Zugunglück in Eschede vor 25 Jahren – Welche Lehren daraus gezogen wurden

Stand: 03.06.2023, 20:25 Uhr

Vor 25 Jahren, am 3. Juni 1998, verunglückte ein ICE bei Eschede in Niedersachsen. 101 Menschen starben, 100 wurden verletzt. Was damals genau passiert ist und was danach geschah.

Ein Blick zurück: Heute vor 25 Jahren, am 3. Juni 1998, kam es zum schwersten Zugunglück der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es war damals ein sonniger Frühsommertag. Um genau 10.58 Uhr passierte auf der Höhe von Eschede (Niedersachsen) die Katastrophe, als auf der Fahrt von München nach Hamburg der ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" entgleiste und an einer Brücke zerschellte. Dabei starben 101 Menschen, 100 wurden verletzt.

Heute gab es eine Gedenkveranstaltung für die Opfer. An der Zeremonie an einem direkt am Unglücksort erbauten Mahnmal nahm neben Überlebenden und Hinterbliebenen auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) teil.

Wie kam es zu der Katastrophe?

Es war eine Verkettung tragischer Umstände. Sechs Kilometer vor Eschede brach wegen Materialermüdung ein gummigefederter Radreifen des ICE. Ein verbogenes Metallteil ragte unter dem Zug hervor und verhakte sich kurz vor dem Bahnhof des Orts in einer Weiche. Die Achse mit dem gebrochenen Radreifen entgleiste und verstellte eine zweite Weiche, wodurch der nachfolgende Waggon des mit rund 200 Stundenkilometern dahinrasenden Zugs plötzlich auf ein Nebengleis einschwenkte.

Der nunmehr querstehende Waggon prallte gegen den Pfeiler einer Brücke, die durch die Wucht der Kollision sofort einstürzte und zwei Waggons des ICE zerquetschte. Der Zug wurde dadurch quasi zweigeteilt. Die nachfolgenden Wagen wurden vom hinteren Triebkopf binnen Sekunden in voller Fahrt mit enormer Wucht gegen die zusammengestürzte Brücke geschoben, die vorderen Waggons flogen teils aus dem Gleis. Zeugen der Ereignisse berichteten von einem undefinierbaren Krach und einer großen Staubwolke, danach herrschte Stille.

Vor 25 Jahren: Bilder vom Zugunglück in Eschede

Es waren Fotos, die um die Welt gingen - und die viel Betroffenheit und Entsetzen auslösten. Das Ausmaß des Zugunglücks von Eschede in Niedersachsen vom 3. Juni 1998.

Das Archivbild vom 03.06.1998 zeigt hunderte von Helfern, die versuchen im Wrack des verunglückten ICE 884 bei Eschede in der Nähe von Celle, Opfer des Zugunglücks zu bergen.

So sah vor 25 Jahren die Unglücksstelle von oben aus.

So sah vor 25 Jahren die Unglücksstelle von oben aus.

Rund 2.000 Helfer verschiedener Rettungsorganisationen bargen Verletzte und Tote.

Die Bergungsarbeiten gestalteten sich ausgesprochen schwierig.

Teils kamen die Retter an ihre Grenzen.

Und noch einmal eine Luftaufnahme von der Unglücksstelle.

Heutzutage erinnert eine Gedenktafel an die Tragödie vor 25 Jahren.

Fassungslosigkeit an der Gedenkstätte.

Am Ort der Erinnerung kommen auch Jahre später noch Trauernde zusammen.

Wie lief die unmittelbare Hilfe ab?

Als sich der Dunst legte, gab er den Blick auf die wie eine Ziehharmonika zusammengeschobenen zermalmten Waggons vor den Brückenüberresten und ein sich über hunderte Meter entlang der Schienen hinziehendes Trümmerfeld frei. Anwohner und erste Retter eilten herbei, sie waren von der schieren Dimension der Tragödie überwältigt.

Während sich die ersten Livebilder der Katastrophe um die Welt verbreiteten, lief einer der größten Rettungseinsätze an, die Deutschland nach einem Unglück je gesehen hat. 2.000 Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Notärzte, Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks, Polizisten und Soldaten wurden zusammengezogen. Die Verletzten wurden über eine Luftbrücke binnen kurzer Zeit mit Hubschraubern ausgeflogen. Die Bergung der Trümmer und der Toten allerdings dauerte Tage.

