmagazin von einer "Völkerwanderung" und appellierte an die Solidarität in Europa. Wichtig sei, dass die Beschlüsse von Brüssel nun schnell umgesetzt würden.

Zuvor hatte die slowenische Regierung erneut die mangelnde Koordinierung auf der kroatischen Seite beklagt. In Slowenien war die Lage zuletzt dramatisch. Dort trafen in zehn Tagen mehr als 75.000 Flüchtlinge ein, nachdem Ungarn seine Grenzen zu Serbien und Kroatien mit einem Zaun dicht gemacht hatte. Von Deutschland forderte Ministerpräsident Miro Cerar im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF "realistische" Flüchtlingspolitik. Das bedeute, dass zwar die Grenze nicht geschlossen, aber Grenzkontrollen weiterhin durchgeführt werden müssten.

Deutsche Polizisten sollen slowenischen Kollegen helfen

Nun sollen schon bald deutsche Polizisten ihren Kollegen in Slowenien helfen. Das bestätigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der "Mitteldeutschen Zeitung".

Deutschland und zehn weitere Länder hatten sich bei einem Krisentreffen in Brüssel am Wochenende darauf verständigt, binnen einer Woche 400 zusätzliche Polizisten aus anderen EU-Staaten als Verstärkung nach Slowenien zu schicken. Die Zahl der deutschen Polizeibeamten für dieses Kontingent stand noch nicht fest.

Der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, warnte in der "Mitteldeutschen Zeitung" vor einer Überlastung der Bundespolizei. "Die Bundespolizei ist an der Grenze", sagte Radek. "Wir haben keinen Mann mehr über. Das Personal fehlt uns dann im Inland." Die rund 38.000 Beamten der Bundespolizei werden zur Grenzsicherung sowie an Bahnhöfen und Flughäfen eingesetzt. Von ihnen sind gegenwärtig 2200 an der deutsch-österreichischen Grenze - viermal so viele wie sonst. 40 Beamte gehören zurzeit zur europäischen Grenzschutzagentur Frontex, weitere zehn Bundespolizisten sind jeweils nach Albanien und Serbien entsandt.

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 27. Oktober 2015 um 10:05 Uhr auf NDR Info.