Kinder und eine Frau stehen vor einem Baum
Im Mitmachgarten Wirrwuchs wird viel für Kinder und Jugendliche angeboten. Die Palette reicht von Kochen bis zum Instrumentenbau. Bildrechte: Querbeet Leipzig e.V.

Offene Gemeinschaftsgärten Querbeet Leipzig: Teilhabe zwischen Blumen und Tomaten

19. Juni 2023, 08:58 Uhr

Gärtnern entspannt, gärtnern verbindet Menschen, gärtnern bildet. Gutes Beispiel dafür sind die offenen Gemeinschaftsgärten des Leipziger Vereins Querbeet. Deren Arbeit wurde kürzlich von höchster Stelle gewürdigt. Bundeskanzler Olaf Scholz ehrte Querbeet im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs "startsocial" für sein soziales Engagement. Was die gemeinschaftliche Arbeit in den Gärten von Querbeet auszeichnet, MDR SACHSEN hat sich die Rabatten mal genauer angeschaut.


Vögel zwitschern um die Wette, im Hintergrund brummt der Verkehr auf der nahen Leipziger Eisenbahnstraße. In der Ludwigstraße, im Osten der Stadt, zwischen den Hausnummern 59 und 57, liegt eine Brachfläche. Wobei, brach liegt hier eigentlich nichts, im Gegenteil. In Hochbeeten wachsen Tomaten und Kartoffeln, in einem anderen gedeihen Pflanzen, die zum natürlichen Färben benötigt werden. Dazwischen kleine und größere Bäume, zahlreiche Sitzgelegenheiten, Geräteschuppen und eine Feuerstelle.

Ludwigsgarten heißt das Fleckchen Erde im Stadtteil Neustadt-Neuschönefeld. Der Garten ist ein Teil der Gemeinschaftsgärten des Vereins Querbeet, wird aber auch vom Bürgerverein Neustädter Markt genutzt. Seit zwei Jahren wird gepflanzt, gibt es in der Ludwigstraße Workshops zu Themen wie Nachhaltigkeit, Gärtnern oder Färben mit Pflanzen. Auch Kindergartengruppen kommen regelmäßig vorbei, um unter anderem zu lernen, woher die Tomate kommt. Es gibt Jungpflanzenmärkte und den Flimmergarten, das jährliche Film- und Kunstfest. Wer den Garten nutzen will, muss kein Mitglied sein, er steht jedem offen.

Pflanzen in einem Garten
Seit zwei Jahren bewirtschaftet der Verein Querbeet in der Ludwigstraße einen Gemeinschaftsgarten. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Freiräume sind Mangelware

Offen heißt für Querbeet, einen direkten Austausch mit den Anwohnern in den sogenannten Schwerpunktgebieten im Leipziger Osten zu führen. Daher richten sich die Projekte nach deren Bedürfnissen. Für dieses ehrenamtliche Engagement wurde der Verein erst kürzlich von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs "startsocial" gewürdigt.

Allerdings brauchen Angebote wie die von Querbeet Platz. Der ist aber in einer wachsenden, sich immer mehr verdichtenden Stadt wie Leipzig Mangelware. Gerade hier im Leipziger Osten gebe es ein Defizit, sagt Christel Eißner MDR SACHSEN. Sie ist zuständig für den Ludwigsgarten und seit über zehn Jahren bei Querbeet aktiv. "Der Ortsteil hier hat dringenden Bedarf an grünen Freiräumen, die einfach jeder besuchen kann", sagt sie.

Eine Frau schaut in eine Kamera.
Seit 2012 ist Christel Eißner Mitglied im Verein Querbeet, kümmert sich unter anderem ehrenamtlich um den Ludwigsgarten. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Der Ortsteil hier hat dringenden Bedarf an grünen Freiräumen, die einfach jeder besuchen kann.

Christel Eißner Querbeet Leipzig e.V.

Menschen zu erreichen und zu integrieren, sie zu einer Gemeinschaft wachsen zu lassen, braucht Raum und Zeit, findet Eißner. Zweimal musste sie schon mit Sack und Beet umziehen. Vor dem Ludwigsgarten hatte Quebeet erst eine Fläche in der Hermann-Liebmann-Straße und dann einen Garten in der Neustädter Straße. Beide inzwischen bebaut. Und auch für den Ludwigsgarten scheint die Zukunft ungewiss. Erst kürzlich wollte ein Kinderchor dem Verein einen Baum schenken und gleich einpflanzen. Doch Eißner empfahl einen Kübel. Denn "man müsste schon sicher sein, dass er hier auch stehen bleiben kann", sagte sie dem Gärtnernachwuchs.

Richtschnur Anwohner

Knapp vier Kilometer weiter östlich scheint es beständiger zuzugehen. In Leipzig-Paunsdorf, mitten zwischen Plattenbauten, wächst im Mitmachgarten Wirrwuchs Obst und Gemüse. Seit 2019 wird der ehemalige Schulgarten im Schlehenweg von Querbeet wieder bewirtschaftet. Dort zeigt sich, wie sehr sich der Verein an den Nöten und Sorgen der Anwohner orientiert. Es sei ein sehr durchmischter Stadtteil, wo viele Menschen leben, die Transferleistungen beziehen und nicht so ein großes Einkommen haben, erzählt die Projektleiterin für den Wirrwuchs-Garten Carolin Jonigkeit. "Der große Bedarf, den wir jetzt, vergangenes Jahr und auch schon das Jahr davor gesehen haben, ist eben der Hunger. Die teilweise Unterversorgung von Kindern und Jugendlichen", erklärt sie MDR SACHSEN.

