Hessen Forschungsprojekt über die Reden Hitlers: "Hitler war ein Redekünstler"
Ein bellender, geifernder Redner, bei dem man als Zuhörer meint, die Speicheltropfen zu spüren: Das ist das Bild, das viele von Adolf Hitler haben. Wie der Diktator trotzdem die Massen begeistern konnte, wird jetzt in einem Forschungsprojekt untersucht – auch auf Parallelen zur Gegenwart.
"Die Behauptung, Hitler habe wie ein Hund gebellt, ist eine Beleidigung für Hunde", soll der Historiker Golo Mann gesagt haben. Trotzdem dürften die meisten Menschen von dem Redner Adolf Hitler diesen Hör-Eindruck haben: ein schreiender, bellender Tonfall, der Zuhörern durch Mark und Bein geht.
Redekünstler mit Schauspiellehrer
Doch von dem Diktator sind sehr viel mehr Reden überliefert als die verrauschten Aufnahmen von Massenveranstaltungen, die beispielsweise im Geschichtsunterricht besprochen werden. Diese Reden belegen, dass die Nationalsozialisten und speziell Hitler nicht nur auf Überwältigung und Einschüchterung setzten.
"Hitler war ein Redekünstler", sagt der Frankfurter Historiker Christoph Cornelißen. "Er war ein fähiger Redner in dem Sinne, dass er Argumente vorgetragen hat, die sein Publikum für sich eingenommen hat." Für die Verbesserung dieser Fähigkeit habe Hitler sogar einen Opernsänger als Schauspiellehrer engagiert.
Die Historiker Muriel Favre und Christoph Cornelißen erforschen die Rhetorik Adolf Hitlers.
800 dokumentierte Reden
Zusammen mit seiner Kollegin Muriel Favre erschließt Cornelißen in einem neuen Forschungsprojekt das erhaltene Original-Tonmaterial von Hitlers öffentlichen und nicht-öffentlichen Ansprachen.
Rund 800 Reden gibt es. Nur wenige sind bisher systematisch untersucht worden. Ein Großteil des Materials liegt im Deutschen Rundfunkarchiv, einer Gemeinschaftseinrichtung der ARD in Frankfurt und Potsdam.
Auf solchen Folien-Tonträgern sind viele Reden im DRA archiviert.
Überholte Edition aus den 1960er Jahren
Bisher waren die Reden und Schriften des führenden Nationalsozialisten nur in einer Edition aus den 1960er Jahren zusammengefasst. Diese Sammlung sei aus heutiger Sicht nicht mehr brauchbar, sagt Cornelißen: "Der damalige Archivar wollte ein spezifisches Hitler-Bild erzeugen und hat zum Beispiel besonders aggressive Aussagen bewusst ausgeschlossen."
Das aktuelle Projekt sei aber nicht nur aus wissenschaftlichen, sondern auch aus politischen Gründen wichtig, findet der Historiker.
Ähnliche Strategien bei der Neuen Rechten
Direkte Parallelen zu derzeitigen Populisten wie dem AfD-Politiker Björn Hoecke zu ziehen, findet er schwierig: "Die derzeitigen Repräsentanten der AfD bedienen sich ja nicht einfach aus dem Wort-Arsenal der Nationalsozialisten, von Einzelnen abgesehen", sagt Cornelißen.
Man könne aber Bezüge herstellen in Hinblick auf die Strategien der extremen Rechten. Darin sind sich die beiden Frankfurter Wissenschaftler einig. Es werde versucht, durch bestimmte Begriffsfelder Emotionen zu erzeugen, etwa Angst und Zorn, und Feindbilder aufzubauen, wie beispielsweise die EU.
Vom Tabu über das Sagbare zum Machbaren
Historikerin Muriel Favre beschäftigt zudem der Prozess vom Fallen eines Tabus über das nun Sagbare bis hin zum Machbaren. Als Beispiel führt sie einen Redeauschnitt aus dem Jahr 1933 vor, in dem Hitler von "Hergelaufenen" und "internationalen Zigeunern" spricht, das Wort "Jude" aber offenbar meidet.
In einer bekannten Rede vor dem Reichstag im Januar 1939 spricht er dann eindeutig vom "internationalen Finanzjudentum" und der Vernichtung der "jüdischen Rasse" in Europa. Von Historikern wird diese Rede mit Blick auf den Holocaust auch als "Prophezeihung" bezeichnet.
Reichskanzler Adolf Hitler begründet in seiner Rede vor dem Reichstag in Berlin am 1. September 1939 den Angriff auf Polen.
Nazi-Deutsch, um Teil der Gemeinschaft zu werden
Von Sprachhistorikern wisse man, dass Formulierungen aus Hitler-Reden auch in die Umgangssprache eingingen. "Man sprach Nazi-Deutsch, um sich in die 'Volksgemeinschaft' zu integrieren", so Favre.
Damit tauchten auch schiere Behauptungen, "Fake news", nicht mehr nur in Reden einzelner Politiker auf, "sondern verbreiteten sich als Begriff in jedermanns Munde".
"Entgrenzung" in der Sprache
Eine solche Entgrenzung in der Sprache beobachten die Wissenschaftler auch bei heutigen Rechtsextremen, wenn staatliche Institutionen wie Gerichte, Parlamente oder Parteien verächtlich gemacht würden. Dazu gehöre auch die Wiederentdeckung des Nazi-Kampfbegriffs "System".
"Er stand in der NS-Sprache für das demokratische Regime der Weimarer Republik und war selbstverständlich negativ konnotiert", so Favre. Für Geschichtswissenschaftler sei "System" lange ein historischer Begriff gewesen. "Und auf einmal ist er wieder da."
Beteiligt sind das Institut für Zeitgeschichte (München und Berlin), der Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Goethe-Uni Frankfurt, der Lehrstuhl für Praktische Informatik der Philipps-Universität Marburg, das Deutsche Rundfunkarchiv, das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die das Projekt auf sieben Jahre fördert.