Konservative Islam-Strömung Wie gefährlich sind die Salafisten?

Stand: 13.04.2012 16:57 Uhr

Mit ihrer großangelegten Koran-Kampagne haben die Anhänger der Salafisten eines bereits erreicht: Öffentlichkeit. Doch wer sind die Salafisten überhaupt, was wollen sie? Und wie gefährlich sind ihre Anhänger? tagesschau.de gibt einen Überblick und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Von Simone von Stosch, tagesschau.de

Woher stammen die Salafisten?

Der Salafismus ist eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islam. Das arabische Wort  "salaf" heißt übersetzt "Altvordere, Vorfahre". Die Salafisten vertreten demnach "die Orientierung an den frommen Vorfahren". Sie gründeten sich Ende des 19. Jahrhundert in Saudi-Arabien als Gegenbewegung zu Reformbestrebungen im Islam. Diese Salafisten waren fundamentalistisch im Wortsinn: Sie forderten die radikale Rückbesinnung auf den Koran und orientierten sich an der Lebensweise zu Zeiten des Propheten Mohammed. Theologische Entwicklungen und modernere Auslegungen des Koran lehnten sie ab.

Was wollen die Salafisten heute?

Heute gilt der Salafismus als die am schnellsten wachsende radikale Strömung im Islam. Sein Ideal ist ein Gottesstaat, in dem die "Scharia" gilt, und es keine "von Menschen erfundenen" Gesetze gibt. Die Salafisten sind strikt gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter und für die Komplettverschleierung von Frauen. Sie betrachten Homosexualität als schwere Sünde und lehnen die moderne westliche Lebensweise strikt ab.

Im arabischen Raum haben die Salafisten durch die Revolutionsbewegungen an Einfluss gewonnen. Besonders stark sind sie in Ägypten vertreten. Im neuen ägyptischen Parlament stellt ihr politischer Arm, die Nour-Partei die zweitgrößte Fraktion. Die Nour-Partei fordert soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, kämpft für die Entmachtung des Militärs und gegen Korruption und Bestechlichkeit. Sie strebt eine gesellschaftliche Ordnung nach den Gesetzen der "Scharia" an. Eine politische Zusammenarbeit mit den islamischen Muslimbrüdern gilt als unwahrscheinlich, da die Muslimbrüder die Salafisten als zu radikal ablehnen.

Wie gefährlich sind die Salafisten?

Sicherheitsexperten unterscheiden zwischen dem puristischen Salafismus, der sich auf die Regelung privater Lebensbereiche beschränkt, und dem politischen Salafismus. Diese Minderheit innerhalb der Salafisten verfolgt nach Einschätzung des Verfassungsschutzes Ziele, die nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar sind. Kaum ein Grundrecht hätte in einer salafistischen Gesellschaftsordnung noch Bestand, so die Einschätzung des Innenministeriums.

Schon 2011 warnten die deutschen Innenminister vor den Gefahren der salafistischen Gruppierungen. Der Salafismus sei der "Nährboden für den islamischen Terrorismus". Zwar unterscheiden die Verfassungsschützer deutlich zwischen dem politischen Salafismus und dem islamischen Terrorismus. Doch die Übergänge zur dschihadistischen Gruppierung sind fließend. Diese orientiert sich an der Terrorgruppe Al Kaida und propagiert den "Heiligen Krieg". Alle islamistischen Terroristen des 11. September 2001 gehörten einst salafistischen Strömungen an, darunter auch die drei Selbstmordattentäter der Hamburger Terrorzelle und die so genannte Sauerland-Gruppe, die Terror-Anschläge in Deutschland plante. Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm fasst die Gefahr so zusammen:"Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber jeder uns bekannte Terrorist war irgendwann einmal in salafistischen Zusammenhängen unterwegs."

Wie stark sind salafistische Gruppierungen in Deutschland?

