Sven Liebich
Das Amtsgericht Halle hat Sven Liebich erstmals zu einer Haftstrafe verurteilt. (Archivbild, Juni 2022) Bildrechte: IMAGO/Steffen Schellhorn

Analyse Haftstrafe für Sven Liebich: Was das Urteil bedeutet

14. Juli 2023, 10:48 Uhr

Das Amtsgericht Halle hat Sven Liebich erneut wegen Volksverhetzung und Beleidigung verurteilt. Es ist nicht die erste Strafe für den Rechtsextremisten, aber die erste Haftstrafe ohne Bewährung. Das Verfahren stand unter der Frage, ob die Justiz überhaupt Einfluss auf Liebichs Handeln hat – und ob sie bislang zu nachsichtig war. Eine Analyse.

Thomas Vorreyer
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Das deutsche Strafrecht schützt wichtige Werte: zum Beispiel die Meinungsfreiheit, die Menschenwürde oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Diejenigen, die noch keine Straftaten begangen haben, soll das Strafrecht von solchen abhalten. Und wer doch straffällig wurde, soll davon abgebracht werden, es wieder zu tun.

Sven Liebich befand sich seit den Neunzigerjahren wiederholt im Konflikt mit dem Gesetz, seit über einem Vierteljahrhundert also. Hass und Hetze waren dabei oft eng mit dem Geschäft verknüpft. Erst durch den Vertrieb von Neonazi-Musik, später durch fragwürdige, teils strafbare Aufkleber- und T-Shirt-Motive.

Bisherige Strafen mit bestenfalls geringer Wirkung

Ab 2016 wurde der Rechtsextremist mehrfach zu Geldstrafen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Zu seinen Vorstrafen gehören solche wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Körperverletzung und Steuerhinterziehung. Allein auf Liebichs Demonstrationen und Postings gegen Geflüchtete, Politiker oder Menschen aus der Zivilgesellschaft hat das offenbar wenig bis gar keinen Einfluss gehabt.

So sah es auch die Richterin am Amtsgericht Halle, die Sven Liebich nun erneut verurteilt hat, – zu seiner ersten Haftstrafe ohne Bewährung. Bei der Urteilsbegründung betonte die Richterin mehrfach, dass Liebich einige der ihm vorgeworfenen Taten trotz laufender Gerichtsprozesse oder bereits erfolgter Verurteilungen begangen habe. Sie hatten offenkundig keine abschreckende Wirkung.

Nun eben anderthalb Jahre Haft wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und weiteren Vorwürfen, wobei beim Strafmaß eine noch nicht vollstreckte Bewährungsstrafe des Landgerichts Halle aus dem Herbst 2022 einbezogen wurde. Sollte das neue Urteil rechtskräftig werden, muss Liebich ins Gefängnis.

Meinungsfreiheit für Liebich hört bei Straftaten auf

Wie schon der Richter am Landgericht Halle war auch die Richterin um Differenzierung bemüht. Anders als von ihm behauptet, sei der Dauerdemonstrant Liebich selbst der Beleg dafür, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland existiere. Sogar "bis zur Unerträglichkeitsgrenze". Nur habe er diese eben mehrfach überschritten.

Da wäre ein Baseballschläger mit der Aufschrift "Abschiebehelfer". Liebich hatte diesen über einen Online-Shop vertrieben, dessen Geschäftsführer er zeitweise war. Inhaberin des Shops ist eine Schwester Liebichs. In einem Video schwang Liebich den Schläger zu den Worten: "Ertüchtigt Euch, treibt Sport, werdet Abschiebehelfer."

Kein Geständnis, keine Distanzierung von Taten

Aus Sicht der Richterin war die Botschaft klar. Das sei nicht witzig, sondern widerlich gewesen. Und gefährlich. In der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion über die Migrationspolitik "bietet das riesigen Sprengstoff", sagte sie. Als Einzelstrafe hätte es für diese Volksverhetzung acht Monate Freiheitsstrafe gegeben.

Wie klar solche Fälle in der Gesamtbewertung Liebichs dann liegen, zeigt, dass sowohl der Richter am Landgericht als auch die Richterin am Amtsgericht auf ein ähnliches Bild zurückgreifen: Liebich werfe "ein Streichholz in den Wald" beziehungsweise entfache Brände, wolle sich dann aber nicht dafür verantwortlich wissen. Und weil er die Taten weder eingestanden noch sich von diesen distanziert habe, habe er auch die Chance auf eine erneute Bewährung verwirkt. Denn er werde weiterhin Grenzen überschreiten.

