Eine Gruppe Menschen steht vor einer Leinwand, auf der ein Mann bei einer Rede zu sehen ist.
Im Rektoratsgebäude der TU Dresden ist am Freitag der Aufbau des Deutschen Zentrums für Astrophysik und eines neues Studiengangs offziell gestartet worden. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Weltraumforschung Dresden und Görlitz bereit für großen Lauschangriff ins All

16. Dezember 2023, 17:55 Uhr

Messen, wie sich die Raumzeit verzerrt, wenn im All Schwarze Löcher verschmelzen oder ein Neutronenstern verschluckt wird - das klingt für manch einen nach Science Fiction oder erinnert an die Physiker-Nerds der amerikanischen Sitcom "Big Bang Theory". Im künftigen Großforschungszentrum für Astrophysik in der Oberlausitz soll das Einfangen solcher Gravitationswellen bald Alltag werden. In der Vorbereitungsphase für das ehrgeizige Unterfangen sind jetzt die nächsten Weichen gestellt.

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Die ersten Physiker und Weltraumforscher des künftigen Deutschen Zentrums für Astrophysik (DZA) legen in Görlitz los. Anfang nächsten Jahres ziehen sie in das Alte Postamt in der Stadtmitte und werden dort in den Laborräumen arbeiten. Das kündigt der Astrophysikprofessor und designierte Gründungsdirektor des DZA, Günther Hasinger, an. Einen zweiten Laborstandort habe man auf dem Gelände des Schienenfahrzeugbauers Alstom gewinnen können. "Wir werden 2024 anfangen, Empfänger für Radioteleskope zu testen, Detektoren zu kalibrieren," so der Wissenschaftler, der zuvor als wissenschaftlicher Direktor für die Europäische Weltraumorganisation ESA gearbeitet hat.

Deutsches Zentrum für Astrophysik (DZA) * Seit April 2023 befindet sich das DZA in einer dreijährigen Aufbauphase.
* 2026 soll das Zentrum für Astrophysik gegründet werden.
* Es sind ein Rechenforschungszentrum in Görlitz und ein Untergundlabor zur Erforschung von Teleskop- und Messtechnik in Ralbitz-Rosenthal geplant.
* Rund tausend Arbeitsplätze sollen neu entstehen.
* Das Großforschungszentrum wird aus dem Strukturwandelfonds für Braunkohlegebiete mit einer Summe von 1,2 Milliarden Euro finanziert.

Postplatz in Görlitz
Im alten Postamt in Görlitz ziehen Anfang des Jahres die ersten Wissenschaftler des künftigen Deutschen Zentrums für Astrophysik ein. Bildrechte: IMAGO/F. Berger

TU Dresden schafft fünf neue Professuren und Astrophysik-Studiengang

Auch die Technische Universität (TU) Dresden hat für den Aufbau des Forschungszentrums eine wichtige Hürde genommen: "Das Geld ist freigegeben, um Personal einzustellen und in die Vollen gehen zu können", freut sich TU-Rektorin Ursula Staudinger. Eine Kaderschmiede für das DZA soll die Dresdner Universität werden.

Astrophysik braucht modernste Messtechnik und vor allem Hochleistungsrechenkapazität.

Ursula Staudinger Professorin und Rektorin der TU Dresden

Eine frau hält einen Vortrag.
TU-Rektorin Prof. Ursula Staudinger will die Dresdner Universität zur Kaderschmiede für das Deutsche Zentrum für Astrophysik machen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Dazu wird die TU laut Staudinger nächstes Jahr fünf neue Professuren ausschreiben. Sie sind bei der Informatik, Elektrotechnik und den Materialwissenschaften angesiedelt. Geplant ist der Aufbau des Masterstudiengangs Astrophysik, der im Oktober 2026 zum Wintersemester starten soll. Mit dem Astrophysikstudium sei man an der vordersten Front der sogenannten Deeptech - also der Technologien, die bahnbrechende Innovationen ermöglichen. Denn Astrophysik, wie sie in Zukunft in der Oberlausitz betrieben werden soll, brauche modernste Messtechnik und vor allem Hochleistungsrechenkapazitäten, betont Staudinger.

Messungen für Untergrundlabor in der Lausitz

Unterdessen ist ein Messgerät bereits in einem 250 Meter tiefen Bohrloch bei Ralbitz-Rosenthal aktiv. Im Granitgestein des sorbischen Siedlungsgebiets der Oberlausitz erhoffen sich die Astrophysiker seismische Ruhe. Die brauchen sie, damit hier vielleicht in ein paar Jahren ein hochkomplexes Teleskop in einem Untergrundlabor unvorstellbar weit entfernte Signale aus dem All empfangen kann.

Der Lausitzer Granitstock ist europaweit der beste Platz für ein Teleskop.

Günther Hasinger Professor für Astrophysik und designierter Gründungsdirektor des DZA

Mann mit Brille und Anzug
Astrophysiker Günther Hasinger sieht im Lausitzer Granit die beste Basis für ein Teleskop, das Gravitationswellen aus dem All einfangen soll. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Hasinger ist vom Lausitzer Granitstock überzeugt: "Es ist europaweit der beste Platz für ein Teleskop." Man messe seit Monaten das Rauschen im Untergrund und das Lauteste seien bisher die Wellen der Ozeane. Nun wollen die Forschenden auf der Oberfläche mehrere Seismometer auslegen, - also Instrumente, die Bodenbewegungen aufzeichnen - um den besten Platz für ein Untergrundlabor näher auszuloten.

