Das Ende der Vielfalt? - Wie Spotify die Musiklandschaft verändert

So 28.05.23 | 16:22 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Eine junge Frau trägt am 09.05.2020 schwarze Kopfhoerer, waehrend sie in Steglitz an einer Ampel wartet, um eine Hauptstrasse zu überqueren. (Quelle: dpa/Wolfram Steinberg)
Bild: dpa/Wolfram Steinberg

Wer Musik hört, hört sie heutzutage vor allem über Streaminganbieter wie Spotify. Das Angebot dort ist unendlich groß, ein Abo kostet nicht viel oder ist sogar umsonst. Was macht diese billige Verfügbarkeit mit der Musik? Von Hendrik Schröder

Seit Jahrzehnten ist ein Künstler wie Udo Lindenberg im Geschäft, seit Jahrzehnten bringt er Singles heraus. Deswegen eignet er sich besonders gut, um zu zeigen, was derzeit, befeuert durch die Streamingdienste, passiert: Die Lieder werden immer kürzer. Lindenbergs aktuelle Veröffentlichung "Komet", eine Kooperation mit dem Rapper Apache 207, ist genau zwei Minuten und 47 Sekunden lang und damit die kürzeste Single, die der Altmeister je veröffentlicht hat [youtube.com].

Diese Tendenz bestätigt auch Udo Dahmen, Leiter der Popakademie Baden-Württemberg: "Die Songs sind kürzer geworden und auch die Aufmerksamkeitsspanne der Hörer ist kürzer geworden", sagt er. Charts-Songs seien heute eine ganze Minute kürzer als noch vor 20 Jahren. Außerdem, sagt der Musikprofessor, würde sich der Aufbau der Songs verändern: "Wenn in den ersten zehn Sekunden nicht was besonderes passiert, wird weiter geskippt." Es gebe kaum noch Intros, keinen langsamen Aufbau des Songs, meist gehe es gleich in den Refrain, in eine Art Vorschau auf das gesamte Lied.

Udo Dahmen, Künstlerischer Direktor und Geschäftsführer Fachbereich Populäre Musik an der Popakademie am 16.04.2021. (Quelle: dpa/Uwe Anspach)
"Wenn in den ersten zehn Sekunden nicht was besonderes passiert, wird weiter geskippt": Udo Dahmen, Leiter der Popakademie Baden-Württemberg. | Bild: dpa/Uwe Anspach

Lieber drei kurze als ein langes Lied

Woher kommt diese Entwicklung und was hat sie mit den Streaminganbietern, allen voran Spotify zu tun? Auf der einen Seite führt das schier endlose Angebot dazu, dass wir einem Lied kaum noch eine Chance geben, wenn es uns nicht sofort packt. Es muss sofort gefallen, sonst skippen wir weiter. Geld von Spotify bekommen die Künstler:innen dann, wenn mindestens 30 Sekunden eines Titels abgespielt werden. Das bedeutet, die Musiker haben ein Interesse daran, dass wir möglichst viele Lieder von ihnen jeweils mindestens 30 Sekunden lang hören. Deswegen produzieren sie lieber drei kurze als ein langes, es lohnt sich einfach mehr. Was nach der ersten halben Minute passiert, ist nach dieser Marktlogik eigentlich egal.

Musikprofessor: "Songs immer ähnlicher geschrieben"

Ein Blick auf die offiziellen Zahlen verrät: Ganz wenige der bei Spotify vertretenen Künstler:innen machen den Großteil der Streams aus. Die meisten verfügbaren Lieder werden kaum oder gar nicht gehört. Das führt dazu, dass, wer einmal Erfolg hat, meistens bei seinem Stil bleibt. Um die Hörer:innen nicht mit etwas Neuem zu verschrecken. Das sorge für eine Dynamik, die den Rahmen für erfolgreiche Musik immer kleiner werden lasse, sagt der Musikprofessor Udo Dahmen. Er beobachte, dass die Marktmechanismen immer stärker bestimmten, was gehört werde. "Das führt zu einer Austauschbarkeit der Lieder, weil die Songs immer ähnlicher geschrieben werden, weil sie immer nach den möglichen Formeln des Erfolgs geschrieben werden", sagt er.

