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Angehörige sind enttäuscht und unzufrieden

Menschen halten Schilder mit den Köpfen und Namen der Opfer von Hanau hoch. Im Vordergrund ein Schild mit dem Schriftzug "Aufklärung".

Nach gut zwei Jahren beendet der Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag von Hanau seine Arbeit. Im Landtag wurde der nun fertige Abschlussbericht präsentiert und diskutiert. Hinterbliebene kennen den Bericht. Und sie vermissen Zentrales.

Es ist merklich ruhiger geworden in den Räumen der "Initiative 19. Februar" in der Hanauer Innenstadt. Vor allem in den ersten Wochen und Monaten nach dem Anschlag im Frühjahr 2020 herrschte hier reges Treiben. Kurz nach der Tat, die neun junge Menschen das Leben kosten sollte, hatten sich Hinterbliebene und Unterstützer zusammengetan. Nur wenige Schritte vom ersten Tatort des Anschlags entfernt haben sie Räume angemietet, hier immer wieder zusammengesessen, sich besprochen, Demos geplant oder Interviews geführt.  

"Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie wir für den Untersuchungsausschuss gekämpft haben", blickt Said Etris Hashemi zurück. Beim Anschlag hat er seinen Bruder Said Nesar verloren. Er selbst hat schwer verletzt überlebt. "Wir haben mit sehr vielen Politikern gesprochen und ich weiß auch noch, wie wir anfangs dafür belächelt wurden."

Wegen des damals schon laufenden Untersuchungsausschusses zum Mord an Walter Lübcke galt ein Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau als unwahrscheinlich. Auch wegen des Engagements der Hinterbliebenen gibt es ihn aber doch. 

Abschlussbericht umfasst 642 Seiten

Hashemi sitzt bei unserem Besuch mit einer Unterstützerin in den Räumen der Initiative. Sonst ist niemand da. Die Stühle und Sofas hier bleiben mittlerweile immer häufiger leer. Unverändert geblieben ist dagegen die Wandgestaltung: Neben Fotos der Opfer hängen unter anderem große Plakate. Darauf: zehn zentrale Fragen, auf die die Initiative zu Beginn des Hanau-Ausschusses Antworten gefordert hatte – "in der Hoffnung, dass diese zehn Fragen zum Ende auch beantwortet werden", erklärt Hashemi. 

Said Etris Hashemi in den Räumen der "Initiative 19. Februar"

"Was wussten die Behörden über den Täter und dessen Vater, und wie wurde mit diesen Informationen umgegangen?", lautet eine der Fragen. Eine andere: "Warum war die Notrufnummer 110 am Tatabend nicht erreichbar? Wer in den Behörden und in der Politik wusste von der Notrufproblematik in Hanau?"

Auf die Fragen gibt es mittlerweile Antworten: auf den insgesamt 642 Seiten des Abschlussberichts. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses stellten ihn am Dienstag im Plenum im hessischen Landtag zur Diskussion

Said Etris Hashemi kannte den Bericht schon vorab und ist unzufrieden mit ihm. Zwar wird in dem Bericht festgehalten, dass es Versäumnisse gab rund um den Anschlag. "Das alles ist mittlerweile klar, keiner stellt das infrage", weiß Hashemi, "aber es werden keine Konsequenzen gezogen."  

Hinterbliebene suchen weiter Antworten

Dabei waren Konsequenzen neben der notwendigen Aufklärung eine der Kernforderungen der Hinterbliebenen. Armin Kurtovic spricht mit Blick auf den Abschlussbericht auch von einem "Schlag ins Gesicht": "Die Worte 'Behördenversagen', 'Staatsversagen' – die will niemand in den Mund nehmen. Aber es ist doch so offensichtlich", findet er.  

 Kurtovic verlor beim Anschlag seinen Sohn Hamza. Er starb am zweiten Tatort, in der "Arena Bar" im Stadtteil Kesselstadt. Der Untersuchungsausschuss kommt in seinem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass die dortige Notausgangstür verschlossen war.

Die Staatsanwaltschaft sieht das anders und hat entsprechende Ermittlungen dazu eingestellt. "Wie soll mir das Ruhe lassen?", fragt er rhetorisch und erklärt damit, warum er bis heute weiterforscht zum Tod seines Sohnes, Zeugen und Beweise sucht, Anzeigen erstattet. "Ich hätte mir gewünscht, nein: Ich war davon überzeugt, dass so etwas in diesem Land nicht möglich ist. Aber je mehr ich mich dafür interessiere und darüber lese, desto mehr sehe ich: Das ist eine Kontinuität."

"Werden wir überhaupt ernst genommen?"

Die NSU-Mordserie, der Mord an Walter Lübcke, schließlich der Anschlag von Hanau – immer wieder hieß es: So etwas dürfe sich nie mehr wiederholen. Hanau sollte zur Zäsur werden. Viele Hinterbliebene sind sich sicher: Zur Zäsur könne der Anschlag von Hanau nur dann werden, wenn es ernsthafte Konsequenzen gibt. Doch eben diese fehlen ihnen. 

"Da stelle ich die Frage: Werden wir überhaupt ernst genommen?", sagt Said Etris Hashemi. Er wird jedenfalls an diesem Dienstag im Landtag sein. Die Hinterbliebenen wurden zur Debatte über den Abschlussbericht in den Hessischen Landtag eingeladen.

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