
Finanzdesaster bei Bundeswehr Millionen für ausgemusterten Marineflieger
Stand: 11.09.2020 04:40 Uhr
Für die P-3C-Orion-Seefernaufklärer der Marine wurden zuletzt Flügel und Elektronik im Wert von mehr als 350 Millionen Euro ausgetauscht. NDR-Recherchen zeigen: Die Maschinen sollen bereits 2025 ausgemustert werden.
Von Christoph Prössl, NDR
Der Kompromiss von politischer Notwendigkeit und militärisch Erforderlichem zeigt oft bizarre Auswüchse. Das Verteidigungsministerium kaufte 2006 acht gebrauchte Seefernaufklärer von den niederländischen Streitkräften. So sollte die Marine günstig an die Maschinen kommen. Die Flugzeuge vom Typ P-3C "Orion" mussten renoviert werden, neue Tragflächen und neue Elektronik erhalten.
Die Bundeswehr setzte damals für die Arbeiten auf den europäischen Flugzeugbauer Airbus - was als politische Notwendigkeit ausgemacht worden war. Obwohl die Maschinen der US-Konkurrent Lockheed hergestellt hatte. So lieferte Lockheed also die Tragflächen, die dann in einem Airbus-Werk von Airbus-Technikern angebracht wurden - ein kompliziertes Hin und Her. Ein Grund dafür, warum sich die Arbeiten immer wieder verzögerten.
Bis das Verteidigungsministerium im Juni 2020 die Arbeiten stoppen ließ. Grund hierfür seien die nicht mehr kalkulierbaren Gesamtkosten und die technischen Schwierigkeiten, die sich während der Modernisierungsmaßnahmen ergeben haben, hieß es in der Pressemitteilung.
2025 werden Aufklärer außer Dienst gestellt
Wie hoch der Betrag ist, den das Verteidigungsministerium im Projekt versenkt hat, deutet sich nun erstmals an. Mehr als 350 Millionen Euro steckte das Beschaffungsamt allein in den Austausch der Flügel und die Erneuerung der Elektronik an den Seefernaufklärern, die jetzt 2025 außer Dienst gestellt werden sollen. Entsprechende Informationen liegen NDR exklusiv vor.
"Bei der Modernisierung der P-3C Orion ist ja nicht nur eine Menge Geld verloren gegangen sondern auch eine Menge Zeit", sagt Tobias Lindner, Bundestagsabgeordneter der Grünen, der sowohl im Verteidigungs- wie auch im Haushaltsausschuss sitzt. "Es ist dem Bundesrechnungshof zu verdanken, dass das Verteidigungsministerium dann irgendwann aufgewacht ist. Ganz ehrlich muss man sagen, man hätte bereits 2015 eine belastbare Kostenprognose haben sollen, dann hätte man bereits vor fünf Jahren erkannt, dass die Modernisierung nicht der richtige Weg ist."
Kritik von Bundesrechnungshof
Der Bundesrechnungshof kritisierte das Projekt in den vergangenen Jahren immer wieder. In einem Bericht, der bereits im Frühjahr 2011 erschien, hieß es: "Die Bundeswehr hat versäumt, vor dem Kauf von acht gebrauchten Flugzeugen deren technischen Zustand ausreichend zu prüfen."
Und für den Bericht, der im April 2018 veröffentlicht wurde, formulierten die Prüfer: "Das Bundesministerium der Verteidigung sollte das Projekt neu bewerten." Eine vornehme Umschreibung für "steigt aus" - was das Verteidigungsministerium dann ja auch tat, allerdings erst im Juni 2020, nachdem schon mehr als 350 Millionen Euro für Tragflächen und Elektronik ausgegeben waren. Die Kosten insgesamt für den Unterhalt und Flugbetrieb liegen deutlich darüber. Die Maschinen wurden und werden in zahlreichen Missionen und Manövern eingesetzt.
Die Seefernaufklärer sind wichtig, um Seeräume zu überwachen und U-Boote aufzuspüren und zu bekämpfen. 2035 sollen neue Flugzeuge in Dienst gestellt werden, die Deutschland und Frankreich gemeinsam bauen wollen. Eigentlich sollten die P-3C Orion bis dahin halten.
Thema im Rechnungsprüfungsausschuss
In einem Bericht des Bundesrechnungshofes heißt es: "Keinesfalls sollten aufwendig modernisierte Flugzeuge nach nur wenigen Jahren außer Dienst gestellt werden." Doch nun muss das Verteidigungsministerium neue Flieger beschaffen, die ab 2025 in Dienst gestellt werden sollen. Eine Zwischenlösung.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Lindner sitzt seit neun Jahren im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages. Das Verteidigungsministerium sei einer der Hauptkunden, sagt er. "Es kommt leider immer wieder vor, das Bemerkungen des Bundesrechnungshofes nicht als Hinweise oder Tipps verstanden werden, wie man die Sache besser machen kann sondern teilweise im Ministerium aber auch im Beschaffungsamt beleidigt in die Röhre geguckt wird.“
Ende nächster Woche beschäftigt sich der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages erneut mit den Seefernaufklärern. Die Prüfer des Bundesrechnungshofes stehen Rede und Antwort. Doch das Steuergeld - der Rechnungshof soll über den sorgsamen Umgang wachen - ist bereits zum großen Teil ausgegeben.
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