Energie Warum sind die Strompreise der Thüringer Versorger im Schnitt am teuersten?

23. Dezember 2023, 22:32 Uhr

Die durchschnittlichen Strompreise waren 2023 in Thüringen erneut am höchsten und lagen rund sechs Cent je Kilowattstunde über dem bundesweiten Durchschnitt. Energieexperten sehen vor allem die Versorgerpreise kritisch, die sich teilweise extrem unterschieden. Die Energierversorger in Weimar und Sömmerda waren 2023 besonders teuer.

Aktuelle Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks finden Sie jederzeit bei mdr.de und in der MDR Aktuell App.

Das Vergleichsportal Verivox hat in seinem neuen Verbraucheratlas einmal mehr festgestellt, dass die durchschnittlichen Strompreise der Thüringer Versorger im bundesweiten Vergleich am höchsten sind. Mit 43,81 Cent/Kilowattstunde (kWh) verlangen die Anbieter aus dem Freistaat im Schnitt sechs Cent mehr als im bundesweiten Durchschnitt. Schon im vergangenen Jahr belegte Thüringen im Ranking den letzten Platz. Die aktuellen Zahlen von Verivox belegen auch: An den Netzentgelten liegt es derzeit nicht. Diese sind in Thüringen mit 8,1 Cent/kWh im Jahr 2023 die niedrigsten aller neuen Länder und sogar geringer als im Bundesdurchschnitt gewesen.

"Normalerweise sind regionale Unterschiede im Strompreis immer durch die Netzentgelte zu begründen, doch die sind in Thüringen nicht besonders hoch", wundert sich Lundquist Neubauer, der Energieexperten von Verivox. Er identifiziert einen anderen Preistreiber in Thüringen: "Ich habe mir die Daten noch mal genauer angeschaut und gesehen, dass vor allem die örtlichen Versorger, also die Grundversorger in Thüringen, vergleichsweise teurer sind." Diese würden den Schnitt maßgeblich beeinflussen.

Durchschnittliche Strompreise in Deutschland 2023
  Strompreis
Deutschland 38,09 C/kWH
Neue Bundesländer 40,03 C/kWH
Baden-Württemberg 39,09 C/kWH
Bayern 36,97 C/kWH
Berlin 36,02 C/kWH
Brandenburg 39,61 C/kWH
Bremen 34,32 C/kWH
Hamburg 38,57 C/kWH
Hessen 37,18 C/kWH
Mecklenburg-Vorpommern 41,53 C/kWH
Niedersachsen   35,53 C/kWH
Nordrhein-Westfalen 37,94 C/kWH
Rheinland-Pfalz 38,98 C/kWH
Saarland 40,18 C/kWH
Sachsen 38,72 C/kWH
Sachsen-Anhalt 38,04 C/kWH
Schleswig-Holstein 40,03 C/kWH
Thüringen 43,81 C/kWH

Quelle: Verivox

Wie kommen die Zahlen von Verivox zustande? [hier aufklappen]

Verivox erhebt für die Durchschnittszahlen alle Tarife der über 800 Grundversorger in Deutschland und der je nach Bundesland 30 wichtigsten überregionalen Versorger. Diese werden nach der Quote der Bundesnetzagentur gewichtet (die aktuellen Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2022). Diese gibt einen Überblick darüber, wie viele Haushalte im gesamten Bundesgebiet Strom über die Grundversorgung beziehen (24 Prozent), wie viele in lokalen Verträgen sind (37 Prozent) und wie viele überregionale Stromanbieter gewählt haben (39 Prozent). Aus all diesen Daten entstehen die Durchschnittspreise der Bundesländer. Eine Unschärfe entsteht dadurch, dass es für die Haushaltsquote keine länderspezifischen Daten gibt.

Verivox-Sprecher Lundquist Neubauer 7 min
Bildrechte: Verivox
7 min

Lundquist Neubauer ist Energieexperte bei Verivox. Im Interview erklärt er, wie sich der Strompreis zusammensetzt und wie Verivox die Vergleichsrechnung aufstellt.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Fr 22.12.2023 10:43Uhr 07:14 min

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/audio-interview-neubauer-verivox-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Extreme Preisunterschiede bei Grundversorgerpreisen

In der Tat scheinen die Grundversorgerpreise bei einigen Stadtwerke in Thüringen in den vergangenen fünf Jahren aus den Fugen geraten zu sein. Im Dezember 2018 zahlten Kunden bei ihnen noch zwischen 22,8 Cent/kWh (Arnstadt) und 26,27 Cent/kWh (Apolda) im Grundversorgungstarif. Im Dezember 2023 geht die Preisspanne von 29,74 Cent/kWh (Suhl) bis 69,98 Cent/kWh (Weimar). Aus einem maximalen Unterschied von 3,47 Cent sind inzwischen 40,24 Cent geworden.

