Ex-Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU)

Lockdown, Impfpflicht, Abstandsregeln: Bundesweit und parteiübergreifend wird der Ruf nach einer Aufarbeitung der Corona-Politik lauter. Auch Hessens Ex-Regierungschef Bouffier ist dafür - aber mit einer Maßgabe.

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Vier Jahre nach erstem Fall von Corona – wie schaut Volker Bouffier zurück auf die Krisenzeit?

hs 02.04.2024
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Vor vier Jahren, am 28. März 2020, registrierten Ärzte den ersten hessischen Corona-Infizierten. Vor einem Jahr, am 7. April 2023, endeten die letzten einschränkenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in Hessen. Nun werden bundesweit Forderungen immer lauter, aufzuarbeiten, was in der Zeit dazwischen politisch geschah - nicht zuletzt wegen der Veröffentlichung von Protokollen des Robert-Koch-Instituts (RKI).

In der Debatte schließt sich Hessens früherer Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) denjenigen an, die für die Aufarbeitung durch eine parlamentarische Enquete-Kommission eintreten. In ihr würden Politiker und Fachleute zusammenarbeiten, um einen bilanzierenden Bericht zu erstellen.

"Es ist vernünftig, wenn man nach einer so einzigartigen Krise überlegt: Was haben wir gut gemacht, was ist vielleicht nicht gut gelaufen, was können wir zukünftig besser machen", sagte Bouffier am Dienstag dem hr. Er stellte aber auch klar: Gravierende Vorwürfe mache er sich selbst nicht.

Manches bis heute umstritten

Der Unionspolitiker war von 2010 bis Ende Mai 2022 hessischer Regierungschef einer schwarz-grünen Koalition – und damit auch während der Hochphase der Corona-Pandemie. Manche Maßnahmen wie Lockdowns, Einschränkungen des Schulbetriebs oder Impfpflicht für medizinisches Personal sind bis heute umstritten.

Auch anderes rief Kritik bis zur Erbitterung hervor: Und das waren nicht nur Einschränkungen. Anfangs fehlten wochenlang Schutzmasken. Gerade in Altenheimen starben zu Beginn der Pandemie viele Menschen, in Kliniken blieben Sterbende wegen strikter Besuchsverbote allein. Viele Schulen waren nicht digitalisiert.

Das sagt Bouffier im einzelnen

  • zu Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss, wie zum Beispiel die AfD ihn in Hessen durchsetzen will: Nach Meinung des 72-Jährigen ist eine Analyse der Corona-Politik nur sinnvoll, wenn es nicht um eine Schuldfrage gehe. "Dann garantiere ich Ihnen, kommt nichts heraus."
  • zu einer Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung durch Aufarbeitung: Coronaleugner und Menschen, die den Staat zersetzen wollten, könne man zwar auch durch die Arbeit einer Kommission nicht beeindrucken. "Aber sie kann helfen, die ein oder andere Verschwörungstheorie zu entkräften", glaubt Bouffier. Man könne versuchen, kritischen Stimmen zu erklären, warum Entscheidungen zum jeweiligen Zeitpunkt getroffen worden seien.
  • zu eigenen Fehlern: Er selbst müsse "auf den ersten Blick" keine wichtige Entscheidung aus dieser Zeit bereuen, sagte Bouffier. Es könne sein, dass man heute "das eine oder andere" anders machen würde. "Aber im Großen und Ganzen sind wir, auch in ganz Deutschland, ganz gut durchgekommen."
  • zu dem, was inzwischen gern vergessen werde: In der aktuellen Debatte über eine Aufarbeitung der Corona-Politik werde zu oft versäumt, sich in die Situation von damals zurückzuversetzen. "Das Erste und Entscheidende war: Wie verhindern wir, dass Menschen sterben müssen. Alles andere war zweitrangig", sagte er. Wegen der drohenden Überlastung der Kliniken schienen sogar Triagen denkbar, in denen entschieden wird, "wer lebt weiter, wer lebt nicht weiter". Zudem habe es in vielen Fragen auch keine wissenschaftliche Gewissheit gegeben.
  • zu Schulschließungen: Wie schwierig politische Entscheidungen gewesen seien, illustrierte Bouffier an dieser Frage. Hintergrund: Das Schließen von Kitas und Schulen und die Folgen für Kinder und Jugendliche hat SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zuletzt wieder als einen der schwersten Fehler bezeichnet. Bouffier entgegnet: Er selbst sei seinerzeit beschimpft worden, weil sich Hessen Schulschließungen lange wiedersetzt habe. "Viele Eltern waren empört, als wir gesagt haben, wir lassen die Schulen auf. Die hatten verständliche Angst." Deshalb habe man die Präsenzpflicht aufgehoben und die Abi-Prüfungen gegen Kritik und ohne Komplikationen durchgezogen.
  • zu seiner Befürwortung einer allgemeinen Impfpflicht: "Es gab dafür zu diesem Zeitpunkt eine breite Meinung", sagt Bouffier. Möglicherweise würde man heute anders entscheiden. Er hatte sich im November 2021 für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen und Bußgelder für denkbar gehalten.
  • zu Kritik an fehlender Parlamentskontrolle: Bouffier verteidigt, dass wesentliche Entscheidungen in der Bund-Länder-Konferenz mit den Ministerpräsidenten und per Verordnungen durch das Corona-Kabinett der Landesregierung fielen - und nicht in Parlamenten. Demokratisch legitimiert seien auch diese Gremien. Und in der Pandemie habe gegolten: "Sie müssen entscheiden, teilweise sehr schnell."