Gravitationswellen aus dem All hörbar machen

Es geht darum, Gravitationswellen aus dem Weltraum einzufangen. "Das ist ein relativ neuer Bereich der Astrophysik, so können wir das Universum belauschen", erklärt die Experimentalphysikerin und Professorin Michèle Heurs, eine der Wissenschaftlerinnen des im Aufbau befindlichen DZA. "Gravitationswellen sind Verzerrungen der Raumzeit." Diese passierten immer dann, wenn sich große Massenverteilungen änderten, "zum Beispiel wenn zwei Schwarze Löcher verschmelzen oder wenn zwei Neutronensterne verschmelzen oder wenn ein Schwarzes Loch einen Neutronenstern frisst. Und das können wir messen und hörbar machen", erklärt Heurs.

Eine Frau mit violettem Haar
Die Experimentalphysikerin Prof. Michèle Heurs gehört zum Team des Großforschungszentrums. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Wenn ein Schwarzes Loch einen Neutronenstern frisst, entstehen Gravitationswellen.

Michèle Heurs Professorin für Experimentalphysik an der Leibniz-Universität Hannover

Das Streben der Wissenschaftler ist, mit immer sensibleren Gravitationswellendetektoren weiter und weiter in die Vergangenheit des Universums zu lauschen. Dass man alle Signale einsammle, die jemals stattgefunden haben, fast zurück bis zum Beginn des Universums, wie Heurs beschreibt. "Das klingt wie Big Bang Theory", sagt die Physikerin und muss lachen. "Es ist hier aber keine Sitcom und kein Science Fiction, sondern wir machen das wirklich."

Dieses Wackeln des Weltalls gebe Aufschlüsse über so fundamentale Sachen wie die Entstehung des Universums oder die Beschaffenheit von Materie, erklärt Hasinger. Ein Problem sei, dass Weltraumteleskope gigantische Datenmengen produzieren: "Die großen internationalen Anlagen - vor allem die Radioteleskope - erzeugen jährlich so viele Daten wie das gesamte Internet", sagt der Astrophysiker. Im Moment können diese Information nicht gespeichert werden, sondern man müsse vor Ort aussieben.

Gigantische Datenmengen bändigen

Deshalb werde in der Lausitzer Weltraumforschung die Datenspeicherung ein wesentliches Thema sein. "Datenkomprimierung könnte der Schlüssel sein – ähnlich wie das MP3-Format in der Musik nur eine Million Mal besser", sagt Hasinger. Lösungen wären nicht nur für die Astrophysik bahnbrechend: Das Internet der Dinge - also miteinander vernetzte Geräte - oder das selbstfahrende Auto erzeugten gigantischen Datenmengen. "Das sind Herausforderungen, denen die Menschheit gegenübersteht", erläutert der Professor.

Eine Visualisierung des geplanten Forschungszentrums für Astrophysik.
Im Großforschungszentrum für Astrophysik, dass in Görlitz auch als Gebäudekomplex neu aufgebaut werden soll, werden sich Wissenschaftler mit dem Bändigen gigantischer Datenmengen beschäftigen (Visualisierung). Bildrechte: Staab Architekten

Die DZA-Standorte in der Post und auf dem Alstom-Betriebsgelände sind vorläufig. Ein dauerhafter Campus mit sanierten Häusern, einem Neubau und einem Besucherpark ist auf dem Kahlbaum-Areal in Görlitz vorgesehen. Wenn alles nach Plan verläuft, werde das Zentrum für Astrophysik am 1. Januar 2026 gegründet. Hasinger zufolge sollen im Anschluss an die Aufbauprojektphase tausend neue Arbeitsplätze in Görlitz entstehen.

Schub für Görlitz durch Astrophysikzentrum

Görlitz' Baubürgermeister Benedikt Hummel stellt bereits erste Veränderungen in der Stadtgemeinschaft fest. So wurde seitens der Wissenschaftler schon Kontakt zur Görlitzer Sternwarte aufgenommen. "Wir überlegen, wie man da Kooperationen strickt, damit wir auch die jungen Leute für das Thema Astrophysik begeistern können", so Hummel. Auch gebe es Vorhaben in Schulen, da wachse ein Netzwerk.

Ein Mann mit Brille und Anzug
Ob ÖPNV oder Schullandschaft: Der Görlitzer Baubürgermeister Benedikt Hummel sieht auf die Stadtverwaltung viele Aufgaben zukommen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Die Stadtverwaltung habe in den nächsten Jahren mit der Ansiedlung des DZA ein ganzes Bündel von Aufgaben zu bewältigen. "Infrastruktur, Öffentlicher Nahverkehr, Bildungslandschaft", nennt der Bürgermeister einige Schlagworte. Das Großforschungszentrum bringe die Stadt auf jeden Fall voran.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 18. Dezember 2023 | 14:30 Uhr

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