Detailaufnahme: Eine sehr dünne Frau misst ihre Taille mit einem Zentimetermaß, nur Bauch, Hände und Jeans sind zu sehen

Zahl der Mädchen mit Essstörungen steigt - Hilfe in NRW aber ist schwer zu finden

Stand: 03.06.2023, 11:07 Uhr

So viele Kinder wie nie müssen wegen Magersucht stationär behandelt werden. Doch Betroffene und Angehöre finden nur schwer Hilfe – auch weil das Land nicht mehr Geld geben will.

Von Anne Bielefeld

Rebecca

Rebecca leidet unter einer Essstörung

Es sind die hübschen, schlanken Mädchen auf TikTok, Instagram und YouTube, die Rebeccas (Name von der Redaktion geändert) Entscheidung abzunehmen, beeinflussen. Sie ist 15 Jahre alt, als sie aufhört zu essen, und sich auf unter 40 Kilo runterhungert. Zwei Jahre später kommt sie völlig geschwächt und lebensbedrohlich krank in die Uniklinik Aachen, die auf Essstörungen spezialisiert ist. Hier wird sie über Monate stationär behandelt. Und das ist ihr Glück, denn lange fanden sie und ihre Eltern keine Hilfe, erzählt sie: "Wir waren beim Kinderarzt, wir waren bei einer Ernährungsberaterin, aber da haben wir nie wirklich die Unterstützung bekommen, die wir gebraucht hätten."

Patienten werden immer jünger

Rebecca ist kein Einzelfall. Daten der Ersatzkassen zeigen, dass die Patienten mit Magersucht immer jünger werden. Vor allem Mädchen zwischen sechs und 14 Jahren müssen häufiger wegen Essstörungen ins Krankenhaus. Zuletzt ist die Zahl um 40 Prozent gestiegen.

Und auch ältere Mädchen, zwischen 15 und 19 Jahren, müssen häufiger wegen Magersucht behandelt werden. Seit der Corona-Pandemie gab es einen Anstieg um mehr als 30 Prozent. Untersuchungen haben ergeben, dass die intensive Nutzung von Social-Media während der Pandemie eine Ursache dafür ist.

Wie Instagram den Weg in die Magersucht weisen kann

Quarks 23.02.2023 06:54 Min. UT Verfügbar bis 23.02.2028 WDR Von Marie Blöcher, Svea Eckert, Sulaiman Tadmory

Lange Wartelisten in den Kliniken

Die steigende Zahl der Betroffenen ist in fast allen Kliniken in NRW spürbar, die sich auf Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert haben. Die Nachfrage ist so groß, dass es oft mehrere Monate dauert, bis ein Platz frei wird.

Beate Herpertz-Dahlmann

Beate Herpertz-Dahlmann

Beate Herpertz-Dahlmann ist Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Uniklinik Aachen und wegen der wachsenden Zahlen besorgt. Die Ärztin fordert, dass Essstörungen intensiver und länger in der Ausbildung von Lehrkräften, Kinderärzten und Therapeuten thematisiert werden müssten. Auch der Umgang mit Social-Media müsse intensiver in Schule und zu Hause besprochen werden.

Zu wenig Prävention

In NRW gibt es rund 400 Beratungsangebote. Sie erreichen aber nur einen Teil der Kinder und Jugendlichen. Bestehende Strukturen sollen zwar weiter finanziell unterstützt werden, heißt es aus dem NRW-Gesundheitsministerium auf WDR-Nachfrage. Mehr Geld gibt es aber nicht. Viele Beratungsstellen gehen also trotz steigendem Bedarf leer aus und finanzieren sich teilweise über Spenden.

Neues Behandlungskonzept

Beratungssituation

Beratung am Bonner Zentrum für Essstörungen e. V.

Gemeinsam mit vier weiteren Krankenhäusern in NRW probiert die Uniklinik Aachen deshalb derzeit ein neues Behandlungskonzept aus. Im sogenannten "Home Treatment" werden essgestörte Kinder und Jugendliche von Ärzten und Therapeuten überwiegend zu Hause behandelt. Dann können die Betroffenen weiter in die Schule gehen und Eltern werden stärker eingebunden. Etabliert sich das Projekt, könnte voraussichtlich viel mehr Familien künftig schneller geholfen werden.

Über dieses Thema berichtet die Sendung "Westpol" am 04.06.2023 um 19:30 Uhr im WDR-Fernsehen.