Der Anschlag von Köln und "Pegida" Vereint im Hass auf Flüchtlinge und das System

Stand: 08.01.2019 11:24 Uhr

Der Anschlag von Köln zeigt, wie weit sich Einzelne radikalisieren können. Das Attentat ist nicht untypisch, rechtsextreme Anschläge richten sich oft gegen Politiker. Auch "Pegida"-Anhänger setzen auf dieses Feindbild.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Nach dem Anschlag von Köln hat die Chefin der Linkspartei, Katja Kipping, vor einer Eskalation der Gewalt in Deutschland gewarnt. Das gesellschaftliche Klima sei deutlich rauer geworden, sagte Kipping im rbb-Inforadio. "Wenn der braune Mob einmal loslegt, kann es jeden treffen."

Zuletzt hatten sich rechtsextreme Anschläge vor allem gegen Unterkünfte von geflüchteten Menschen gerichtet, Hunderte Angriffe hat es bislang in diesem Jahr gegeben. Nun geriet eine Politikerin ins Visier eines Attentäters, der nach Antifa-Recherchen in den 1990er-Jahren in der Neonazi-Szene rund um die "Freiheitliche Arbeiterpartei" (FAP) aktiv war. Der Verfassungsschutz von NRW bestätigte diese Angaben mittlerweile. Der 44-Jährige bewegte sich damit in einem politischen Milieu, das dem Umfeld von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nahestand.

Politiker im Visier

Dass einzelne Neonazis staatliche Repräsentanten als Ziel ihrer Attacken auswählen, ist im Rechtsterrorismus keineswegs die Ausnahme. Der Wissenschaftler Daniel Köhler legte eine Datenbank zu rechtsextremen Terrorgruppen und Attacken an und wertete Hunderte rechtsterroristische Vorfälle, rechtsextreme Tötungsdelikte sowie die Zusammensetzung von Neonazi-Zellen und deren Zielauswahl aus. Ergebnis: Zwischen 1963 und 2014 gab es im rechtsterroristischen Bereich mehrheitlich Einzeltäter oder sehr kleine Zellen mit zwei bis drei Mitgliedern - im Zeitraum ab 2000 liegt der Anteil sogar bei 88 Prozent. Seit den 1990er-Jahren dominierten im rechtsterroristischen Milieu zudem die Debatten über einen "führerlosen Widerstand" - eine Strategie, die auch für den NSU eine wichtige Rolle spielte.

Politiker und Regierungsvertreter waren im gesamten Untersuchungszeitraum zudem ein bevorzugtes Ziel rechtsterroristischer Akteure. Auch Anders Breivik wählte 2011 nicht Muslime oder Ausländer als Ziel seiner Anschläge aus, sondern sozialdemokratische Jugendliche und Politiker, weil er in ihnen Kollaborateure einer vermeintlichen "Islamisierung" Norwegens sah. Nach dem Anschlag gab es eine Debatte, inwieweit "islamkritische" Publizisten und Diskussionen Breivik zu seinen Taten ermutigt haben könnten.

"Gewaltorientierte Durchsetzung von Propaganda"

Heute weisen viele Politiker und Experten "Pegida" eine Mitverantwortung für das Attentat auf Henriette Reker zu. Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke sagte der "Passauer Neuen Presse", der Anschlag sei auch Ausdruck des Hasses, "den Pegida, AfD und andere weiter rechts säen". Die Decke der Zivilgesellschaft sei dünn geworden, betonte der Sozialpsychologe Andreas Zick im "Weserkurier": Der Rechtspopulismus dränge auf eine gewaltorientierte Durchsetzung der eigenen Propaganda.

Timo Reinfrank von der "Amadeu Antonio Stiftung" kritisierte, dass die rechtspopulistischen und islamfeindlichen Inhalte von "Pegida" als vermeintlich berechtigte Ängste verharmlost worden seien. "Die Drohungen gegen Flüchtlinge und Migranten, die auch immer wieder am Rande oder nach Pegida-Demonstrationen zu realer Gewalt führten, wurden nicht als Bedrohung der inneren Sicherheit verstanden." Der Anschlag von Köln zeige, so Reinfrank weiter, dass Pegida "mitgestochen" habe.

Ein Denkmal für den Attentäter?

Im "Pegida"-Milieu selbst versuchen die meisten Akteure, das Attentat von Köln als isolierte Tat eines Verwirrten darzustellen - oder als eine Verschwörung: Man könnte den Eindruck haben, schreibt beispielsweise die Facebook-Nutzerin Heike S., der Täter sei "ein bezahlter Wahlhelfer" gewesen, denn der Angriff habe der Kandidatin "sicher einen Großteil der Wählerstimmen eingebracht".

Andere zeigen sogar offen ihre Zustimmung: "Die Attentäter auf Hitler, erhielten im Nachhinein Ehre und Denkmäler", schreibt Hans Jürgen R. in der geschlossenen Facebook-Gruppe "Pegida - jetzt erst recht!", in der fast 5000 Personen organisiert sind. Fast im Minutentakt werden hier Hetzartikel geteilt und politische Gegner diffamiert. Viele Kommentatoren lassen ihrem Hass freien Lauf - und dieser richtet sich nicht nur gegen Flüchtlinge und Politiker, sondern auch sehr stark auch gegen die Gesellschaft in den westlichen Bundesländern. "Es wird Zeit für den Grenzschließung, auch die ehemaliger innerdeutsche Grenze wieder zu machen. Sollen die im Westen mit ihrer Fähnchen-Winke-Winke-Politik allein klarkommen", meint Lars S. Und Stephan K. pflichtet ihm bei und ergänzt: "Der westdeutsche hat seine Herkunft seine werte schon längst vergessen... Kampflos und mit vollen Hosen gibt er alles aus der Hand..der ossi alleine kann es nicht richten."

Neue Drohung gegen Politiker

In Sachsen bedrohten Unbekannte derweil Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) mit einer Hassbotschaft. Sie schmierten auf einen Container in der Leipziger Innenstadt einen Galgen und die Worte "OB Jung wir kriegen Dich". Vergangene Woche hatten "Pegida"-Demonstranten einen Galgen gezeigt, der für Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel reserviert sei.

Mittlerweile nehmen die Sicherheitsbehörden "Pegida" und deren Ableger stärker ins Visier. Es gebe Anzeichen, "dass das hetzerische und aggressive Potenzial dieser Veranstaltungen zunimmt", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. "Diese Entwicklung wird sehr aufmerksam von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verfolgt."

"Pegida"-Demo in Dresden

Am Abend werden in Dresden mehr als 10.000 Personen zum ersten Jahrestag von "Pegida" erwartet. Die Dresdener Polizei forderte angesichts mehrerer Gegendemonstrationen Verstärkung aus anderen Bundesländern an, auch Bundespolizei wird im Einsatz sein.