Thüringen "Das war keine Sternstunde für die Demokratie in Deutschland" - Der Landtagsdirektor Jörg Hopfe im Interview
Der Landtagsdirektor Jörg Hopfe ordnet im Interview ein, was auf der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags geschehen ist und warum Alterspräsident Treutler (AfD) sich nicht verfassungskonform verhalten hat.
Während der ersten Sitzung des neuen Thüringer Landtags ist ein Mann aufgefallen, der nicht zu den Abgeordneten gehört: Jörg Hopfe, der Landtagsdirektor. Der Jurist mit der roten Krawatte hat während der Unterbrechungen die Parlamentarischen Geschäftsführer und den Alterspräsidenten energisch, aber besonnen beraten. Wer ist dieser Mann und wie hat er die konstituierende Sitzung erlebt? Welche Aufgaben hat er als Landtagsdirektor? Und was sagt er über das Handeln von Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD)?
Herr Hopfe, wie haben Sie die gestrige Sitzung erlebt?
Das war keine Sternstunde für die Thüringer Demokratie und auch keine Sternstunde für die Demokratie in Deutschland insgesamt.
Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?
Nein. Ich bin seit mehreren Jahrzehnten hier im Parlamentsbetrieb tätig und habe manche auch turbulente Sitzung miterlebt. Da ging es aber immer um einen pointierten Austausch unterschiedlicher politischer Positionen unter Beachtung der Grundregeln, die in einer parlamentarischen Demokratie gelten.
Das ist der Punkt, der den Unterschied zur gestrigen Sitzung ausmacht. Da ist erkennbar an verschiedenen Stellen diese gemeinsame Geschäftsgrundlage verlassen worden.
Jörg Hopfe ist als Landtagsdirektor sozusagen der Chefjurist des Thüringer Landtags. Er sitzt während der Plenartagung auf dem Pult gleich hinter dem Präsidenten oder der Präsidentin und berät die Sitzungsleitung ad hoc in allen wichtigen Fragen. Hopfe ist sozusagen der "Chef-Auskenner" in allen Fragen der Geschäftsordnung und der übrigen Landtags-Regularien. Nach seinen Worten hat sich die Verwaltung über Monate auf die konstituierende Sitzung vorbereitet und verschiedene Szenarien durchgespielt.
Sie standen mehrmals mit den parlamentarischen Geschäftsführern und dem Alterspräsidenten zusammen. Wie haben Sie dort die Beteiligten wahrgenommen?
Unterschiedlich. Die Beteiligten von den Fraktionen der CDU und BSW, Linke und SPD haben das eingefordert, was sie als Parlamentarier mit einem freien Mandat ausgestattet auch verlangen konnten. Das ist ihnen von anderer Seite erkennbar verweigert worden. Deshalb sah ich mich dann irgendwann gehalten, bei aller mir gebotenen Zurückhaltung als Landtagsdirektor, dem Alterspräsidenten den Hinweis zu geben, dass sein Verhalten rechtswidrig ist.
Worin genau bestand die Regelwidrigkeit im Verhalten von Treutler?
Der Alterspräsident ist in der Verfassung des Freistaates Thüringen selbst nicht erwähnt. Er hat dementsprechend dort auch keine Kompetenzen. Er ist in der Geschäftsordnung erwähnt. Dort sind ihm auch nur sehr eng umrissene Kompetenzen zugewiesen. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass der Start eines neuen Landtages reibungslos verläuft durch eine Sitzungsleitung, die geprägt ist von der notwendigen parteipolitischen Neutralität.
Das hatte ich ihm in einem ausführlichen zweistündigen Vorbereitungsgespräch auch dargelegt und ausdrücklich davor gewarnt, eine Rede, die ihm selbstverständlich als Alterspräsident zusteht, dafür zu nutzen, parteipolitische Positionen zu verkünden. Er hat trotz dieser intensiven Beratung im Vorfeld die Redemöglichkeit genutzt, um erkennbar einseitige Sichtweisen und Positionen zu vertreten.