Berufungsverfahren möglich

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, kann Liebich über die Worte der Richterin in Haft nachdenken. Ihm wäre vorerst dauerhaft Einhalt geboten. Wahrscheinlicher ist aber, dass er zunächst Rechtsmittel einlegt. Er selbst und seine Verteidigerin wollten sich am Dienstag nicht vor Journalisten äußern. Auch die Staatsanwaltschaft muss nun eine Berufung prüfen. Sie hatte zwei statt anderthalb Jahre Freiheitsstrafe gefordert.

Die Staatsanwaltschaft Halle steht unter besonderer Beobachtung. Ihr Umgang mit Liebich ist seit Jahren Thema in der Landespolitik und auch überregionaler Berichterstattung. Das "Bündnis Halle gegen Rechts", das mehrere Betroffene unterstützt, hatte ihr im Vorfeld der Urteilsverkündung jahrelanges Versagen vorgeworfen. Auch nach dem Urteil hieß es von Bündnis-Vertretern am Donnerstag, eine solche Strafe hätte es schon früher geben können. Die Behörde wehrt sich gegen den Vorwurf der Nachlässigkeit. Für den jetzigen Prozess hatte sie über 20 Vorwürfe zur Anklage gebracht.

Mehrere Verfahren zunächst eingestellt

Auffällig ist dennoch, dass mehrere dieser Verfahren von der Staatsanwaltschaft Halle zunächst eingestellt worden waren. Dazu gehörte eine besonders geschmacklose und sexualisierte, verbale Attacke Liebichs auf Vertreterinnen der Gruppe "Omas gegen Rechts" aus dem Dezember 2019.

Die damals zuständige Staatsanwältin hatte Liebichs Aussagen zunächst als zulässige Kritik gewertet, wenn auch als "unverschämte". Einen "massiven Eingriff auf die Menschenwürde" der Betroffenen stellten sie aber nicht dar.

Erst eine Beschwerde per Anwalt brachte die Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Richterin wertete die Tat als zweitschwerste. Dazu wäre es ohne das Engagement der Betroffenen nicht gekommen.

Bereits vor einem Jahr war die Zuständigkeit innerhalb der Staatsanwaltschaft neu geregelt worden. Laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft war die Kritik dafür nicht ausschlaggebend. Die Arbeit des nunmehr zuständigen Staatsanwalts im aktuellen Prozess wurde jedoch vom Bündnis ausdrücklich gelobt.

"Fall Liebich" noch nicht am Ende

Der Jurist hatte an einem früheren Verhandlungstag durchblicken lassen, dass weitere Anklagen gegen Liebich folgen dürften. Noch im März dieses Jahres waren über 300 Verfahren im Zusammenhang mit Liebich bei der Staatsanwaltschaft Halle anhängig.

Person auf einer Anklagebank im Gerichtssaal im Amtsgericht Halle
Sven Liebich musste sich am 13. Juli vor dem Amtsgericht verantworten. Bildrechte: MDR/MDR um 11

Und auch so steht der "Fall Liebich" nicht vor einem Abschluss. Noch in diesem Jahr muss er sich wegen des Vorwurfs der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung vor dem Amtsgericht Leipzig verantworten. Aktuell laufen zudem ein Gewerbeentzugsverfahren der Stadt Halle sowie Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg im Zusammenhang mit einem Online-Shop. Liebich äußert sich auch dazu nicht. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Seit dem Frühjahr dieses Jahres finden Liebichs montägliche Demonstrationen zudem nahezu still statt. Liebich hatte offen den Konflikt mit der Versammlungsbehörde gesucht. Die verschärfte die Auflagen für seine Lautsprecher und behielt damit vor dem Verwaltungsgericht die Oberhand.

Mit Material von Jana Merkel und Tim Schulz. Den ARD-Podcast "Extrem rechts - Der Hass-Händler und der Staat" der drei Autoren zum Umgang des Rechtsstaats mit Rechtsextremisten wie Sven Liebich können Sie in der ARD-Audiothek hören - und überall da, wo es Podcasts gibt.

MDR (Thomas Vorreyer, Jana Merkel, Tim Schulz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. Juli 2023 | 19:00 Uhr

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