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Kritik an Brandschutz in der Landwirtschaft

Der Stall ist komplett ausgebrannt.

Egal ob ein Feuer im Schweine- oder Kuhstall - seit vier Jahren zählt Stefan Stein aus Egelsbach in seiner Freizeit bundesweit brennende Tierställe. Was als kuriose Idee begann, hat mittlerweile eine politische Dimension gewonnen.

August 2022: Ein Stallbrand in Bayern, 50 tote Kühe. Die Lüftungsanlage in einer Mastanlage in Thüringen fällt aus, 2.000 tote Schweine. Ein Taubenschlag in Baden-Württemberg fängt Feuer, 60 tote Vögel. Eine Scheune in Ronneburg (Main-Kinzig) steht in Flammen, 30 tote Hühner.

Diese Zahlen sind nur ein kleiner Auszug aus Stefan Steins Statistik. Seit 2019 registriert der 55-Jährige aus Egelsbach (Offenbach) akribisch, wenn es in einem Stall oder einer Tierhaltungsanlage gebrannt hat.

Er durchforstet das Internet nach entsprechenden Meldungen und notiert in seiner Tabelle alle Details: den Einsatzort, die Brandursache, die Zahl der tierischen und menschlichen Opfer, die Schadenshöhe.

Anfangs nur eine Schnapsidee

Anfangs sei das nicht mehr als eine Schnapsidee gewesen, sagt Stein, der in der Verwaltung der Bundespolizei am Frankfurter Flughafen arbeitet.

Er habe innerhalb kurzer Zeit von zwei Stallbränden mit vielen verendeten Tieren gelesen und nach einer offiziellen Statistik gesucht, aber keine gefunden.

Von offizieller Stelle würden keine Zahlen zu Stallbränden erhoben. "Selbst die Feuerwehr führt keine einheitliche bundesweite Statistik darüber", berichtet Stein.

Stein will Politik erreichen

Also habe er selbst eine entsprechende Datei gebastelt und angefangen, Daten zu sammeln. Auf einer Facebook-Seite trägt er mit zwei Kolleginnen Informationen zusammen.

Er stehe im regelmäßigen Austausch mit Tierschutzorganisationen und Bundestagsabgeordneten, sagt Stein. Im März dieses Jahres war er zudem als Redner bei einem vom Land Brandenburg organisierten Kongress zum Thema geladen.

Aus der Schnapsidee sei inzwischen "eine langwierige Geschichte" geworden - und eine zeitintensive: Ein bis zwei Stunden koste ihn das Projekt jeden Tag.

"Und wenn man Schreiben aufsetzt an die Politik, an die Agrarminister-Konferenz oder das Bundeslandwirtschaftsministerium, dauert es natürlich noch mal länger", sagt Stein.

Seit 2018 rund 500.000 tote Tiere

Denn darum geht es dem 55-Jährigen: die Politik in die Pflicht zu nehmen, den Brandschutz - und damit den Tierschutz - in den Ställen zu verbessern.

In der Landwirtschaft gebe es eine "immense Brandgefahr" und "Unmengen Faktoren": sich selbst entzündende Heuballen etwa oder gelagertes Düngemittel. Oftmals seien die Gebäude aus Holz, die Elektrik veraltet.

In Hofheim gerieten auf dem Gelände eines Reitvereins Strohballen in Brand.

Seit 2018 sind laut Steins Statistik bundesweit rund 500.000 Tiere durch Brände, Havarien und technische Störungen getötet worden.

Im Jahr 2022 gab es demnach 3.099 Fälle mit mindestens 90.000 getöteten Tieren und 412 verletzten Menschen. Die Sachschäden beliefen sich Stein zufolge auf mindestens 242 Millionen Euro.

Hessen im Mittelfeld

Zwei Drittel aller Stallbrände passierten dabei in Niedersachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Mit 208 Bränden im Jahr 2022 lag Hessen laut Steins Statistik im Bundesländervergleich auf Platz 6, in in der Liste der Brände mit verletzten Tieren (33) auf Platz 5.

Insgesamt seien im vergangenen Jahr bei Stallbränden in Hessen 106 Tiere verendet und 31 Menschen verletzt worden. Auffällig oft sei die Löschwasserversorgung vor Ort ein Problem gewesen.

Studie: Bauordnungen ignoriert

Ställe gehörten baurechtlich zur niedrigsten Gebäudeklasse, an sie würden in Sachen Brandschutz die geringsten Anforderungen gestellt. "Im Grunde genommen können Sie einen landwirtschaftlichen Bau ohne großartige Schutzmaßnahmen umsetzen", sagt Stein.

Oftmals würden die Ställe schon vor dem Eintreffen der Feuerwehr in sich zusammenstürzen. "Und dann kann kein Feuerwehrmann mehr rein, um irgendetwas zu retten."

Zu diesem Ergebnis kommt auch ein kürzlich im Auftrag der Umweltschutzorganisation Greenpeace erstelltes Gutachten über Brandschutzmaßnahmen in zehn sogenannten Megaställen in Ostdeutschland. Es legt nahe, dass Vorgaben der Landesbauordnungen fehlerhaft ausgelegt, teilweise sogar systematisch ignoriert werden.

