Postkartenmotiv 44 min
Hier können Sie den Film aus der MDR-Reihe "Der Osten – Entdecke, wo du lebst" sehen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
44 min

Bunte Fassaden, farbenfrohe Anstriche an jedem Haus. Blau, grün, gelb, rot – und manchmal alles zusammen. Wer in Magdeburg das erste Mal durch die Otto-Richter-Straße geht, staunt nicht schlecht.

Der Osten - Entdecke wo du lebst Di 23.05.2023 21:00Uhr 44:16 min

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Stadtplanung in Magdeburg Grün und bunt: Wie soll das Magdeburg der Zukunft aussehen?

16. Mai 2023, 17:03 Uhr

Das Stadtbild von Magdeburg ist bis heute geprägt durch Kontraste: Farbenfrohe Fassaden, moderne Architektur, die Grüne Zitadelle, aber auch graue DDR-Plattenbauten. Nach dem Ersten Weltkrieg machte sich Magdeburg einen Namen als "Bunte Stadt". Sogar das Rathaus war damals bunt angestrichen. Federführend für den Wandel weg von der grauen Nachkriegs-Tristesse war der damalige Stadtbaurat und Architekt Bruno Taut.

Langsam kommt die Rad-Kolonne zum Stehen. Sofort schweifen die Blicke über die knallbunten Fassaden der Otto-Richter-Straße: Carmen Niebergall bietet seit vier Jahren Stadtführungen auf dem Rad an. "Die meisten Leute fahren ja durch Sachsen-Anhalt durch oder an Sachsen-Anhalt vorbei. Und dann kam mir die Idee mit dieser Fahrrad-Tour 'Das bunte Magdeburg'", so die Stadtführerin. Zusammen mit einer kleinen Gruppe begibt sie sich auf die Spuren eines Visionärs, der Magdeburg geprägt hat: Bruno Taut. Der Architekt des neuen Bauens entwarf unter anderem die Gartenstadt Reform, welche 1938 fertiggestellt wurde.

Eine Frau mit einem Fahrradhelm steht vor einem bunten Haus und zeigt anderen Menschen ein Bild, das sie in ihrer Hand hält.
Carmen Niebergall macht Stadtführungen durch Magdeburg mit dem Fahrrad. Bildrechte: Nina Rothermundt

Sanierung der Gartenstadt Reform dauert an

Seit mehr als 30 Jahren wird die Gartenstadt Reform denkmalgerecht saniert. Das ambitionierte Ziel: eine Wiederherstellung des Urzustandes. Gerold Reipsch, Architekt und Bauleiter, ist verantwortlich für das Mammutprojekt. "Die Farbgebung hier in der Siedlung war seinerzeit revolutionär. Denn diese bunte Vielfalt gab es bei den Häusern vorher nicht, insbesondere bei den einfachen Siedlungshäusern", erzählt er begeistert.

Eine große Herausforderung bestehe darin, die strahlenden Originalfarben der Fassaden zu ermitteln: "Um manche Farben zu finden, muss man auch Detektivarbeit leisten, denn die Originalfarben sind manchmal auch sehr versteckt". Dann zeigt er mit seinem Zollstock auf ein rötliches Stück der Fassade, welches vorher wohl von einem Straßenschild verdeckt war. Zufrieden stellt er fest: "Jawohl, das ist noch original".

Hinter den bunten Fassaden verbirgt sich ein Mitstreiter, der Leiter der Farbkampagne Bruno Tauts: Künstler und Architekt Carl Krayl. Im Jahr 1936 entwarf er unter anderem das OLI-Kino in Stadtfeld-Ost. Selten kehrt sein Enkel Thomas Krayl zu dem Haus seines Großvaters in der Gartenstadt Reform zurück. "Aber umso mehr freue ich mich dann zu sehen, wie viel sich doch in diesen Abständen getan hat", so Krayl. Er entschied sich dazu, ebenfalls Architekt zu werden. Im Angesicht des Vermächtnisses seines Großvaters gibt er zu bemerken: "Das sind extrem große Fußstapfen, in denen man eigentlich nur hin und her rutschen kann".

