Die Aufschrift "Opfer" auf einem Mülleimer © picture alliance / Wolfram Steinberg Foto: Wolfram Steinberg

Mobbing unter Jugendlichen: Zwei Drittel für Absenkung der Strafmündigkeit

Stand: 28.04.2023 14:37 Uhr

In den vergangenen Monaten gab es bundesweit mehrere Fälle von teilweise extremer Gewalt unter Kindern und Jugendlichen - einer davon in Schleswig-Holstein. Eine Umfrage zeigt: Das Thema bereitet der Mehrheit große Sorgen.

von Julia Schumacher

Demütigungen, Schläge, Quälereien: Mehrere Mädchen und Jungen misshandelten im Februar in Heide (Kreis Dithmarschen) eine 13-Jährige und filmten die Tat. Das Thema war bundesweit in den Medien - auch in anderen Bundesländern gab es Fälle von extremer Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Seitdem ist das Thema Mobbing und Gewalt wieder ins Blickfeld vieler Menschen gerückt - das zeigen Zahlen einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap im Auftrag von NDR Schleswig-Holstein. Mehr als Dreiviertel der Befragten halten Mobbing unter Kindern und Jugendlichen derzeit für ein sehr großes oder großes Problem.

Auf die Frage, wer nun in der Pflicht steht, Mobbing zu verhindern und zu bekämpfen, antwortet die Hälfte der Befragten: Das müssen die Eltern tun. Jeder Dritte verweist auf die Schulen, nur jeder Zehnte sieht am ehesten die Politik in der Verantwortung, gegen Mobbing vorzugehen.

"Eltern können das nicht alleine lösen"

"Natürlich sind Eltern dafür verantwortlich, Kindern Werte und Wertschätzung zu vermitteln," sagt Claudia Pick, Vorsitzende vom Landeselternbeirat an Gymnasien. "Aber Kinder und Jugendliche sind auch viel aus dem Haus und verbringen ihre Zeit zu einem großen Teil in der Schule." Es sei immer einfach, da auf die Eltern zu verweisen. Doch nach Picks Ansicht ist das eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft: "Die können die Eltern nicht alleine lösen."

Dass das Thema gerade jetzt hochkommt, sei kein Zufall, meint Pick: "Es gab mit Corona drei Jahre Stillstand ohne ein richtiges soziales Miteinander, die Kinder sind aber trotzdem älter geworden." Diese Generation habe in den der Zeit viel gelitten. "Wir würden uns wünschen, dass das Thema Mobbing und Gewalt an allen Schulen sehr ernst genommen wird." Der Landeselternbeirat an Gymnasien möchte, dass alle Schulen ein mit Eltern, Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften entwickeltes und gemeinsam getragenes Präventionskonzept haben.

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Alle an der Schule sensibilisieren

Es gebe bereits eine Fülle an Programmen und Möglichkeiten für Schulen, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium: Das reiche von der Lehrkräftefortbildung über die Begleitung auf Schulentwicklungstagen bis zur Umgestaltung und Neustrukturierung der Schule. Konzepte gegen Mobbing seien durch Paragraf 4 des Schulgesetzes gesichert.

Die Art und und der Umfang von Mobbing habe sich allerdings in den vergangenen Jahren stark verändert: "Soziale Kontakte finden mehr und mehr medial, oft im Rahmen sozialer Netzwerke statt. Schülerinnen und Schüler werden immer häufiger Opfer von digitalen Angriffen," sagt eine Sprecherin im Bildungsministerium. Aufgrund der oft starken Eskalation von Mobbingprozessen sollten alle an Schulen tätigen Menschen sensibilisiert werden.

Strafmündig schon mit zwölf?