Das ist etwas, was schon deutlich von dem parlamentarischen Brauch abweicht und mit Blick auf die gebotene Neutralität einer Sitzungsleitung nicht angebracht ist. Unabhängig davon ist von ihm nicht zur Kenntnis genommen worden, dass der neue Landtag mit seinem Zusammentritt, den er ja korrekt festgestellt hat, ein Selbstorganisationsrecht hat. Und dass der Landtag sich eine Geschäftsordnung gibt, also eine Geschäftsordnungsautonomie hat, auch das von Anfang an.
Insofern muss jeder einzelne Abgeordnete im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben die Möglichkeit haben, Anträge zu stellen, sie zu begründen und auch eine Abstimmung zu den Anträgen zu bekommen.
Wenn dies verhindert wird, wird ein ganz zentrales Instrument in einer parlamentarischen Demokratie, nämlich das Mehrheitsprinzip, ausgehebelt. Dieses Mehrheitsprinzip ist ein essenzieller Teil des Demokratieprinzips und auch ein tragendes Prinzip in unserer Verfassung.
So sind also insgesamt nicht nur Rechte des einzelnen Abgeordneten, Rechte der Fraktionen, die in unserer Verfassung mit einer besonderen Bedeutung und mit besonderen Rechten ausgestattet worden sind, verletzt worden. Sondern auch das Recht des gesamten Landtags, seine Geschicke im Rahmen der Selbstorganisation und der Berücksichtigung der Geschäftsordnungsautonomie von Anfang an eigenverantwortlich zu gestalten, wurde verletzt.
Der Alterspräsident ist nicht derjenige, der in dieser Startphase, ich sag das jetzt mal etwas salopp, Herrscher aller Reußen ist. Sondern er ist, bitte richtig verstehen, nur der Sitzungsleiter, der ein bestimmtes Programm zu moderieren hat, damit dann eine ordnungsgemäße Wahl eines Landtagspräsidenten oder einer Landtagspräsidentin ermöglicht wird und damit der Prozess der Konstituierung des Landtags wirksam abgeschlossen werden kann.
Können Sie zusammenfassen, worum genau es bei dem Streit ging?
Es ging bei dem Streit zunächst einmal um die Frage der Beschlussfähigkeit. Sie haben das an dem Antrag von Andreas Bühl (CDU) gesehen, dass er zu einem relativ frühen Zeitpunkt die Beschlussfähigkeit festgestellt sehen wollte. Aufgrund der Vorgespräche, die wir intensiv mit allen Beteiligten geführt haben, bestand die berechtigte Sorge, dass man möglicherweise in eine Tagesordnung eintritt, die nicht mit den Vorstellungen der Mehrheit des Hohen Hauses übereinstimmt, und man dann sagt, wir sind jetzt in die Tagesordnung eingetreten, damit ist diese akzeptiert worden und wir verfahren so.
Die Präsidentin des Siebten Landtages, Birgit Pommer (Linke), hat im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen, völlig korrekt übrigens, eine Einladung zum ersten Zusammentritt des achten Thüringer Landtags herausgegeben. Zum Zeitpunkt der Herausgabe der ersten Einladung lag noch kein Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung vor.
Dieser ist kurze Zeit später von den Fraktionen der CDU und des BSW hier eingereicht wurden. Die Landtagspräsidenten Pommer hat - aus unserer Sicht völlig korrekt - diesen Punkt in der Tagesordnung aufgenommen, eine Neufassung herausgegeben und diese dann als Vorschlag an das neue Parlament allen zur Kenntnis gegeben.
Lantagsdirektor Jörg Hopfe spricht mit Alterspräsidenten Treutler von der AfD über den korrekten Ablauf der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags.