Laut Schätzungen des Verfassungsschutzes haben die Salafisten in Deutschland rund viertausend Anhänger und ein knappes Dutzend Führungsfiguren. Besonders aktiv sind sie in Nordrhein-Westfalen, Frankfurt, Ulm und Berlin. Sie sind in unterschiedliche Gruppen zersplittert, in losen Netzwerken oder auch in eingetragenen Vereinen organisiert und verfügen über keine feste Struktur. Die Salafisten nutzen das Internet als zentrales Medium zur Verbreitung ihrer Ideologien und zur Rekrutierung neuer Anhänger.

Zu den bekanntesten Predigern in Deutschland gehört der deutsche Konvertit Pierre Vogel. Der Islamist und ehemalige Profiboxer organisiert viele Open-Air-Veranstaltungen und ist wegen angeblicher verfassungsfeindlicher Äußerungen schon länger im Visier der Staatsschützer. Eine weitere zentrale Figur ist Ibrahim Abou-Nagie. Der aus Palästina stammende ehemalige Geschäftsmann hat sich seit einigen Jahren ganz der Islam-Mission gewidmet, er arbeitet an der Verbreitung salafistischer Propaganda im Internet und betreibt die Internetseite  www.diewahrereligion.de. In seinen Internet-Botschaften prophezeit Nagie, dass alle Ungläubigen in die Hölle kommen.

Warum sorgt die kostenlose Koran-Verteilung für Aufregung?

Seit einem halben Jahr läuft in den Fußgängerzonen vieler deutscher Großstädte die Aktion "Lies!". Salafisten, die für eine besonders strenge Auslegung des Koran eintreten, verteilen kostenlos den Koran. Insgesamt 25 Millionen Exemplare wollen sie unter das Volk bringen. Der Verfassungsschutz warnt vor der Aktion. Es ginge nicht um den Koran, sondern um die Verbreitung der salafistischen Propaganda und um die Rekrutierung von Anhängern. Mit dem Koran in der Hand würden extremistische Ideologien verbreitet. Auch der Zentralrat der Muslime verurteilt die Koran-Verteilungen und distanziert sich von den Salafisten.

Wie aggressiv diese Gruppierung agiert, zeigte unlängst ein Video im Internet: Journalisten, die kritisch über die Salafisten berichtet hatten, wurden namentlich genannt und als  "Schweine" und "Affen" bezeichnet. Für die Produktion des Videos soll der Tunesier Sabri Ben A. verantwortlich sein. Er gehört offenbar zum Umfeld des Kölner Predigers Abou Nagie, der die Aktion der kostenlosen Koran-Verteilungen ins Leben rief.

Wie reagieren die Sicherheitsbehörden?

Gegen die kostenlose Verteilung von Koran-Büchern können die Sicherheitsbehörden nicht vorgehen, diese verstößt nicht gegen das Gesetz. Es gibt auch keine Hinweise, dass die Aktion von islamistischen Gruppen aus dem Ausland fremdfinanziert wird. Städte und Gemeinden können die Info- Stände der Salafisten nur dann verbieten, wenn dort zu Gewalt aufgerufen wurde oder verfassungsfeindliche Äußerungen getätigt werden. Dies ist in einigen Fällen geschehen, die Salafisten haben solche Verbote jedoch geschickt umgangen und die Verteilung der Koranbücher trotzdem fortgesetzt.

Schon länger werden die salafistischen Gruppierungen in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. Sowohl das Vereinsrecht als auch die Religionsfreiheit, die in Deutschland ein hohes Gut ist, setzten hohe Hürden gegen strafrechtliche Sanktionen wie ein Verbot einzelner Gruppierungen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) betont, dass die Religionsfreiheit da endet, wo zu Gewalt aufgerufen wird. Dem würde mit den Mitteln der Strafverfolgung entgegengewirkt. Für noch wichtiger hält Jäger aber die Aufklärung: Gerade junge Muslime müssten gestärkt werden und vor Propaganda geschützt werden, damit sie auf die Ideologien der Salafisten nicht hereinfallen.