Stichwort: Grundversorgung vs. Sondervertrag Alle Haushaltskunden haben Anspruch auf Grundversorgung. Das bedeutet, dass sie der Energieversorger mit den meisten Kunden in einem Netzgebiet mit Strom beliefern muss. Dafür verlangt der Anbieter den "allgemeinen Preis". In der Grundversorgung landet ein Kunde beispielsweise, wenn er nach dem Einzug in eine Wohnung keinen gesonderten Energieliefervertrag zu einem separaten Tarif abschließt, oder diesen kündigt, ohne einen neuen, anderen abzuschließen.

Eine Beispielrechnung mit zwei Familien macht klar, was das für die Thüringer bedeutet: Bei einem Jahresverbrauch von 4.000 kWh hat zwischen Familie A aus Arnstadt und Familie B aus Apolda 2018 ein Unterschied von nur 138,80 Euro im Grundversorgungstarif bestanden. Heute liegt der Unterschied von Familie A aus Suhl und Familie B aus Weimar bei 1.609,60 Euro - wohlgemerkt bei identischem Stromverbrauch.

Trend setzte schon vor der Energiekrise ein

Die enormen Preisunterschiede sind nicht erst mit dem russischen Angriffskrieg und der daraus resultierenden Energiekrise entstanden, berichtet Ramona Ballod von der Thüringer Verbraucherzentrale. "Das ging schon vorher los und war schon 2021 zu beobachten", sagt die Energieexpertin, die seit Jahren die Thüringer Strompreisentwicklung verfolgt. Die Energiekrise und die Kapriolen an der Strombörse hätten den Trend aber weiter verschärft.

Ramona Ballod ist Energieberaterin bei der Verbraucherzentrale Thüringen 14 min
Bildrechte: Verbraucherzentrale Thüringen

Ein Blick auf die Börsenpreise in den vergangenen Jahren zeigt, dass schon im Sommer 2021, als die Corona-Pandemie anfing abzuklingen und die Konjunktur allmählich wieder ansprang, die Strompreise kletterten. Einen ersten kurzzeitigen Strompreisschock gab es im Dezember 2021, der bereits im Februar 2022 abgeflaut war, ehe der russische Angriffskrieg die Strompreise erneut nach oben katapultierte. Im August 2022 erreichten sie den Höchstwert und hatten damals das sechsfache Niveau der heutigen Preise. Seit Frühjahr 2023 verhalten sich die Strompreise wieder relativ stabil, auch wenn sie sich im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren ungefähr verdoppelt haben.

Die schwierige Entwicklung an den Strombörsen der vergangenen Jahre erklärt die Preisunterschiede bei den Thüringer Versorgern teilweise, denn jeder von ihnen verfolgt eine eigene Einkaufspolitik und ist durch die eigene Stromerzeugung unterschiedlich abhängig vom Weltmarkt. Dass die Stadtwerke Suhl zum Beispiel auch heute noch so günstigen Strom anbieten können, liegt an der eigenen Stromerzeugung in einer Müllverbrennungsanlage. Müll ist ein Brennstoff der nur geringe Kosten bei der Energieerzeugung verursacht. Versorger mit Gaskraftwerken hatten es in den vergangenen Jahren entsprechend schwieriger.

Einige Versorger kassierten 2023 ab

Die Thüringer Verbraucherzentrale beobachtet aber auch Versorger, die 2023 offenbar einfach nur abkassieren wollten: "Krass wird es, wenn ohnehin teure Versorger noch einen Sondervertrag haben, der extrem viel billiger ist als die Grundversorgung", sagt Ballod. "Denn offensichtlich können die preiswert einkaufen, geben die Preise aber nicht an eine bestimmte Kundengruppe weiter."

Beobachten lässt sich diese Preisdifferenz in den eigenen Angeboten besonders deutlich bei den Stadtwerken Weimar. Im Dezember 2023 verlangten sie im günstigsten Sondervertrag rund 34 Cent/kWh weniger als in der Grundversorgung. Auch beim Sömmerdaer Energieversorger betrug die Differenz 2023 rund 28 Cent/kWh. Mit beiden Energieversorgern hätte MDR THÜRINGEN gern über die Strompreisentwicklung gesprochen. Mit Verweis auf die bevorstehende Weihnachtszeit und die grassierende Krankheitswelle sagten beide das angefragte Interview ab.