Treutler hat ja im Rahmen seiner Rede deutlich gemacht, dass er diese Neufassung der Einladung nicht zum Gegenstand der Verhandlungen machen möchte. Wenn man sich seitens der anderen Fraktionen darauf eingelassen hätte, sich erst mal auf dieser Basis im Verfahren zu bewegen, hätte das eine Anerkennung der Tagesordnung ohne den Punkt "Änderung der Geschäftsordnung" bedeutet. Das wollte Herr Bühl mit seiner frühzeitigen Intervention verhindern.
Was wurde denn gesagt, als Sie mit den Parlamentarischen Geschäftsführern und dem Alterspräsidenten beisammen standen?
Wir haben als Parlamentsverwaltung eine Beratungsfunktion für alle Abgeordneten, gleich welcher Couleur, ich will das mit aller Deutlichkeit sagen. Ebenso wie eine Landtagspräsidentin oder ein Landtagspräsident, die oder der parteipolitisch neutral die Amtsgeschäfte zu führen hat, ist auch die Landtagsverwaltung gehalten, hier absolute parteipolitische Neutralität zu wahren.
Das bedeutet, dass wir unabhängig von der Zugehörigkeit des Landtagspräsidenten zu einer Fraktion alle Fraktionen, alle Abgeordneten gleichermaßen nach bestem Wissen und Gewissen beraten. Und so haben wir das auch bei diesen Sitzungsunterbrechungen getan. Wir haben auf die einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorschriften hingewiesen, um zu bewirken, dass der weitere Gang des Verfahrens sich verfassungskonform gestaltet und man die Differenzen, die hier zutage getreten sind, parlamentsintern löst.
Wir sind der festen Überzeugung, dass es nicht nur das Recht, sondern vor allen Dingen auch die Aufgabe, die Verpflichtung, von Parlamenten ist, bei auftretenden Differenzen zunächst einmal eine interne Lösung zu finden, bevor man ein Gericht anruft, denn das ist immer nur Ultima Ratio. Unser Bemühen während dieser Sitzungsunterbrechung diente dazu, dass man zu dieser Ultima Ratio tunlichst nicht kommen muss.
Da aber hier ganz offensichtlich eine Verweigerung bestand, sich bestimmten rechtlichen Gegebenheiten zu stellen, war es dann wohl unvermeidbar, dass von einem der Beteiligten irgendwann die Notbremse gezogen wurde und der Verfassungsgerichtshof sich nun mit der Angelegenheit zu beschäftigen hat.
Das heißt, Treutler als Alterspräsident hat sich nicht verfassungskonform verhalten?
Er hat, das habe ich auch in diesen Beratungen gesagt, die Rechte der einzelnen Abgeordneten, die Rechte der Fraktionen, die Rechte des Gesamtparlaments, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Mehrheitsprinzips, außer Acht gelassen und damit verletzt.
Jetzt entscheidet der Verfassungsgerichtshof. Was erwarten Sie von dieser Entscheidung?
Ich kann dem unabhängigen Gericht natürlich nicht vorgreifen. Aber ich bin ein Mann, der sich seit vielen Jahren intensiv mit Verfassungsrecht und Parlamentsrecht beschäftigt. Ich bin seit Anfang der 1990er-Jahre einer der Kommentatoren der Thüringer Verfassung.
Insofern gehe ich davon aus, dass der Thüringer Verfassungshof aller Wahrscheinlichkeit nach deutlich machen wird, dass der Alterspräsident hier erstens seine Kompetenzen überschritten hat und zweitens, dass die von mir genannten Rechte einzelner Abgeordneter der Fraktionen, aber auch des Gesamtparlaments, verletzt worden sind und daher ein anderes Verfahren an den Tag zu legen ist. Aber wie gesagt, ich kann und will dem Gericht nicht vorgreifen. Das gebietet schon der Respekt vor dem höchsten Thüringer Gericht.
Falls das Gericht so entscheidet, wie sie es gerade dargelegt haben, wie geht denn die Sitzung am Samstag weiter?
