
Grenzen des Wachstums in Schönefeld Der große Flughafen und die kleine Gemeinde
Straßen, Wohngebiete, Büros - Investoren standen in Schönefeld jahrelang in den Startlöchern. Seit Eröffnung des BER kann es nun gar nicht schnell genug gehen. Für die kleine Gemeinde ist das kaum zu schaffen.
"Schönefelds Kinder suchen dich!" - beim Gang ins Rathaus fällt das Plakat mit dieser Aufschrift, fröhlichen Kindern und dem Wappen der Flughafengemeinde Schönefeld sofort ins Auge. Akut fehlen bis zu 100 Erzieherinnen und Erzieher, mittelfristig 150. Denn es ziehen vor allem Familien mit kleinen Kindern hierher. Das Durchschnittsalter im Ortsteil Schönefeld beträgt 30 Jahre. In den kühnsten Berechnungen waren nicht so viele Kinder vorgesehen, erzählt Bürgermeister Christian Hentschel.
Gesucht: Verkehrsplaner, Ingenieure, Erzieher ...
Das Rathaus verschwindet optisch fast, rund herum wird gebaut: Viele Eigentumswohnungen entstehen, bald ist dort Einzug. Und gegenüber liegt bereits ein Neubaugebiet mit Mehrfamilienhäusern. Hier steht die größte Kita Brandenburgs samt Erweiterungsbau. Auch das wird nicht reichen, ist Baudezernentin Kathrin Czepan überzeugt. Sie zeigt auf eine riesige Brache: "Soweit Sie gucken, das ganze Gebiet, da werden bald 10.000 Menschen wohnen."
Auch Kitas, Straßen und Einzelhandel soll hier entstehen. Womöglich auch die Verlängerung der Berliner U-Bahn-Linie 7. Die Gemeinde wird um ein Drittel wachsen. Die Realisierung erfordert permanentes Verwaltungshandeln: von der Genehmigung bis zur Umsetzung. Dafür braucht es Fachkräfte, doch die fehlen.
Die Gemeinde braucht nicht nur Erzieherinnen und Erzieher, sie braucht auch Verkehrsplaner, Klimaexperten und Bauingenieure. Und schon jetzt sind die Rathausmitarbeiter so überlastet, dass es selbst für die Stellenausschreibung nicht genug Leute gibt. Seine Belegschaft sei am Rande ihrer Kraft, meint Bürgermeister Hentschel.
BER bremste alles
Und noch ein Umstand erschwert die Lage: die lange Wartezeit, bis der Flughafen BER eröffnet wurde. Die Investoren stehen seit langem in den Startlöchern, die Grundstücke sind zum großen Teil schon lange vergeben. Und nach der Eröffnung im Oktober 2020 musste dann alles quasi zeitgleich gehen.
Heute werden 700 Wohnungen hier fertig, nächste Woche 450 Wohnungen dort fertig, und da nochmal 300. Das ist so vom Gefühl her, so sag' ich immer, wenn ein voller Bus ankommt, und alle steigen zeitgleich aus, und dann kommt auch schon der nächste Bus.
So beschreibt der Bürgermeister die Lage. Er fühlt sich etwas allein gelassen. "Ich habe den Eindruck, als wenn nach Eröffnung des Flughafens die Entscheider des Landes und des Bundes gedanklich einen Strich dran gemacht haben. Für mich ist es aber so, dass mit der Eröffnung des Flughafens die eigentliche Investition erst in Gang kommt. Hier sind Infrastrukturprojekte erforderlich, die die Kraft einer kleinen Gemeinde deutlich überschreiten." Mehr Unterstützung zum Beispiel vom Land wäre hilfreich - auch personell, findet der Bürgermeister.
Vom Gartenzaun bis zum Flughafenhangar
Es gibt kleine Anfragen, die bearbeitet werden müssen - zum Beispiel, ob ein Schuppen im Garten erlaubt ist - und es gibt die großen Aufgaben. In den noch dörflich anmutenden Ortsteil Waßmannsdorf soll eine Privatuni ziehen, der Bauantrag liegt auf dem Tisch und wird derzeit begutachtet. Auch wenn direkt auf dem Flughafengelände ein Hangar oder auch eine Boutique eröffnet wird, wandert das erstmal über den Tisch der Bauleitplanung in Schönefeld, bevor der Landkreis das endgültige Okay gibt.
