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Nie zu alt zum Lernen: Günter Blum studiert mit 91 Jahren Geschichte

Ein alter Mann mit weißen Haaren sitz in einem großen Hörsaal in einer Tischreihe. Hinter ihm viele Stuhl/Tischreihen mit Menschen verschiedenen Alters.

Sein Leben lang träumte Günter Blum von einem Studium, doch in seiner Jugend im Nachkriegsdeutschland war dafür kein Platz. Seinen Traum setzt er nun als Rentner um: Mit 91 Jahren ist Blum der Methusalem an Marburgs Uni. Und nicht nur das.

Wenn Günter Blum vor der Marburger Uni aus dem Taxi steigt, dann tut er das stets mit Stil. Zum Semesterstart erscheint der Student an diesem Tag mit grauer Tweed-Weste, gemustertem Seidenschal und kariertem Regenschirm. In der Tasche: ein kleines Etui mit einem silbernen Füllfederhalter, eine Kladde im Ledereinband, ein Sitzkissen. Man könnte meinen: Blum verdirbt mit seinem Auftreten die Preise unter den Studierenden.

Günter Blum ist nicht nur der wohl eleganteste Student Marburgs, sondern auch der älteste. Mit 91 Jahren studiert der Senior noch voller Wissensdurst und Leidenschaft Geschichte - mittlerweile im 15. Semester.

In Jugend war keine höhere Schulbildung möglich

Als Blum in dem Alter war, in dem man normalerweise ans Studieren denkt, lag Deutschland in Schutt und Asche. Bitterarm sei seine Familie gewesen, erzählt er: "Das Einzige, was wir nach dem Krieg besaßen als zurückkommende Flüchtlinge nach Bonn, war das, was wir am Leib trugen."

Nachdem Blum 1947 die Volksschule abgeschlossen hatte, träumte er von einem Medizinstudium und einer Laufbahn in der Forschung. "Aber eine höhere Schulbildung kam für uns nicht in Frage, weil sich meine Familie das nicht leisten konnte."

Mann im Hörsaal

Stattdessen begann Blum mit 14 Jahren eine Lehre und wurde Textilkaufmann – mit großem Erfolg: Am Ende seiner Berufslaufbahn leitete er schließlich mehrere Kaufhaus-Filialen in Süddeutschland. Der Traum von der Uni blieb jahrzehntelang, allerdings stets in weiter Ferne. Bis jetzt.

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Seniorenstudium auch ohne Abitur

Senioren können sich an hessischen Hochschulen als Gasthörer anmelden. Dafür müssen sie laut hessischem Hochschulgesetz keinerlei akademische Voraussetzungen erfüllen, brauchen also auch kein Abitur. Möglich ist ein Seniorenstudium rein theoretisch an allen Hochschulen, aber von Ort zu Ort kann sich unterscheiden, wie ausgeprägt die Studierenden dabei betreut werden und wie das Studium organisiert wird.

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140 Gasthörer in Marburg

In Marburg studieren laut Philipps-Universität derzeit rund 140 Senioren. Für den Bereich Lebenslanges Lernen an der Uni zuständig ist Monika Braun. Die Referatsleiterin erklärt: In Marburg verfolge man dabei einen "integrativen Ansatz".

Das heißt: Für die Gasthörer gibt es keine Sonder-Seminare. Sie können an regulären Veranstaltungen teilnehmen, wenn die Lehrenden sie dafür öffnen und das Fach nicht zulassungsbeschränkt ist.

Keine Abschlüsse möglich

Ein Medizinstudium oder die Teilnahme an laborpraktischen Seminaren zum Beispiel seien daher nicht möglich. "Die Teilnehmer sind auch nicht offiziell immatrikuliert und können keine Prüfungen ablegen, also auch keine Abschlüsse machen."

Für eine Anmeldung als Gaststudent fallen in Marburg pro Semester 100 Euro Gebühren an. Bis zu 12 Semesterwochenstunden dürfen dann belegt werden. Besonders beliebt sind laut Monika Braun bei den Senioren Kunstgeschichte, Geschichte und evangelische Theologie. "Manche wollen aber auch in Fachrichtungen weiter studieren, in denen sie früher schon mal studiert haben."

Traum vom Studium mit Renteneintritt umgesetzt

Blum setzte seinen Traum vom Studium schließlich um, sobald er in Rente ging. Er sagt: "Ich habe noch eine ungebrochene Neugier, Neues zu lernen und vorhandenes Wissen zu vervollständigen."

Zunächst wurde er Gasthörer in Freiburg - dort allerdings aufgrund seines fehlendes Abiturs nicht an der Uni, sondern an einer Fachhochschule.

Um näher bei seiner Tochter zu wohnen, zog Blum schließlich nach Marburg. Zwischendurch unterbrach er das Studium noch mal für zehn Jahre, wegen der Pflege seiner kranken Ehefrau, die mittlerweile verstorben ist. Seit 2019 studiert er wieder.

Von der Antike bis zu Napoleon

Weil er schon immer geschichtsbegeistert gewesen sei, habe er sich für dieses Fach entschieden. Angefangen habe er mit griechischer Antike, dann kamen römische Geschichte und die Zeit der Staufer. Mittlerweile ist Blum bei Napoleon und der französischen Revolution angekommen.

Das Studium nimmt Blum äußerst ernst. Auch auf die Napoleon-Vorlesung hat er sich mit Literatur zu Hause vorbereitet, außerdem schreibt er viel mit und hat er noch ein Smartphone dabei, mit dem er zwischendurch Fotos von der Präsentation macht. Er betont: Er könne sich die vielen Inhalte durchaus merken. "Einige Daten haben sich richtig eingebrannt", meint er. "Zum Beispiel der 10. Januar im Jahr 49 vor unserer Zeitrechnung: Da überschritt Cäsar den Rubikon und löste damit in Italien den Bürgerkrieg aus."

Auch mit den monotheistischen Weltreligionen hat Blum sich an der Uni beschäftigt: ein Semester Islam, ein Semester Judentum, ein Semester Christentum. Er selbst bezeichnet sich allerdings als praktizierenden Konfuzianer. Er richte sich bewusst nach der Philosophie des lebenslangen Lernens: Nach Konfuzius ist erst das Lernen das, was den Menschen zum Menschen macht.

"Ich pflege regen Austausch mit den jungen Studierenden"

Bei den anderen Studierenden an der Uni kommen die Kommilitonen im Rentenalter laut Uni übrigens gut an. Auch in der Napoleon-Vorlesung sind die Rückmeldungen durch die Bank positiv. "Man ist ja nie zu alt, was Neues zu lernen", meint eine der Studentinnen, die hinter Blum sitzt. Vielleicht werde sie das später auch mal machen.

"Ich finde das motivierend", sagt eine andere. Für sie sei es sogar ein Zeichen für die Qualität einer Vorlesung, wenn viele ältere Gasthörer da sind. "Die suchen sich nämlich immer die besten Veranstaltungen aus."

Blum sagt: Der Kontakt zu den jungen Leuten an der Uni tue ihm gut. "Ich pflege einen regen Austausch mit jungen Studierenden", sagt er. "Manche sind auch durchaus interessiert an meiner Vita."

Den Lebenslauf eines 91-Jährigen zu hören - für Geschichtsstudenten könnte das ja vielleicht sogar fachlich ein Gewinn sein.

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