Fragen & Antworten

Verurteilung von Lina E.: So hat unser Reporter die Proteste erlebt

Einsatzkräfte der Polizei stehen in der Bremer Innenstadt.

Bei unangemeldeter Demo in Bremen fliegen Steine und Flaschen

Bild: dpa | Sina Schuldt

Ausnahmezustand Mittwochabend im Bremer Viertel: Bei Protesten gegen das Urteil im Fall Lina E. sind Demonstrierende und Polizei aufeinandergeprallt.

Wasserwerfer, gepanzertes Räumfahrzeug und jede Menge Polizisten auf der einen Seite, laut Polizei etwa 350 Demonstrierende auf der anderen – am Mittwochabend war Ausnahmezustand im Bremer Viertel. Zwischen Sielwall-Eck und Ziegenmarkt ging für mehr als drei Stunden gar nichts mehr, Straßenbahnen standen still. Der Grund: Protest gegen das Dresdner Urteil gegen vier Linksextreme. Sie wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie unter anderem Neonazis und mutmaßliche Anhänger der rechten Szene angegriffen haben. buten un binnen-Reporter Mario Neumann war vor Ort.

Wie haben die Krawalle begonnen?

Los ging es wie in sozialen Netzwerken angekündigt um 20 Uhr. Als nicht angemeldete Demonstration zogen mehrere hundert Menschen durch die Straße "Vor dem Steintor" im Bremer Viertel. Viele davon schwarz gekleidet und vermummt. Pyrotechnik brannte ab, es flogen Flaschen und Steine Richtung Polizei, ein Fahrzeug wurde beschädigt, der linke Außenspiegel ist kaputt.

Wie hat die Polizei darauf reagiert?

Die Polizei stoppte die Demo mit einem Großaufgebot und kesselte einen Teil der Menschen in einer Seitenstraße ein. Es gab immer wieder Aufforderungen, sich in diese oder jene Richtung zu bewegen. Die Polizisten, sagten "bitte" und blieben im Tonfall weitgehend freundlich. Es musste aber auch körperlicher Zwang angewendet werden, räumten Polizeisprecher ein. Das bestätigen auch einzelne Demonstranten.

Sowohl ich als auch mehrere andere Demonstrationsteilnehmende wurden von der Polizei geschlagen, gedrückt, gedrängt, angeschrien. Und hier um die Ecke werden Leute gekesselt, einfach weil sie als Antifaschistinnen auf die Straße gehen. 

Eine Demonstrantin am Mittwochabend

Wie hat die Polizei die Demonstration aufgelöst?

Die eingekesselten Menschen wurden nach zweieinhalb Stunden mit einem Linienbus abtransportiert. Laut einer Zeugin durfte man den betroffenen weder etwas zu essen noch etwas zu trinken bringen. Auch ein Rettungswagen war laut Polizei im Einsatz, weil eine Person einen Kreislaufkollaps erlitt. Einzelne Personen wurden von Polizisten weggeführt. Insgesamt seien etwa 70 Verdächtige vorläufig festgenommen worden, sagte Polizeisprecher Nils Matthiesen.

(Es gibt) Umfangreiche Ermittlungen unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs und Widerstad gegen Vollstreckungsbeamte und weitere Delikte.

Nils Matthiesen, Polizeisprecher

Wie war die Stimmung unter den Demonstrationsteilnehmern?

Es waren nicht alle Anwesenden mit allen Parolen einverstanden. Es gab Solidarität mit den Verurteilten, aber Sprüchen wie "Ganz Bremen hasst die Polizei" konnten sich nicht alle anschließen. Insgesamt lag viel Ärger und Empörung in der Luft. Viele waren mit dem Urteil des Dresdener Oberlandesgericht nicht einverstanden. Andere hatten Bedenken. Gleichzeitig haben viele das massive Polizeiaufgebot als Provokation verstanden. Immerhin: Verletzt wurde niemand, schreibt die Polizei.

Wer darf überhaupt demonstrieren?

Laut Versammlungsgesetz gilt: "Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen." Es gibt aber auch Ausnahmen, zum Beispiel wenn das Ziel der Versammlung als verfassungswidrig gilt oder eine als verfassungswidrig eingestufte Partei/Organisation eine Versammlung abhalten möchte.

Bis wann müssen öffentliche Versammlungen angemeldet werden?

Das muss laut Gesetz bis spätestens 48 Stunden vor Beginn der Versammlung geschehen. Dabei müssen der Grund der geplanten Kundgebung und eine als Leiter verantwortliche Person genannt werden.

Warum müssen Versammlungen angemeldet werden?

Durch die Anmeldung soll sichergestellt werden, dass der Versammlung der erforderliche Schutz, zum Beispiel vor Gegendemonstranten, gewährleistet werden kann. Die rechtzeitige Anmeldung soll es der zuständigen Behörde zudem ermöglichen, mögliche Auswirkungen auf Dritte auszugleichen, beispielsweise durch geeignete Verkehrsregelungen.

Sind spontane Versammlungen verboten?

Für Versammlungen, die sich aus aktuellem Anlass augenblicklich bilden, gilt eine Ausnahme. Bei solchen sogenannten Spontanversammlungen entfällt die Anmeldepflicht. Denn das Grundgesetz schützt auch das Recht, sich spontan zu versammeln.

Wann kann eine Versammlung verboten werden?

Zum Beispiel wenn der Veranstalter oder der Zweck der Versammlung als verfassungswidrig eingestuft werden. Weitere Verbotsgründe wären unter anderem, dass im Vorfeld bekannt wird, dass der Veranstalter Teilnehmern das Mitführen von Waffen erlauben will oder dass die Versammlung für Straftaten genutzt werden soll, zum Beispiel dem Anzünden von Fahrzeugen.

Wann kann eine Versammlung aufgelöst werden?

Sie kann laut Versammlungsrecht unter anderem aufgelöst werden, sobald sie einen "gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt", zum Beispiel durch Krawalle, oder wenn "unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht". Das Gleiche gilt, wenn der Veranstalter das Tragen von Waffen durch Versammlungsteilnehmer nicht unterbindet oder wenn aus der Versammmlung heraus zu Straftaten aufgefordert wird oder Staftaten begangen werden.

Welche Strafen drohen bei einer Verletzung des Versammlungsrechtes?

Je nach Schwere drohen Geldstrafen oder Haftstrafen bis zu drei Jahren.

Autor

  • Mario Neumann
    Mario Neumann Autor

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 1. Juni 2023, 6:13 Uhr