
Scholz-Appell an die Jusos Die Union kritisieren - nicht die Ampel-Partner
Der designierte Kanzler Scholz hat die Jusos zur Zurückhaltung im Umgang mit den künftigen Koalitionspartnern aufgerufen. Die jungen Sozialdemokraten sollten sich lieber an der Union abarbeiten - denn die spüre, dass da ein langfristiges Bündnis entstanden sein könnte.
Rund ein Viertel der SPD-Bundestagsabgeordneten kommen aus den Reihen der Jusos - kritische, gut vernetzte Frauen und Männer, die die Regierungsbildung genau beobachten würden - das hatte Juso-Chefin Jessica Rosenthal den Verhandlern rund um Olaf Scholz mit auf den Weg in die Koalitionsgespräche gegeben.
Umso spannender war der erste Auftritt von Scholz beim Juso-Bundeskongress in Frankfurt/Main wenige Tage vor seiner geplanten Wahl zum Bundeskanzler. Dort musste er sich auch einigen unzufriedenen Parteimitgliedern stellen - die ihr Unbehagen über den Koalitionsvertrag, aber auch über den Bündnispartner FDP äußerten.
Kritik an zu wenig Verteilungsgerechtigkeit
Mehrere Rednerinnen und Redner warfen den Liberalen vor, den finanziellen Spielraum der künftigen Regierung durch rigide finanzpolitische Vorstellungen einzuschränken - ein Redner sprach in diesem Zusammenhang von einer "gelben Null". Kritisiert wurde zudem, dass der Koalitionsvertrag zu wenig Verteilungsgerechtigkeit vorsehe, zu wenig Schutz für Mieter vor Mieterhöhungen biete und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber forcieren wolle.
Ein Redner kritisierte, dass der Koalitionsvertrag zwar den Umbau von Hartz IV in ein Bürgergeld vorsehe, nicht aber deutliche Erhöhungen der Regelsätze. "Ohne die Erhöhung der Sätze können wir uns das Gerede von der Würde in die Haare schmieren", sagte ein Delegierter. Ein anderer beklagte, die Ampel wolle "mehr Menschen abschieben als die Union". Er fügte hinzu: "Meine Stimmung kippt. Ich find' das einfach nur Scheiße."
Scholz entgegnete, dass natürlich nicht alle Anliegen seiner Partei in der Koalition durchsetzbar gewesen seien. Die Ampel habe aber die Chance, das Land trotz aller Unterschiede zwischen den Parteien grundlegend zu modernisieren und auf längere Sicht neue gesellschaftliche Mehrheiten hinter sich zu bringen. "Es geht um eine Gesamtleistung, die die Regierung zustande bringen muss", sagte Scholz. Er wolle bei den Jusos dafür werben, "dass wir diesen Blick entwickeln".
"Nur ein kleiner Tipp von mir"
Und er bat den sozialdemokratischen Nachwuchs um Zurückhaltung bei der Kritik an den künftigen Koalitionspartnern: "Wenn man sich jemanden sucht, mit dem man skeptisch umgehen will, wäre es ganz gut, wenn es nicht die Leute sind, mit denen ich jetzt gemeinsam auf der Regierungsbank Platz nehmen will." Er finde es sinnvoller, "dass man sich mehr mit der Union beschäftigt als mit denen, mit denen wir jetzt hier den Aufbruch wagen wollen", sagte Scholz. Dies sei "nur ein kleiner Tipp von mir" an die Jusos.
Es sei auch nicht wichtig, wer welches Ressort habe. "Ich habe gar keins." Wichtig sei, dass alle ihre Arbeit richtig machten - "die Annalena, der Robert, der Christian und all die anderen, mit denen wir jetzt die gemeinsame Regierung bilden."
Als Kernthemen der Ampel-Regierung nannte Scholz etwa den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft sowie sozialpolitische Maßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohns, die Kindergrundsicherung sowie die Ankurbelung des Wohnungsbaus. Er sei zuversichtlich bei der Finanzierbarkeit der anstehenden Aufgaben. Den Klimawandel bezeichnete er als "die eine große Menschheitsaufgabe, die wir zu bewältigen haben." Deutschland müsse mit seiner Innovationskraft und Wirtschaft für andere das Modell beim Umbau zu einem klimaneutralen Land werden.
Schwung, der nicht verloren gehen dürfe
Das Ampel-Bündnis könne länger als vier Jahre tragen, sagte Scholz. Die Union beginne zu ahnen, dass hier etwas entstehe, "was viel langfristiger ist". Der bisherige Vizekanzler mahnte, dass der Schwung eines Aufbruchgefühls nicht verloren gehen dürfe. "Die Gesellschaft muss angesteckt werden von Zuversicht und Hoffnung." Das sei gerade in den gegenwärtigen schwierigen Zeiten wichtig.
Rosenthal setzt auf "kritische und solidarische Unterstützung"
Versöhnliche Töne kamen von Juso-Chefin Rosenthal. Sie sagte Scholz die "kritische und solidarische" Unterstützung ihrer Organisation zu. "Wir freuen uns, dich im Bundestag zum Kanzler zu wählen", sagte sie. Rosenthal war am Freitagabend mit 73,2 Prozent der Stimmen als Juso-Chefin wiedergewählt worden.