Gerhard Schröder
Analyse

Schröder und die SPD Der Störfall

Stand: 14.07.2022 08:32 Uhr

Die SPD startet ihr Parteiausschlussverfahren gegen Schröder. Doch ob die Partei den Altkanzler auch wirklich los wird, ist zweifelhaft. Wo ist das Problem?

Eine Analyse von Kai Küstner und Nicole Kohnert, ARD Berlin

Aus der tiefen Verehrung von einst ist kalte Abneigung geworden: Die SPD hat in ihrem Verhältnis zu Gerhard Schröder einen weiten Weg zurückgelegt. Wer das Ohr an die Graswurzeln der Partei legt und bei der Basis nachfragt, der bekommt eine Ahnung davon, wie tief der Frust sitzt: "Gerhard Schröder verrät nicht nur die Werte der SPD, sondern auch Europas", sagt Jan Bühlbecker, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Wattenscheid-Mitte im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Bei vielen ist die Empörung über den in seiner Putin-Treue offenbar unerschütterlichen Ex-Kanzler so groß, dass sie ihn loswerden wollen: Insgesamt 17 SPD-Verbände haben ein Parteiordnungsverfahren beantragt, die meisten wollen seinen Ausschluss. Damit befasst sich nun erstmalig die Schiedskommission des Unterbezirks Hannover, Schröders Heimatbezirk.

Dass der Altkanzler seinen Genossinnen und Genossen viel zugemutet hat, steht fest. Aber ob das für einen Rauswurf aus der Partei reicht, ist nun die Frage.

Putins Freund

Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft im Herbst 2005 dauerte es nur wenige Monate, bis der erklärte Freund von Russlands Präsident Putin zum Aufsichtsratschef der Nord Stream AG wurde. Seither war Schröder in unterschiedlichen Funktionen als Gaslobbyist tätig, wiederholte seinen Satz von Putin als "lupenreinem Demokraten", warf noch kurz vor Beginn von dessen Angriffskrieg nicht etwa dem Mann im Kreml, sondern der Ukraine "Säbelrasseln" vor. Und er verhöhnte all jene, die vor einer russischen Invasion warnten: "Es ist ja nicht gleich jeder, der sich dafür hält, ein außenpolitischer Stratege."  

Das Augenrollen in der SPD

Kurze Zeit später erfolgte genau diese befürchtete Invasion der Ukraine - befohlen von Schröders Freund Putin. Aus einem Mann, der sich zweifelsohne für einen Strategen hielt, war ein Störfall für seine Partei geworden. Eine Partei, der ohnehin der Ruf anhaftete, zu russlandfreundlich zu sein. Und die seit Ende Februar fieberhaft daran arbeitet, ihre Ostpolitik neu zu erfinden.

Wer heute innerhalb der SPD die Genossen auf den Altkanzler Schröder anspricht, erntet neben einem Augenrollen stets die selbe Reaktion: Man distanziert sich dort, verurteilt seine Russland-Geschäfte, betont, wie sehr er innerhalb der Partei nun isoliert sei. Doch es schwingt auch viel Erschütterung mit, was aus dem SPD-Kanzler geworden ist. Schröder war für viele ein Wegbegleiter und Förderer.

Klingbeils Erschütterung

Diese Erschütterung ist auch beim SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil zu spüren, der dem Ex-Kanzler über Jahre sehr nahe stand.

Er habe ihn persönlich geprägt, aber es gehe nun nicht mehr um seine Gefühle, machte Klingbeil bei einer Pressekonferenz klar. Es gehe nun um eine klare Haltung. Und diese sei: Schröder soll die Geschäfte mit Russland einstellen, seine Ämter niederlegen, sonst habe er in der SPD nichts mehr zu suchen.

Rote Linien überschritten

Rote Linien hat Schröder in den vergangenen Monaten reihenweise überschritten. Sei es mit seinem Besuch in Moskau, einem angeblichen Vermittlungsversuch, nicht abgesprochen mit dem Kanzleramt. Er sei nicht im Auftrag der Bundesregierung unterwegs, hieß es immer wieder zähneknirschend aus dem Umfeld von Olaf Scholz. Ein Instagram-Foto von Schröders Frau, das sie betend in einem Hotelzimmer vor dem roten Platz zeigte, garnierte die Aktion. Intern sorgte es in der SPD für noch mehr Kopfschütteln.  

Doch es folgten weitere Affronts wie ein Interview in der "New York Times", in dem sich Schröder offen dazu bekannte, dass er keine Reue zeigte, Geschäfte mit Putin zu machen. "Mea culpa" sei eben nicht so sein Ding.

Kritik von Esken

Der Parteivorsitzenden Saskia Esken platzte daraufhin der Kragen. Man sollte aufhören, ihn als Elder Statesman - als Altkanzler - wahrzunehmen, machte sie klar. Er verdiene sein Geld mit der Arbeit für russische Staatsunternehmen.

Zwar kündigte Schröder - wohl vor allem aus Angst vor EU-Sanktionen - inzwischen an, seinen Aufsichtsratsposten beim russischen Staatskonzern Rosneft niederzulegen. Doch dass er weiter an seiner Freundschaft zu Putin festhält und an die russische Verhandlungsbereitschaft glaubt, stellte der Ex-Kanzler erst dieser Tage in der "FAZ" klar.

Verfahren könnte über Jahre gehen

Schröder ist bereits eine Menge losgeworden: die Ehrenmitgliedschaft bei Borussia Dortmund, die Ehrenbürgerschaft der Stadt Hannover, sein Büro und seine Mitarbeiter im Bundestag - verliert er nun auch noch sein Parteibuch? Dazu muss ihm bewusstes parteischädigendes Verhalten nachgewiesen werden. Was, wie andere Fälle zeigen, juristisch extrem kompliziert ist. Und sich vermutlich am ehesten mit seiner Interessenkollision als Politiker und Gaslobbyist erreichen ließe.

Innerhalb von drei Wochen nach der mündlichen Verhandlung muss das Schiedsgericht seine Entscheidung mitteilen. Doch mit Berufungsverhandlungen könnte das Verfahren sich Jahre hinziehen. Dass Schröder selbst zur Anhörung erscheint, gilt als so gut wie ausgeschlossen. "Er missachtet dadurch die demokratischen Institutionen der SPD und zeigt keinen Respekt", findet SPD-Mitglied Bühlbecker aus Wattenscheid. Doch dass "Mea culpa" eben nicht so sein Ding ist, hatte Schröder ja bereits klargemacht.

Kai Küstner, Kai Küstner, ARD Berlin, 14.07.2022 08:48 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 14. Juli 2022 um 06:22 Uhr.