Wie ging es weiter?

Die Achse eines Waggons liegt im Vordergrund des Bildes auf den Gleisen. Im Hintergrund ist die eingestürzte Brücke zu sehen.

Das Unglück löste bundesweit Bestürzung aus, auch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) fuhr zur Unglücksstelle. Opfer und Angehörige indessen leiden bis heute unter körperlichen und seelischen Folgen. "Das Unglück bedeutet für mich und auch für viele andere Zugopfer eine lebenslange Strafe", sagte einmal der Überlebende Udo Bauch, der zwei Bücher über das Unglück und die Folgen schrieb. Die Betroffenen gründeten sogar eine Organisation, die Selbsthilfe Eschede. Sie kämpft für Anerkennung ihrer Leiden. Auch viele Retter lässt das Grauen nicht los. Das Unglück von Eschede wurde in Deutschland auch zu einem Startschuss für den Ausbau psychologischer Kriseninterventionsstrukturen.

Wie reagierte die Deutsche Bahn?

Vor allem das Verhältnis zwischen den Überlebenden und Hinterbliebenen einerseits und der Deutschen Bahn andererseits war lange extrem schwierig - nicht nur wegen Fragen zur materiellen Entschädigung. Für große Bitterkeit sorgte vor allem auch, dass eine Entschuldigung lange Zeit ausbleibt. Erst 2013 - 15 Jahre nach dem Unglück - bat der damalige Bahnchef Rüdiger Grube bei der jährlichen Gedenkfeier am Unglücksort in Eschede in Namen des Konzerns um Verzeihung.

Wie sah die juristische Aufarbeitung des Zugunglücks aus?

Aus Sicht der Betroffenen verlief die juristische Aufarbeitung völlig unbefriedigend. Drei Ingenieure der Bahn und des Herstellers des gebrochenen Radreifens standen später wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Laut Anklage sollen sie das Bauteil bei der Entwicklung nicht genug auf Bruchfestigkeit getestet und technische Kontrollen nicht angepasst haben. Die Angeklagten bestritten dies, auch die Bahn sah keine Schuld bei sich. 2003 stellte das Landgericht Lüneburg den Prozess gegen Geldbußen ein. Die Männer treffe "keine schwere Schuld". Hinterbliebene empfanden das als Schlag ins Gesicht. Später scheiterten sie darüber hinaus mit Zivilklagen gegen die Bahn.

Welche Lehren zogen die Verantwortlichen bei der Bahn aus der Tragödie?

Die Bahn verzichtete in der Folge auf gummigefederte Radreifen. Sie setzte stattdessen auf aus einem Stahlstück gegossene Räder, aus denen nichts mehr abbrechen kann. Außerdem werden Weichen vor Brücken nicht mehr gebaut, um das Risiko ähnlicher Unglücke auszuschließen. Und auch auf symbolischer Ebene gibt es Konsequenzen: Der ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" existiert nicht mehr - Zugnummer und Namen will die Bahn nie wieder vergeben.

Wie sieht es heute an der Unglücksstelle aus?

Ein ICE passiert die Gedenkstätte für die Opfer des ICE-Unglücks von Eschede im Landkreis Celle. Mit 200 Stundenkilometern prallte der ICE 884 ·Wilhelm Conrad Röntgen· am Vormittag des 3. Juni 1998 gegen eine Betonbrücke in Eschede.

In Eschede erinnern heutzutage Gedenktafeln und 101 Kirschbäume an den Bahngleisen an die Toten. Anlässlich des Gedenktages zum Zugunglücks rief Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) dazu auf, die Erinnerung an das Unglück wach zu halten. Das Unglück bleibe eine Mahnung an alle Verantwortlichen, wachsam zu bleiben. Unvermittelt seien vor 25 Jahren so viele Menschen aus einem glücklichen, unbeschwerten Leben gerissen worden. "Es gibt kaum Worte für das Ausmaß, die Folgen und das Leid, das Opfer, Familien, Angehörige und Freunde dadurch erlitten haben."

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