Nordrhein-Westfalen Nach Brandstiftung: Was macht Rauchgasvergiftungen so gefährlich?
Nach zwei Brandstiftungen in Mehrfamilienhäusern wurden am Samstag in Essen 31 Menschen teils schwer verletzt – viele von ihnen erlitten Rauchgasvergiftungen. Zwei Kleinkinder wurden lebensgefährlich verletzt. Gibt es gute Heilungschancen?
Es waren dramatische Szenen, die sich am Samstag in den Essener Stadtteilen Altenessen und Stoppenberg abspielten. Kurz hintereinander war in zwei Mehrfamilienhäusern Feuer ausgebrochen: In beiden Fällen war der Fluchtweg durch die verrauchten Treppenhäuser versperrt.
Kinder und Frauen riefen aus den Fenstern um Hilfe, teilweise flüchteten die verzweifelten Menschen auf Dächer, um dem Rauch zu entfliehen. Noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr kletterten Nachbarn auf Leitern, um Kinder aus der Gefahrenzone zu bringen.
Am Ende konnten alle Bewohner lebend aus der Gefahrenzone gerettet werden. Doch 31 Menschen erlitten teils schwere Rauchgasvergiftungen, eines der beiden lebensgefährlich verletzten Kleinkinder war auch am Montag noch in kritischem Zustand.
Was genau passiert bei einer solchen Vergiftung? Wie wird sie behandelt? Und wie sollte man sich im Brandfall verhalten, um das Risiko einer Rauchgasvergiftung zu senken? Fragen und Antworten.
Bei einem Haus- oder Wohnungsbrand besteht die größte Gefahr in der Regel nicht durch sichtbare Flammen. Die meisten Todesfälle und schweren Verletzungen verursachen giftige Gase, die bei der Verbrennung von organischen und anorganischen Stoffen entstehen.
Im Brandfall bindet sich das eingeatmete Kohlenmonoxid an die roten Blutkörperchen. Die Folge: Das Blut kann nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen. In schweren Fällen droht das "innere Ersticken".
Zwei Bestandteile des Rauchs seien dabei besonders gefährlich, erklärt Sven Dreyer, leitender Arzt des Druckkammerzentrums an der Uniklinik Düsseldorf. "Wenn Plastik verbrennt, entstehen Cyanid-Verbindungen wie Blausäure, die den Sauerstofftransport im Körper blockieren können."
Auch das Einatmen von Kohlenmonoxid (CO) könne die Sauerstoffversorgung des Körpers langfristig stören, so Dreyer. Denn das Gas binde sich leicht an die roten Blutkörperchen und könne dort für längere Zeit die Aufnahme von Sauerstoff verhindern. "In schweren Fällen kommt es zum 'inneren Ersticken'." Weil Kohlenmonoxid unsichtbar sowie geruch- und geschmacklos sei, gingen vom dem Gas die wohl größten Gefahren für die Gesundheit aus.
"Kinder haben geringere Reserven", sagt Dreyer. Wenn bei einem Erwachsenen einige Liter Blut als Sauerstofflieferant ausfielen, könne das oft noch ausgeglichen werden. "Bei Kindern ist viel schneller eine Sättigung des Blutkreislaufs erreicht, zum Beispiel mit Kohlenmonoxid." Deshalb sei eine schnelle Behandlung bei Kindern besonders wichtig, um akute Lebensgefahr und langfristige Folgen zu verhindern.
Eine längerfristige Unterversorgung des Körpers mit Sauerstoff könne schwere neurologische Schäden hervorrufen, warnt Dreyer. Möglich seien zum Beispiel schwere Gedächtnisstörungen. Manche Patienten entwickelten sogar Symptome, die Ähnlichkeit mit einer Parkinson-Erkrankung haben.
Im Krankenhaus werden Brandopfer mit hochkonzentriertem Sauerstoff künstlich beatmet, um Kohlenmonoxid-Moleküle von den roten Blutkörperchen zu verdrängen und die Funktion des Bluts als Transport-Medium von Sauerstoff wiederherzustellen.
Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein
In sehr schweren Fällen reiche das aber oft nicht. Dann müssten die Patienten einige Zeit in einer speziellen Druckkammer verbringen und gleichzeitig viel Sauerstoff einatmen. Durch den Überdruck in der Kammer nehme der Körper mehr Sauerstoff auf und könne sich schneller von der Kohlenmonoxid-Belastung befreien. "In Nordrhein-Westfalen stehen solche Druckkammern in Gelsenkirchen und in Düsseldorf zur Verfügung", sagt Dreyer.
Wenn zusätzlich viele Cyanide eingeatmet wurden, gebe es außerdem spezielle Medikamente, die bei dem Abbau der Giftstoffe helfen. "Insgesamt sind die Heilungschancen sehr gut, wenn die Betroffenen rechtzeitig behandelt werden."
Wenn ein Feuer ausbricht und eine Flucht aus der unmittelbaren Gefahrenzone nicht möglich ist, rät die Feuerwehr zu diesen Selbstschutz-Maßnahmen gegen Rauchgasvergiftungen:
- Der Rauch darf sich nicht ausbreiten. Türen schließen und die Türritzen - wenn möglich - mit feuchten Tüchern abdecken.
- Dann die Fenster öffnen und möglichst viel Frischluft einatmen.
- In bereits verrauchten Räumen möglichst tief auf den Boden legen. Der Rauch konzentriert sich in höheren Regionen.
- Mit einem feuchten Tuch auf Mund und Nase werden grobe Rußpartikel aus der Atemluft gefiltert. Gegen Kohlenmonoxid und Cyanide hilft das Tuch allerdings nicht.
Über dieses Thema berichtet der WDR am Montag auch im Fernsehen, um 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde".
Unsere Quellen
- Interview mit Dr. Sven Dreyer
- Deutsche Presse Agentur
- Deutscher Feuerwehrverband