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Der ÖPNV im Lahn-Dill-Kreis hat erhebliche Mängel

Die Dörfer rund um Herborn sind am Wochenende kaum mit dem Bus zu erreichen.

Am Wochenende in Haiger, Herborn oder Dillenburg in die Kneipe - aber wie am Abend zurück nach Hause aufs Dorf kommen? Bahnen oder Busse fahren meist nicht. Warum eigentlich? Eine Spurensuche in Landkreisen, Gemeinden und bei Verkehrsbetreibern.

Luca Bonkowski ist in Haiger-Seelbach aufgewachsen, einem Dorf im Lahn-Dill-Kreis. Am Wochenende geht der 29-Jährige abends vor allem in Haiger und Herborn mit Freunden feiern. Heute wohnt er in Herborn. 

Von den Kleinstadt-Kneipen abends ins vier Kilometer entfernte Haiger-Seelbach nach Hause zu kommen, war für ihn "immer eine Katastrophe, weil wir immer auf Taxis zurückgreifen mussten. Das war damals teuer für uns. Oder einer musste sich als Fahrer opfern und das Auto der Eltern ausleihen", erzählt Bonkowski. 

Im Lahn-Dill-Kreis fahren abends kaum Busse 

Denn der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) im Lahn-Dill-Kreis ist - wie in anderen Kreisen Mittelhessens - am Wochenende nur schlecht ausgebaut. Ein Beispiel: Dillenburg, die zweitgrößte Stadt im Lahn-Dill-Kreis.

Wohnt man beispielsweise im benachbarten Dillenburger Stadtteil Donsbach, dann fährt der letzte Bus am Samstag um 14.53 Uhr nach Hause. Von Haiger zum elf Kilometer entfernten Haiger-Offdilln fährt der letzte Samstagsbus sogar schon um 12.51 Uhr.  

Wer im Ländlichen wohnt, ist auf ein Auto angewiesen. Kann dieses aber nicht nutzen, wenn er mal Alkohol konsumiert. 

Positivbeispiel: On-demand-Bus "LahnStar"

Abhilfe können da alternative Angebote schaffen: ÖPNV "on demand". Etwa Sammelbusse oder -taxen, die auf Abruf Haltestellen abfahren, auch in den späten Abendstunden. Ein Positivbeispiel etwa ist der "LahnStar" im Kreis Limburg-Weilburg. 

Rund 200 Haltestellen fährt der Sammelbus seit Ende 2021 ab. Per App oder Anruf kann bestellt werden. Die Bilanz: über 1.000 Fahrgäste im ersten Monat.

Die Taktungen mussten wegen des regen Bedarfs ausgebaut werden. Der Bund und das Land fördern das Projekt bis 2024. 

Ein einziger On-Demand-Bus in Mittelhessen 

Insgesamt gibt es aber nur wenige solcher On-demand-Angebote im Rhein-Main-Verkehrsverbund. 15 an der Zahl sind es. Davon in Mittelhessen: ein einziger. Der "LahnStar". 

Warum ist das so? Marburg-Biedenkopfs Kreissprecher Maximilian Schlick beispielsweise antwortet, man halte On-demand-Projekte für "dauerhaft wenig effizient und nachhaltig".  

Alternative Verkehrskonzepte im Lahn-Dill-Kreis: Fehlanzeige 

Die Verkehrsgesellschaft Oberhessen (VGO), die für die Landkreise Gießen, Wetterau und Vogelsberg zuständig ist, plant ebenfalls keinen On-demand-Verkehr. Kosten, die bereits in anderen Kreisen für die Förderung investiert würden, gingen nämlich in die Millionen. 

Man behelfe sich in Oberhessen eher mit Rufbussen oder auch Anruf-Linien-Taxen (ALT). Diese fahren zum Tarif der Verkehrsgesellschaften in den späteren Stunden die üblichen Haltestellen ab.  

