Sachsen-Anhalt Lehrer als Seiteneinsteiger: So kann der Umstieg besser gelingen
Im Kampf gegen den Lehrermangel setzt Sachsen-Anhalt verstärkt auf Seiten- und Quereinsteiger. 2023 hatten etwa die Hälfte der neu eingestellten Lehrkräfte kein reguläres Lehramtsstudium. Doch der Einstieg in den Schulalltag ist oft schwierig: Rund ein Drittel der Seiteneinsteiger verlässt den Beruf nach kurzer Zeit wieder. Ein Blick in die Praxis.
- Viele Lehrer-Seiteneinsteiger in Sachsen-Anhalt stehen vor dem Start an der Schule vor großen Herausforderungen.
- Es gibt immer mehr Seiteneinsteiger in Sachsen-Anhalt und wo es möglich ist, bekommen sie Paten an die Seite gestellt.
- Seiteneinsteiger sollen mit wenig Unterrichtsstunden starten, finden die Gewerkschaften.
Eine Vokabelübung steht auf dem Stundenplan im Spanischunterricht am Gymnasium Stephaneum in Aschersleben im Salzlandkreis. Sabine Hüttl stellt an diesem Vormittag Aufgaben und Fragen. Die 40-Jährige ist noch relativ neu im Schulbetrieb. Sie arbeitet erst seit etwa einem Jahr als Lehrerin. Vorher hatte sie einen Job in einem Museum. An ihre erste Unterrichtsstunde kann sie sich noch gut erinnern: "Ich war schon sehr nervös, die ersten zehn Minuten, es war sehr ungewohnt, plötzlich in die völlig andere Rolle zu schlüpfen." Seiteneinsteiger wie Sabine Hüttl werden vorbereitet. Für sie gibt es Kurse und Weiterbildungen. Doch das Ankommen im Berufsalltag mit Unterricht, Noten, Elternarbeit und Stundenvorbereitungen bleibt eine Herausforderung. Für den Einstieg brauche es die Unterstützung von Kollegen, stellt Schulleiter Axel Wieczorek fest.
"Es gibt für jeden Seiteneinsteiger einen Paten, wenn wir es fachlich abdecken können." Unterricht sei mehr, als nur Fachwissen weiterzugeben. "Man muss vor der Klasse bestehen können", so Wieczorek. "Nicht jeder Schüler ist einfach, und darauf müssen sich natürlich auch die neuen Kollegen einlassen." Es brauche Empathie und viel Verständnis. "Wenn man dann merkt: Mit den Menschen kann ich arbeiten und mit den Menschen kann ich gut leben und meine Arbeit nachgehen, dann ist das eine schöne Sache."
Hohe Zahl an Seiteneinsteigern – und viele scheiden wieder aus
Seiteneinsteiger sind keine Seltenheit mehr vor den Schulklassen in Sachsen-Anhalt. Im vergangenen Jahr hatte rund die Hälfte der neu eingestellten Lehrer kein reguläres Lehramtsstudium. Der Anteil an Seiteneinsteigern in der gesamten Lehrerschaft in Sachsen-Anhalt ist laut Zahlen des Bildungsministeriums gestiegen – auf etwa 16 Prozent in diesem Schuljahr. Allerdings scheidet etwa ein Drittel der Lehrkräfte im Seiteneinstieg trotz aller Anstrengungen wieder aus.
Schulleiter Axel Wieczorek und seine Kollegen unterstützen Seiteneinsteiger
Es gibt schon große Bemühungen, dass man möglichst alle, die sich dafür interessieren, behält. Axel Wieczorek | Schulleiter in Aschersleben
Es sei jedoch auch nicht jeder zum Lehrer geboren, so der Schulleiter. "In Zusammenarbeit mit dem Landesschulamt ist es dann häufig so, dass man eine Möglichkeit findet, wie man die Kollegen vielleicht besser einsetzen kann."
Forderung nach Reformen im Seiteneinstiegsprogramm
Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert eine Reform des Programms zum Seiteneinstieg – unter anderem eine bessere Einarbeitung und weniger Bürokratie. "Zunächst mal die Seiteneinsteiger nicht gleich mit 25 oder 27 Stunden Unterricht einzusetzen und sie mehr oder weniger zu verschleißen, sondern zu sagen: Komm, du kannst hier erst mal hospitieren, komm mal in meinen Unterricht, ich zeige dir dann, wie man bestimmte Sachen macht", sagt GEW-Landesvorstand Eva Gerth. "Dieses Mentoring an den Schulen, diese gegenseitige Unterstützung, wäre bitter nötig."
Es gebe viele Kolleginnen und Kollegen im Seiteneinstieg, die an den Schulen sehr helfen, stellt sie fest. Kollegen, die sich bemühen, sich durchzubeißen. "Aber es gibt eben auch viele dieser Kolleginnen, die am Ende sagen: ‚Nee, das ist doch nichts für mich. Ich möchte jetzt hier nicht weitermachen.‘"
Die GEW-Landesvorsitzende Eva Gerth fordert Verbesserungen des Programms zum Seiteneinstieg.
Seiteneinsteiger werden dringend gebraucht
Am Gymnasium Stephaneum arbeitet sich Sabine Hüttl mit ihren Schülern routiniert durch die Vokabelübung. Seiteneinsteiger helfen, Stundenpläne abzudecken – und werden dringend gebraucht. "Die Unterrichtsqualität hängt immer von der Person ab, egal ob das ein gestandener Lehrer oder ein Seiteneinsteiger ist", sagt Schulleiter Axel Wieczorek. Er würde keine Unterschiede feststellen. Die Qualität des Unterrichts hänge nicht unbedingt von der Vorqualifikation ab. "Die Unterrichtsqualität versuchen wir natürlich möglichst hochzuhalten, weil das Ziel ist, so viele Schüler wie möglich erfolgreich zum Abitur zu führen."
Schulleiter Axel Wieczorek und Spanischlehrerin Sabine Hüttl im Gespräch
Sabine Hüttl hat sich eingearbeitet, ist ins kalte Wasser gesprungen. "Ich bin jetzt im zweiten Schuljahr, ich denke, es ist zu früh, um zu sagen, ob es sich gelohnt hat. Da fehlt mir einfach noch die Erfahrung", stellt sie fest. Sabine Hüttl ist übrigens die einzige Spanischlehrerin am Gymnasium.
Das Gymnasium Stephaneum Aschersleben
MDR (Tom Gräbe, Mario Köhne)