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Neuer Ärger um Arbeitsbelastung am UKGM

Außenansicht des Gebäudes der Universitätsklinik auf den Marburger Lahnbergen. Im Vordergrund ein Schild auf dem steht "Universitätsklinikum Marburg".

Der Streit um eine hohe Arbeitsbelastung am Marburger Standort des Universitätsklinikums Gießen und Marburg  spitzt sich zu. Der Betriebsrat sieht die Patientensicherheit gefährdet, die Geschäftsführung widerspricht.

Nach wochenlangem Ringen um einen Tarifvertrag am privatisierten Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) sollte dort seit dem Frühsommer eigentlich Ruhe eingekehrt sein. Damals hatten sich das UKGM und die Gewerkschaft Verdi auf einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung an dem privatisierten Krankenhaus geeinigt.

Zentral sollte auch das Thema Entlastung der Mitarbeitenden geregelt werden, etwa über schichtgenaue Personalvorgaben für Stationen und Funktionsbereiche. In Kraft treten soll dieser am 1. April 2024. Doch vorab deutet sich neuer Ärger an.

Vorwurf: Arbeitszeiten nicht eingehalten

Der Betriebsrat am Standort Marburg wirft der Geschäftsleitung vor, ihm die Einsicht in die sogenannten Überlastungsanzeigen zu verweigern. Seit dem 5. September habe er keinen Zugriff mehr auf das Digitaltool, mit dem Mitarbeitende Arbeitsüberlastung melden können, berichtet der Vorsitzende Klaus Gerber am Mittwoch in Marburg.

Mit dem Tool habe der Betriebsrat die Überlastunsganzeigen automatisch auf seine Rechner bekommen. Der Zugriff sei abgeschaltet worden, nachdem der Betriebsrat das Sozialministerium und das Regierungspräsidium Gießen als Aufsichtsbehörden informiert hatte, dass Arbeitszeiten nicht eingehalten würden, beklagt Gerber.

Befürchtung: Mitarbeiter werden eingeschüchtert

Neuerdings würden wieder alle Betten belegt, obwohl es dafür oft nicht das notwenige Personal gebe, sagt Gerber: "Lieber werden Strafzahlungen in Kauf genommen, die drohen, wenn gesetzliche Personaluntergrenzen unterschritten werden." In der Folge könnten etwa Pausen häufig nicht genommen werden. Durch steigenden Arbeitsdruck könnten Fehler in der Patientenversorgung nicht ausgeschlossen werden.

Nun müsse der Betriebsrat auf anderen Wegen Informationen darüber einholen, ob die Rechte der Belegschaft eingehalten werden, etwa über handschriftliche Zettel. Wer jetzt eine Überlastungsanzeige stelle, müsse zudem damit rechnen, einzeln zur Rechenschaft gezogen werden, im Beisein eines Juristen des UKGM. Gerbers Befürchtung: Mitarbeitende könnten eingeschüchtert werden.

Geschäftsführung: "Formloses Verfahren etabliert"

Die Geschäftsführung des UKGM reagiert auf hr-Anfrage mit einer Pressemeldung. Darin weist sie "pauschal erhobene Vorwürfe" zurück. Nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten einen Zugang zum bisher etablierten Verfahren der elektronischen Erstellung. Deswegen habe die Geschäftsführung "ganz bewusst ein niedrigschwelligeres und formloses Verfahren etabliert".

Wie genau das aussieht, schreibt die Geschäftsführung nicht, nur so viel: Mitarbeitende sollen potentielle Überlastungen mit konkreten Beispielen melden. "Wir werden alles tun, um die jeweiligen Sachverhalte zeitnah aufzuklären und nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen", heißt es weiter. Dabei würden alle rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten.

"Schwierige Bedingungen durch Strukturreform"

Es werde ausdrücklich darum gebeten, das wichtige Informationsmittel der Überlastungsanzeigen "nicht interessengetrieben zu missbrauchen, um Druck auszuüben". Derzeit hätten alle Kliniken in der Region und in ganz Deutschland "intensiv mit den schwierigen Rahmenbedingungen" zu kämpfen.

Den Betriebsrat forderte die Geschäftsführung auf, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Über Überlastungen würde dieser weiter informiert, im Sinne einer "guten und vertrauensvollen Sozialpartnerschaft". Auf den Vorwurf der Einschüchterung ging die Geschäftsführung nicht ein.

Direktoren: Patientensicherheit gewährleistet

Die Betten würden tagesaktuell in Absprache mit den Ärzten und Pflegekräften belegt, heißt es auf Nachfrage. Dabei vertraue die Geschäftsführung auf die Kompetenz und Erfahrung der Praktiker auf Station. Die Sichtweise des Betriebsrates an diesem Punkt teile man nicht.

Die Klinikdirektoren am Standort Marburg wiederum teilten am Mittwoch mit, in den vergangenen Monaten seien stets über 20 Prozent der Betten nicht belegt gewesen. Die Sicherheit der Patienten sei gewährleistet.

Betriebsrat: "Kein Gesprächsangebot angekommen"

Betriebsratschef Gerber wiederum sagt, es sei bei ihm kein Angebot für Gespräche angekommen: "Das Ganze hat sich auf die Ankündigungen in der Presse beschränkt."

Auf Nachfrage am Standort Gießen heißt es, dort gebe es keinen ähnlichen Ärger. Dort würden die Überlastungsanzeigen an die Beschäftigtenvertreter weitergeleitet, sobald sie in der Personalabteilung eingehen, sagt der dortige Vorsitzende Marcel Iwanyk.

Ministerium prüft Defizite

Das Sozialministerium schreibt auf Anfrage, der Betriebsrat des Marburger UKGM-Standorts habe zuletzt im Juli 2023 Überlastungsanzeigen des Personals übermittelt. "Soweit darin Fragen des Arbeitsschutzes berührt sind, prüft die dafür zuständige Aufsichtsbehörde des Regierungspräsidiums Gießen aktuell, inwieweit Defizite vorliegen und leitet gegebenenfalls Maßnahmen entsprechend der Arbeitsschutzvorschriften ein", heißt es weiter.

Überprüfungen der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften hätten in den vergangenen Jahren in verschiedenen Bereichen des UKGM an beiden Standorten stattgefunden, in der Regel aufgrund "eingereichter Überlastungsanzeigen durch den Betriebsrat oder auf Grund von Beschwerden". 

Zum aktuellen Konflikt schreibt das Ministerium, es habe keine Kenntnisse von Einschüchterungsversuchen. Und weiter: "Die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Betriebsräten ist grundsätzlich im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt. Strittige Fragen müssen demnach vor Schlichtungsstellen oder den Arbeitsgerichten geklärt werden."

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