Ein Frau
Carolin Jonigkeit arbeitet hauptamtlich für den Verein Querbeet Leipizg e.V. und ist Projektleiterin für den Mitmachgarten Wirrwuchs in Leipzig Paunsdorf. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Der große Bedarf, den wir jetzt, vergangenes Jahr und auch schon das Jahr davor gesehen haben, ist eben der Hunger.

Carolin Jonigkeit Querbeet e.V. Leipzig

Erste Erfolge: Weniger Müll, mehr Umsicht

Unkraut in einem Garten
Der Ludwigsgarten im Leipziger Osten: Ein Gemeinschaftsgarten von Querbeet, in dem nicht nur Tomaten wachsen. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Seit zwei Jahren wird daher zweimal pro Woche im Wirrwuchs mit Kindern und Jugendlichen gekocht. Gefördert von der Landesstiftung für Natur und Umwelt. Dabei entscheiden die Kinder mit, was gekocht wird. Und natürlich ist das, was am Ende in den Töpfen landet, selbst angebaut, geerntet und zubereitet. 20 Kinder aus dem Umfeld lernen so etwas über Ernährung, Nachhaltigkeit, Zusammenhalt und Gemeinschaft.

Die Resonanz der Anwohner auf Angebote wie das Kochen oder den Trommelkurs sei positiv, sagt Jonigkeit. Und die Arbeit vor Ort zeige Wirkung. "Die Kinder sind total aufmerksam. Es gibt weniger Müll und sie sind umsichtiger geworden, auch mit dem Wasser", berichtet sie aus dem Gartenalltag. Aber auch in Paunsdorf "braucht es Zeit, bis die Leute merken: Das ist für Euch, hier könnt ihr wirklich auch selber was machen." Carolin Jonigkeits Wunsch: Die Menschen vor Ort zu stärken, damit sie den Garten irgendwann selber betreiben können.

Stadtgärtnern - wichtig für Mensch und Umwelt

Die Angebote von Querbeet Leipzig e.V. werden von der Stadt aber auch vom Land gefördert. Dennoch fehle es für die Projekte an Perspektiven, sagt Carolin Jonigkeit. Jedes Jahr müssten erneut Förderanträge gestellt werden, auch für Projekte, die gut laufen, erklärte Jonigkeit. Das mache die Planung schwierig und auch nicht immer nachhaltig. "Da wünsche ich mir einfach ein bisschen Verstetigung und Sicherheit für die Projekte. Denn wenn die wegbrechen, bricht nicht nur ein Ort weg, es bricht so viel mehr weg", befürchtet Carolin Jonigkeit. Das Problem betrifft viele Gemeinschaftsgärten. Ein Grund, warum sich in Leipzig das Netzwerk Leipziger Gemeinschaftsgärten (Nelge) gegründet hat.

Da wünsche ich mir einfach ein bisschen Verstetigung und Sicherheit für die Projekte. Denn wenn die wegbrechen, bricht nicht nur ein Ort weg, es bricht so viel mehr weg.

Carolin Jonigkeit Querbeet Leipzig e.V.

Gemeinschaftsgärten seien zudem wichtig für Insekten, für die Menschen, fürs Klima und auch für die Versorgung, findet Jonigkeit. "Diese Freiflächen müssen erhalten werden", fordert sie und hat schon das nächste Projekt im Auge. In einer Kleingartenanlage, ebenfalls in Paunsdorf, wird ab Sommer ein Gartenprojekt zum Thema Nachhaltigkeit für Kinder und Jugendliche starten, gefördert bis 2025.

Ein Schild mit Namen von Pflanzen in mehreren Sprachen
Im Mitmachgarten Wirrwuchs wird mehrsprachig gegärtnert, um so viele Menschen im Viertel zu erreichen. Bildrechte: Querbeet Leipzig e.V.

Die Gemeinschaftsgärten von Querbeet e.V. Öffnungszeiten:
Mitmachgarten Wirrwuchs: Mo - Mi 12 - 16 Uhr, Do 15 - 16:30 Uhr
Alter Schulgarten am Bernhardiplatz: Mi 16 - 14
Ludwigsgarten: Do 16 - 18 Uhr, Sa 11 - 14 Uhr
Quelle: Querbeet Leipzig e.V.

Dieses Thema im Programm: In den Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 13. Juni 2023 | 12:30 Uhr

Mehr aus Leipzig, dem Leipziger Land und Halle

Kultur

Drohnenaufnahme der Kunsthalle Talstrasse
Der gefächerte Neubau steht in Kontrast zu der spätklassizistischen Villa, die viele Jahrzehnte allein die Nummer 23 in der Talstraße ausmachte. Über eine verglaste Brücke kann das Publikum zwischen beiden Gebäudeteilen wandeln. Bildrechte: Kunstverein Talstrasse

Mehr aus Sachsen