Ein Stromzähler zeigt die verbrauchten Kilowattstunden an.
In Weimar und Sömmerda wichen die Preise der Grundversorgung 2023 extrem von den Vertragspreisen ab. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Preisnachlässe für 2024 erwartet

Doch es gibt auch gute Nachrichten für Sömmerdaer und Weimarer Energiekunden. Beide Versorger haben angekündigt, 2024 ihre Preise für die Grundversorgung deutlich zu senken. Damit werden sich die Preise in der Grundversorgung in etwa an die günstigeren Tarife der Vertragskunden angleichen. "Ich vermute mal, dass da die Thüringer Kartellaufsicht eingegriffen hat", sagt Ballod und mahnt auch die Kommunen, darauf zu achten, mehr Fairness herzustellen: "Die Kommunen sitzen in den Aufsichtsgremien der Stadtwerke und müssen da ein Auge draufhaben, was sie ihren Bürgern zumuten."

2024 scheinen viele Thüringer Energieversorger ihre Strompreise weiter nach unten zu korrigieren. Die Preisspanne in der Grundversorgung wird nach einer vorläufigen Auswertung zwischen 29,8 Cent/kWh und 46,75 Cent/kWh liegen. Noch nicht mit eingepreist sind dabei aber die steigenden Netzentgelte, die deutschlandweit anziehen werden. Die Höchstspannungsnetzbetreiber haben angekündigt, ab 2024 um 3,31 Cent/kWh zu verteuern. Grund dafür sind die Kürzungen im Bundeshaushalt, denen ein 5,5 Milliarden schwerer Zuschuss zum Opfer gefallen ist.

Strompreis bleibt weiter hoch

Im Vergleich zum Vorkrisen-Niveau wird der Strompreis also vermutlich hoch bleiben. Ramona Ballod rät deshalb, die kostenlose Energieberatung der Thüringer Verbraucherzentrale in Anspruch zu nehmen. "Also ich würde in keinem Vertrag mehr bleiben, der 40 Cent die Kilowattstunde oder mehr verlangt." Noch immer seien viele Thüringer zu konservativ, wenn es um ihre Stromversorgung gehe. Vielen sei es zu heikel, den Stromversorger zu wechseln, weil so viele negative Beispiele im vergangenen Jahr in den Medien kursierten. Die positiven Beispiele blieben medial oft unbeachtet, so Ballod.

Hochspannungsleitung vor wolkenlosem blauem Himmel
2024 steigen die Netzentgelte bei den Betreibern der Höchstspannungsnetze. In Thüringen ist das die Firma 50 Herz. Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Rat zum Wechsel des Stromanbieters

Auch Lundquist Neubauer von Verivox mutmaßt, dass in Thüringen die Wechselbereitschaft nicht besonders hoch ist: "Das war auch unsere These, als wir überlegt haben, warum Thüringen so abschneidet. Wenn viele Verbraucher in den teuren Tarifen verharren, dann haben die Grundversorger natürlich keinen Anreiz, ihre Preise zu verändern." Die Verbraucher könnten da selbst viel mehr Druck ausüben, wenn sie sich nach günstigeren Tarifen umschauen würden, sagt Neubauer. Ein Anreiz dafür könnte das Jahresende bereithalten: "Da laufen die Strom- und Gaspreisbremsen aus, insofern ist ein Wechsel vielleicht auch angebracht."

MDR (ask)

83 Kommentare

Ilse vor 20 Wochen

Wessi

Ist es Ihnen möglich, soweit zu denken, das auch Niedriglöhner sich z.B. gebrauchte Balkonmodule bei mittlerweile moderaten Preisen kaufen könnten, um diese selber zu installieren, auch ohne Versicherungen ?

ElBuffo vor 20 Wochen

Gerade die Älteren, die eigentlich immer alles besser wissen ;o) Steht regelmäßig in der Zeitung, im Rundfunk hört man auch regelmäßig davon. Wer dann trotzdem nicht will, will es eben so.

ElBuffo vor 20 Wochen

Den Spaß sich ein Denkmal zu setzen haben oft Bürgermeister oder Landräte. Da gibt es Fördermittel für die Errichtung und wenn dann die ersten Instandsetzungen fällig werden, ist man längst in Rente oder sonstwo. Wirtschaftlichkeitsberechnungen werden geschönt und insbesondere alle anderen Bäder im prognostizierten Einzugsbereich ignoriert.

Mehr aus Thüringen