Waltersdorf, ein stark verkehrsbelasteter Ortsteil, wird sich verändern. Ein Kreisverkehr soll den Dauerstau auflösen, zudem ist eine Ortsumgehung geplant. Dafür wird gerade am Bebauungsplan gearbeitet. Der Verkehrsplaner, der nun nach langem Suchen kommen wird, hat viel zu tun. "Sehen Sie sich den Acker noch einmal gut an, das nächste Mal wenn Sie kommen, ist er nicht mehr da", erzählt Baudezernentin Czepan.
Zwei Jahre warten auf Halteverbotsschilder
Entwicklungsgebiet reiht sich an Entwicklungsgebiet, auf dem Investoren schon bauen oder noch planen - und überall hat die Gemeinde ein Wort mitzureden. Das Flughafenumfeld wird irgendwann komplett bebaut sein mit Hotels, Bürohäusern, Event- und Kongressgebäuden.
Also auch hier: Bauanträge prüfen, Bebauungsplan fertig stellen. Zwar geht jeder Bauantrag zum Landkreis, der erteilt am Ende auch die Baugenehmigung, aber die Gemeinde muss ihr "gemeindliches Einverständnis" geben. Manches bleibt liegen. So hat es zum Beispiel im Ortsteil Waßmannsdorf zwei Jahre gedauert, bis er endlich die notwendigen Halteverbotsschilder hatte. Vorher parkten Fluggäste ihre Fahrzeuge in der Dorfstraße, so sparten sie die teuren Parkgebühren. Wochenlang standen die Autos im Ort, während sich die Halter auf Mallorca vergnügten.
Mehrmals musste der Ortsvorsteher an die Schilder erinnern, seit einer Woche sind sie da. Eine Anwohnerin hat vor lauter Freude einen Dankesbrief an die Verwaltung von Schönefeld geschrieben.
"Nicht genügend Kräfte"
Willi Belger, Hotelier in Groß-Ziethen - auch ein Ortsteil der Gemeinde Schönefeld -, ist voller Projekte und bisher noch nicht weit gekommen. Aktuell plant er einen Neubau auf seinem Grundstück mitten im Ort: mit weiteren Gästezimmern, aber auch Einrichtungen wie einer Apotheke oder Räume für Senioren. Die Pläne hat er Bürgermeister Hentschel auch schon unterbreitet. Der bremste den 82-Jährigen allerdings. "Das war unter anderem auch ein Punkt, den Herr Hentschel angeführt hat, bei dieser Beratung, dass es so schwierig ist, zeitgemäß diese Unterlagen zu bearbeiten, einmal weil sehr viel reinkommt und zweitens weil er nicht genügend Kräfte hat."
Der BER - Fluch und Segen zugleich
"Wir haben kein Zentrum, wir haben den Flughafen", sagt Baudezernentin Czepan. Der BER liegt mitten in der Gemeinde Schönefeld, die sechs Ortsteile gruppieren sich um den Flughafen herum. Um von einem Ortsteil zum anderen zu gelangen, also zum Beispiel von Selchow nach Waltersdorf, ist man manchmal recht lange unterwegs, da der Flughafen immer umfahren werden muss. Der ist für die Schönefelder Fluch und Segen zugleich: für die einen mehr Fluch, für die anderen mehr Segen.
Die Ortsteile sind zudem recht unterschiedlich: dörflich oder eher städtisch. Die einen leiden unter Fluglärm (Kiekebusch), die anderen gar nicht (Schönefeld). Der eine Ortsteil kann sich entwickeln (Waltersdorf), der andere nicht (Selchow). Die ohnehin schon strapazierte Verwaltung muss das ganze Schönefelder Ensemble, das übrigens erst seit 20 Jahren in der Form existiert, zusammenhalten. Auch das ist eine Herausforderung.