Der frühere Regierungschef würde nach eigenen Angaben in einer Enquete-Kommission mitarbeiten, wenn das gewünscht wird. Vorteil eines solchen Gremiums sei, dass nicht nur Politiker und Wissenschaftler Beiträge leisten könnten, sondern auch Menschen aus Medizin, Pflege oder "eine Kita-Leiterin, die denen mal erzählt, wie es in der praktischen Welt eigentlich ist".

Aufarbeitung wollen viele - aber wie?

Die Debatte über die Coronapolitik mit Forderungen nach Aufarbeitung hat zuletzt Fahrt aufgenommen. Wie das geschehen soll, ist strittig. Die FDP hat in der Ampel-Koalition die Partnerfraktionen SPD und Grüne aufgefordert, gemeinsam im Bundestag eine Enquete-Kommission auf den Weg zu bringen. Als ihr Parteichef sprach Bundesfinanzminister Christian Lindner von "großem wirtschaftlichem und sozialen Schaden" durch Entscheidungen der früheren CDU/SPD-Bundesregierung.

Gleichzeitig haben maßgebliche Vertreter der damaligen CDU/SPD-Bundesregierung Fehler eingeräumt. Der noch amtierende Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) sagte: "Der größte Fehler war, dass wir bei den Kindern zum Teil zu streng gewesen sind und mit den Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich etwas zu spät angefangen haben." Er ist allerdings gegen eine Kommission. Auch die Grünen, die ebenfalls eine Analyse befürworten, fürchten den politischen Missbrauch eines solchen Gremiums.

Der damalige Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), wie Bouffier ein Gießener, räumte Fehleinschätzungen beim Impfstoff ein: Man habe sich irrtümlich den Ausstieg aus der Pandemie durch ihn versprochen.

Drosten: Vieles hat gut gewirkt

Für eine gesellschaftliche Aufarbeitung unter anderen Vorzeichen sprach sich der Virologe und Corona-Experte Christian Drosten unlängst im Deutschlandfunk aus. Seiner Meinung nach kam Deutschland trotz Fehlern aus medizinischer Sicht gut durch die Pandemie. So sei kurz vor Beginn der ersten Impfungen zu früh gelockert worden.

Die Wirksamkeit der Prävention wird nach Meinung Drostens in der aktuellen Aufarbeitungsdebatte zu gering veranschlagt. In der öffentlichen Diskussion hätten sich in der Pandemie Räume für Verschwörungstheorien geöffnet, die schwer zu schließen seien. Dabei sei wissenschaftlich gesichert, dass viele Maßnahmen gut wirkten: die Versammlungs- und Ausgangsbeschränkungen etwa, Homeoffice-Regelungen, Maskenpflicht sowie die Testpflicht und Kontaktverfolgung – und auch Schulschließungen.

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