Billige Baustoffe, keine Überprüfungen

Bereits Anfang des vergangenen Jahres stellte eine durch die Agrarminister der Länder und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) eingesetzte Arbeitsgruppe fest, dass es in deutschen Ställen an Brandmeldesystemen, Brandmauern und Notfallkonzepten für den Brandfall fehle.

Tierhaltungsanlagen würden brandschutzrechtlich kaum bis gar nicht überprüft, die verwendeten Baustoffe seien oft billig und leicht brennbar. Zudem seien Tierhalter und Einsatzkräfte oftmals nicht ausreichend geschult für Stallbrände, heißt es in dem Papier der Arbeitsgruppe.

"Tiere müssten herausgetragen werden"

In Gefahrensituationen würden Geflügel und Schweine etwa nicht fliehen, sondern sich zusammenrotten, erklärt Stein. "Die einzige Möglichkeit, die Tiere zu evakuieren, ist, sie herauszutragen."

Schweine in einem Stall

Das sei im Einsatz nicht zu leisten, sagt Carsten Lauer, Vorsitzender des Fachausschusses Ausbildung, Einsatz und Wettbewerbe beim hessischen Landesfeuerwehrverband.

Spezielle Schulungen für Stallbrände gebe es zwar nicht. Die Einsatzkräfte seien aber durchaus vorbereitet. Im Main-Taunus-Kreis würden zudem speziell ausgebildete Tierrettungsgruppen unterstützen.

Strengere Regeln gefordert

Oftmals seien die Brände beim Eintreffen der Feuerwehr aber schon so vorangeschritten, dass es zu gefährlich sei, Menschen in die Ställe zu schicken. "Da müssen wir uns auf den Umgebungsschutz konzentrieren", sagt Lauer.

Insgesamt seien die Brandschutzregelungen zu lax, die Baugesetzgebung lasse zu viel Spielraum. Vom Bund fordert Lauer deswegen ein "engeres Korsett".

Der hatte bislang auf die Länder verwiesen: Die Landesbauordnungen regelten die Brandschutzkonzepte und seien auch dafür zuständig, deren Einhaltung zu überprüfen.

Ministerium will Tierschutzverordnung ändern

Auf Bundesebene hatten die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag aber angekündigt, den Brandschutz in Haltungseinrichtungen verbessern zu wollen. Anfang Mai teilte das Bundeslandwirtschaftsministerium mit, dafür die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ergänzen zu wollen.

Einen konkreten Zeitpunkt für diese Änderung oder Einzelheiten nennt das Ministerium allerdings nicht. Die bisherigen Überlegungen dazu befänden sich noch in der Prüfung, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit, der Verordnungsentwurf werde zu gegebener Zeit den Ländern und Verbänden zur Stellungnahme vorgelegt.

Landesregierung: Seminare und Förderungen

Die hessische Landesregierung wies Kritik zurück. Um den Landwirten eine passende Beratung anzubieten, habe der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen bereits Seminare zum Brandschutz in Tierhaltungsanlagen angeboten, teilte das Landwirtschaftsministerium auf hr-Anfrage mit. Weitere solcher Seminare seien geplant.

Es würden zudem Investitionen in den Bau solcher Ställe gefördert, "die Vorgaben für eine besonders tiergerechte Haltung erfüllen und in ihrer Gesamtheit über den gesetzlichen Vorgaben liegen", so das Ministerium.

Angesichts der Kritik, dass Tierhaltungsanlagen brandschutzrechtlich zu selten überprüft würden, hieß es, dass dies vom Bundesgesetz in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung geregelt werden müsste. Allerdings könnten laut hessischem Wirtschaftsministerium Ställe von der Bauaufsicht überprüft werden, wenn deren Fläche größer als 1.600 Quardratmeter sei.

Das hessische Innenministerium teilte mit, dass Ställe, die als Sonderbauten gelten oder eine eigene Versorgung mit Löschwasser haben, alle fünf Jahre überprüft würden - bei einer sogenannten Gefahrenverhütungsschau.

Hobby-Statistiker: Zeitpunkt zur Veränderung "absolut günstig"

Hobby-Statistiker Stein zeigt sich optimistisch, dass bis zum Jahresende neue Regelungen auf den Weg gebracht sein könnten. Der Zeitpunkt, etwas zu verändern, sei "absolut günstig". Durch die Tierwohl-Pläne des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir (Grüne) müssten in absehbarer Zeit ohnehin Ställe umgebaut werden.

Ob das auch Steins Verdienst sei? "Nein, um Gottes Willen", wiegelt der Egelsbacher ab. Es sei zwar toll, wenn sich etwas ändere. Wem das zu verdanken sei, sei aber egal. "Hauptsache, es tut sich etwas", sagt er. "Ich wäre froh, wenn ich meine Arbeit einstellen könnte."

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