Nach Fällen wie dem in Heide wird immer wieder diskutiert, das Alter für die Strafmündigkeit herabzusetzen - von 14 auf 12 Jahre. Denn einige der Beteiligten in Heide waren noch keine 14 Jahre alt und können deshalb nicht strafrechtlich belangt werden. Unter den Befragten von infratest dimap erhält der Vorschlag für eine Änderung auf zwölf Jahre große Zustimmung: Zwei Drittel halten ihn für richtig. Ein gutes Viertel hingegen findet die Idee falsch. Unterstützung bekommt eine Altersabsenkung bei Anhängern fast aller Parteien. Bei Grünen-Wählern halten sich Zuspruch und Ablehnung allerdings in etwa die Waage.

Dass solche Forderungen aufkommen, sei verständlich, so ein Sprecher im Justizministerium. Die Bundesregierung sei aufgefordert worden, eine Studie dazu in Auftrag zu geben, wie die altersbezogene Entwicklung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei Kindern ist. Erst auf dieser Grundlage könne man seriös beurteilen, ob es den Bedarf gibt, Gesetze zu ändern.

FDP: Vorschlag ist populistisch

Oliver Kumbartzky, Parteichef der Landes-FDP, hält den Vorstoß für populistisch: "Das Strafalter herabzusetzen, ist meiner Meinung nach ein Schnellschuss." Im Gespräch mit Verbänden wie dem Kinderschutzbund hätte er gesehen, dass das keine Lösung ist, um die Ursache anzupacken. "Wir müssen das Problem wirklich lösen, und das fängt mit dem Elternhaus an." Aber auch an den Schulen könne etwas getan werden: Erst am Mittwoch habe die Ratsversammlung in Heide beschlossen, einen Streetworker mehr einzustellen.

Lars Harms vom SSW ist in der Frage nach der Strafmündigkeit noch unentschieden "Ich finde, da sollte man sich ganz in Ruhe mit Fachleuten zusammensetzen. Ich bin offen, darüber zu reden." Es müssten Fragen geklärt werden, ob Zwölfjährige schon in der Lage sind, ihre Taten vollständig zu übersehen. "Bei einem 14-Jährigen gehen wir davon aus. Ob das bei einem Zwölfjährigen auch der Fall ist, weiß ich nicht, will ich nicht bewerten."

Bildungsministerin schließt Absenkung der Strafmündigkeit nicht aus

SPD-Parteivorsitzender Thomas Losse-Müller ist dagegen: "Ich kann das verstehen, vor dem Hintergrund des schrecklichen Falls, den wir in Schleswig-Holstein erlebt haben." Viele Menschen würden sich wünschen, dass da etwas gemacht werden müsse. "Aber wir dürfen nicht vergessen: Das würde alle Zwölfjährigen betreffen, die jetzt in irgendeiner Form Schwierigkeiten haben. Wir haben aus guten Gründen 14 Jahre." Man müsse alle im Blick behalten. Diesen Fall hätte man nur mit sozialen Hilfen verhindern können.

Bildungsministerin Karin Prien (CDU) schließt eine Änderung der Strafmündigkeit nicht völlig aus: "Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, ob eine frühere Strafmündigkeit ein wirksames Mittel wäre. Ich bin mir da nicht ganz so sicher." Pädagogische Maßnahmen müssten im Vordergrund stehen. "Aber vielleicht müssen wir dazu kommen, dass zwar die grundsätzliche Strafunmündigkeit bei unter 14-Jährigen weiter gilt, wir aber in Einzelfällen, wenn die entsprechende Reife vorhanden war, auch Ausnahmen machen können."

Psychologen warnen vor Schnellschüssen

Der Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen warnt davor, voreilig eine gesetzliche Entscheidung solcher Art etwa auf politischen Druck durch Petitionen oder aus der Allgemeinbevölkerung durchzusetzen, denn dies "könnte fatale Folgen für Kinder und Jugendliche und somit auch für unsere Gesellschaft als Gemeinschaft mit sich ziehen." Die Debatte über eine mögliche Herabsetzung der Strafmündigkeit dürfe - wenn überhaupt - nur unter Berücksichtigung aller Faktoren - psychologische, soziale, rechtliche, ethische usw. - und unter Einbeziehung aller Expertinnen und Experten erfolgen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 28.04.2023 | 08:00 Uhr

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