Wenn Herr Treutler sich an eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, die die Rechtsauffassung der CDU-Fraktion und der anderen Fraktionen mit Ausnahme der AfD-Fraktion teilt, halten würde, müsste er zunächst einmal die Feststellung der Beschlussfähigkeit vornehmen und dann wäre über die Neufassung der Tagesordnung einschließlich des Punktes Änderung der Geschäftsordnung abzustimmen.
Was würde passieren, wenn Treutler sich nicht an den Spruch des Verfassungsgerichts halten würde?
Sie stellen wahrscheinlich auf das Interview, das Herr Fraktionsvorsitzender Björn Höcke im Anschluss an die Sitzung gegeben hat, ab, in dem er darauf hingewiesen hat, dass aus seiner Sicht der Thüringer Verfassungsgerichtshof nicht die notwendige Neutralität an den Tag legen könnte. Insofern ist das Risiko, dass möglicherweise ein Spruch aus Weimar dann doch keine Beachtung findet, nicht von vornherein auszuschließen. Das wäre sehr bedauerlich, weil es ein erneuter Schlag gegen Rechtsstaatlichkeit wäre.
Aber spielen wir es mal durch. Wenn es dazu käme, wären die anderen Fraktionen im Rahmen ihres Selbstorganisationsrechtes gehalten, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen und zum Beispiel durch Bestellung eines neuen Sitzungsleiters eine geordnete Konstituierung des Thüringer Landtags voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen.
Es wäre möglich, einen neuen Sitzungsleiter zu stellen?
Ich betone, ich möchte Herrn Treutler in keiner Weise unterstellen, dass er sich nicht an den Spruch des Verfassungsgerichtshofs hält. Aber mal angenommen, es käme so, wäre das meines Erachtens im Rahmen der Selbstorganisation des neuen Parlamentes und mit Blick darauf, dass man natürlich als neues Parlament das Vertrauen haben muss, dass der Sitzungsleiter sich an Recht und Gesetz und damit auch an eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hält, sehr wohl möglich.
Nun wäre der nächstälteste Abgeordnete auch ein Abgeordneter der AfD. Wäre dieser dann automatisch der nächste Sitzungsleiter oder könnte das Parlament einen anderen bestimmen?
Sie haben Recht, wenn Herr Treutler verhindert wäre, die Sitzungsleitung wahrzunehmen, wäre der nächstälteste Abgeordnete Wolfgang Lauerwald von der AfD-Fraktion. Wenn man sich an das halten würde, was tradiert immer praktiziert worden ist, wäre Herr Lauerwald zunächst einmal dran. Aber mit Blick auf die Vorgeschichte, die das ganze jetzt hat, halte ich es auch nicht für ausgeschlossen, dass man sofort zur Ernennung eines Sitzungsleiters kommt, der das Vertrauen der Mehrheit des Hohen Hauses auf sich vereinigen kann.
Könnte dann die AfD-Fraktion irgendetwas dagegen unternehmen?
Jedem ist der Gang zum Gericht eröffnet.
Die AfD-Fraktion könnte dann also auch das Verfassungsgericht anrufen?
Das könnte sie anrufen, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass das Verfassungsgericht sich mit der Frage auseinanderzusetzen hat, ob hier Verfassungsrecht verletzt wird. Wenn die Frage ansteht, ob möglicherweise ein Verstoß gegen das parlamentsinterne Binnenrecht, also die Geschäftsordnung, vorliegt, dann ist das etwas, was ein Verfassungsgericht nicht interessiert. Denn dieses ist von Gesetzes wegen gehalten, sich mit etwaigen Verfassungsverstößen zu befassen.
Welches Gericht könnte die AfD dann anrufen?
Das wäre Sache der AfD. Es wäre natürlich, wenn die AfD geltend macht, in ihren verfassungsmäßigen Rechten durch eine solche Bestellung eines unabhängigen Sitzungsleiters verletzt worden zu sein, wieder der Thüringer Verfassungsgerichtshof.
MDR (caf)