Im Lahn-Dill-Kreis kennt man so etwas nicht mal, wie Taxibetreiber Markus Petrotos schildert. "Wie sollen wir das bedienen? Wir haben Personalkosten von 280 Euro für eine Nachtschicht", sagt er. Seit Corona habe man 70 Prozent des Umsatzes verloren. 

Bürgerbus-Initiative scheitert wegen fehlender Fahrer 

Die Stadt Dillenburg antwortet auf Anfrage, man wolle ebensolche Taxiunternehmen nicht zusätzlich durch ein erweitertes ÖPNV-Angebot schwächen. Außerdem: "Die Umsetzung müsste zu 100 Prozent von der Stadt oder einem entsprechenden Verein finanziert werden", so ein Sprecher.  

2019 habe es auf öffentliches Betreiben hin eine Initiative für einen Bürgerbus gegeben. Diese sei jedoch wegen fehlender Ehrenamtlicher, die diesen fahren müssten, gescheitert.  

Keine Bürgerbusse in kleineren Gemeinden am Wochenende

In kleineren Gemeinden im Südosten des Lahn-Dill-Kreises gibt es solche ehrenamtlich betriebenen Bürgerbusse, etwa in Bischoffen, Waldsolms, Lahnau, Schöffengrund, Mittenaar, Hohenahr und Solms.  

Wo ein Wille, dort scheint also auch ein (Heim-)Weg. Abends fahren die allermeisten Bürgerbusse allerdings auch nicht. Sie fahren meist zweckgebunden und transportieren etwa Senioren oder Sportvereine. 

Politischer Wille fehlt 

Wo hakt es? Dirk Plate von der Verkehrsgesellschaft Lahn-Dill-Weil sieht das Problem auf Seiten der Politik. Für solche Projekte brauche es immer Bezuschussungen, da sie sich nicht wirtschaftlich von alleine trügen.  

Und so schiebt eine Seite der anderen die Verantwortung zu: Die Kleinstadt sagt, es fehle an Geld durch den Kreis, der Kreis sagt, die Städte müssten auf eigene Initiative Anträge für Fördergelder stellen.

Kneipenanzahl in Dillenburg etwa halbiert

Währenddessen stirbt das Nachtleben in den mittelhessischen Kleinstädten weiter aus. 

In Dillenburg etwa hat sich die Anzahl der Kneipen in den vergangenen zehn Jahren etwa halbiert, noch vier sind übrig - davon steht eine vor dem Aus, eine andere bangt um ihren Bestand. In Haiger sind keine fünf Kneipen mehr übrig, in Herborn schloss vor einigen Jahren der einzige Club, die Music Hall. 

"Freitags ist tote Hose, am Samstag ist etwas mehr los", schildert Taxibetreiber Petrotos. Doch vergleichbar mit früher sei der Betrieb keineswegs. Er führt dies darauf zurück, dass immer mehr junge Menschen Autos besäßen und auch in entferntere Städte wie Gießen zum Feiern führen. 

Verkehrsangebot in Mittelhessen soll 2024 aufgestockt werden 

Welcher Umstand aber den jeweils anderen bedingt - die scheinbar zunehmenden und jünger werdenden Autobesitzer den verkümmernden Öffentliche Personennah- sowie Taxi-Verkehr oder umgekehrt - scheint eine Henne-Ei-Frage zu sein. 

Einen Silberstreif am Horizont scheint es zu geben: Ab Winter 2024 soll das Abendprogramm der mittelhessischen Verkehrsbetriebe ausgeweitet werden. Bis in die späten Abendstunden soll dann auch mal in Ortsteile gefahren werden - teils sogar mit Rufbussen. 

Luca Bonkowski dürfte das nicht mehr interessieren. In Herborn gibt es immerhin noch einige wenige funktionierende Lokale und einen Anschluss an die Schiene, falls es mal Richtung Gießen gehen soll. Ein Auto besitzt er sowieso.  

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