Die grüne Zitadelle – erst umstritten, später fast geliebt

Anfang der 2000er-Jahre wird wieder bunt gebaut in Magdeburg in direkter Nachbarschaft zum gotischen Dom entsteht die Grüne Zitadelle, der letzte Entwurf des bekannten Wiener Architekten Friedensreich Hundertwasser. Schief und etwas kurios ist sie und sehr bunt. Wieder sind nicht alle Magdeburger darüber erfreut, erinnert sich Bewohnerin Marie-Luise Ruddat: "Es gab einen ziemlichen mittleren Aufstand hier. Über 60 Prozent der befragten Magdeburger haben sich gegen Hundertwasser ausgesprochen, mit dem, sagen wir mal, O-Ton, wir wollen keine solche bunte Kasperbude neben dem ehrwürdigen Dom. Heute ist es so, dass von den Magdeburgern jeder schon immer dafür war." Geschäfte, Cafés, Wohnungen, ein Hotel, ein Kindergarten hier gibt es alles unter einem Dach. Das Bauwerk ist heute eine bedeutende Touristenattraktion und beliebter Wohnort.

Eine ältere Dame steht vor einer bunten Wand
Marie-Luise Ruddat wohnt in der Grünen Zitadelle. Bildrechte: Nina Rothermundt

Marie-Luise Ruddat gefiel das eigenwillige Gebäude von Anfang an. In den zwölf Jahren, die sie hier wohnt, hat sich die Rentnerin an die Eigenarten des Hauses gewöhnt. Es gibt kaum gerade Linien, dafür kurvige Wände und Säulen mitten im Raum- und schiefe Stufen. "Die sollen wie ausgetretene Stufen aussehen. Weil Hundertwasser meinte, ein Haus, das ausgetretene Stufen hat, ist ein altes Haus, ein Haus, das viel benutzt wurde, und ein Haus, in dem man sich wohlfühlt, weil es eben viel gebraucht wurde".

Ist die Zukunft der "bunten Stadt Magdeburg" grün?

Matthias Lerm, Leiter des Stadtplanungsamts Magdeburg, hält das bunte Bauen heute für nicht mehr zeitgemäß. Dem Neubau schriller Häuser erteilt er eine klare Absage: "Wir haben heute völlig andere Entstehungsbedingungen des Bauens". Die ständige Handynutzung, grelle Werbetafeln und helle Lichter schaffen eine völlig andere Umgebung als das graue, aus dem Krieg gekommene Magdeburg, so Lerm. Dennoch wolle er nicht infrage stellen, dass das bunte Magdeburg weiter existiere, weil es eine einzigartige Leistung sei. Mit dem Blick in die Zukunft zeigt sich Lerm besorgt über Probleme, die es 1920 noch nicht gab: "Wir müssen den städtischen Raum von drei bis vier Grad herunter kühlen. Das kann man mit einer intensiven Begrünung schaffen".

Die Rad-Stadtführung von Carmen Niebergall neigt sich unterdessen dem Ende zu. Obwohl sie die Stadtführung etliche Male gegeben hat, ist sie nicht weniger begeistert als ihre Teilnehmer: "Die Farbgestaltung ist manchmal so völlig chaotisch und schön, aber das muss man den Leuten erklären. Dann wird natürlich der Satz gesagt: Das hätte ich niemals in Magdeburg erwartet."

MDR (Noah Carstensen, Alisa Sonntag)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN – Der Osten – Entdecke, wo du lebst | 23. Mai 2023 | 21:00 Uhr

4 Kommentare

AlexLeipzig vor 49 Wochen

Bunt und grün, das wäre meine Vorstellung nicht nur von Magdeburg. Wenn ich heute allerdings die städtischen Neubauten sehe, sind die in der Regel weiß, grau, schwarz. Ohne Vorgarten, ohne Baum, nur glatte, schmucklose Fassen. Das darf sich gern wieder ändern!

AlexLeipzig vor 49 Wochen

Wir brauchen Farbe, um die Tristesse um uns herum und in manchen Seelen zu durchbrechen. Farbe und Licht sind Leben, wie eine Blumenwiese im Mai.

Helmut Buech vor 49 Wochen

Wenn man weiter munter Bäume fällt um unsinnige Verkehrsvorhaben zu realisieren, wird es wohl nichts mit grün.

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