Playlisten: Die Multiplikatoren

Und noch etwas wird immer wichtiger: Die von Spotify kuratierten Playlisten, Empfehlungen, welche Lieder man hören könnte. Das ist praktisch, man klickt einmal auf die Liste, und dann laufen endlos Songs durch, die schon jemand nach bestimmten Kriterien zusammengestellt hat. Für jede Stimmung gibt es etwas Passendes: zum Auto fahren beispielsweise, zum Pasta kochen, chillen, lernen, oder trainieren. Wer es als Musiker auf eine Playlist schafft, hat die Klicks sicher.

Der Berliner Produzent Bastido alias Bastian Kladny ist mit seinem LoFi-Hip Hop vor ein paar Jahren eher zufällig auf einer gelandet. Eine Kombination aus Glück und Algorithmus sei das gewesen, sagt er heute. Wie genau man auf eine offizielle Spotify-Playlist komme, wisse er auch nicht.

Bastido & Lia J
Wer sich wiederholt, wird belohnt: Der Berliner Hip-Hop-Produzent Bastido (links). | Bild: Asadeh Khakban

Nachdem es seine erste Platte ohne sein Zutun auf eine Playlist geschafft hatte, hat Bastido noch drei weitere Alben nach demselben Muster gemacht - und den Erfolg jedes Mal wiederholt. Er landete mit allen dreien auf weiteren Playlisten und hatte teils mehr als eine Million Klicks, wie er erzählt. Das sei natürlich ein schöner Erfolg, sagt der Berliner, führe aber künstlerisch in die Einbahnstraße, weil man sich und seinen Stil immer nur wiederholen würde. Mittlerweile produziere er wieder mehr Sachen, die er wirklich von Herzen macht. Einbußen nehme er dafür in Kauf.

Auf einem Smartphone ist die Spotify-App aktiv (Symbolbild) © imago images/Lobeca
Reich werden die wenigsten Künstler:innen - aber vorbei kann an Spotify trotzdem keiner mehr. | Bild: imago images/Lobeca

Kein Kulturpessimismus

Aber der Popakademieleiter Udo Dahmen sieht auch gegenläufige Trends. Das Comeback der Vinyl-LP zum Beispiel, die auch von jungen Musikfans immer häufiger gekauft werde und den Wunsch der Käufer nach einer tieferen Auseinandersetzung mit Musik zeige. Und natürlich gibt es weiter die Nischenmusik, die ganz anders aufgebaut ist und vermarktet wird als Chartmusik. Die sich um schnelle Intros oder 30-Sekunden-Regeln nicht schert.

Und eigentlich ist die künstlerische Freiheit heute, wo Produktion, Vertrieb, Herstellung nur noch wenig kosten, größer denn je. Aber wer wirklich Erfolg haben will, muss sich den knallharten Algorithmen von Spotify und Co. unterwerfen. Diverser, breiter, freier wird die Popmusik dadurch kaum. Aber, gibt Dahmen zu bedenken, Musik wurde schon immer im Rahmen der technischen Möglichkeiten produziert - und habe sich dadurch verändert.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.05.2023, 10 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

36 Kommentare

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  1. 36.

    Jaja, mit analogem Autoradio - und kurz vor 87,6 kam immer der Polizeifunk ;-).

  2. 34.

    Zweifellos. Die Stöpsel sind auch mehr Tarnung gegen "angelabert werden".

  3. 33.

    Und natürlich weiss man in Deutschland auch, dass nur gut ist, was irgendwelchen hehren Ansprüchen genügt und keinesfalls einfach nur Spaß machen darf. Wo käm' wa denn da hin!

  4. 32.

    Mit Hund habe ich nie Stöpsel im Ohr oder Kopfhörer drauf. Ich will Mut meinem Hund interagieren und ee Mut mir, da ist er Musik auf Kopf genauso unsinnig wie Sonnenbrille, durch dieber meine Augen nicht sieht.

  5. 31.

    Meine Suchfunktion sind Augen und Finger in LP, CD und MC, ganz ohne Algorithmen. Ich bin froh, nicht zu streamen und mich ganz auf die Musik zu konzentrieren und einlassen zu können als immer nur Algorithmen zu folgen und ständig irgendwas wegzuklicken, was nicht gefällt. Aber jeder, wie es ihm/ihr gefällt. Ich bleibe gerne oldschool.

  6. 30.

    Eben :-D und ich hatte in 1979 einen der ersten Sony-Walkman aus den USA mitgebracht, was war das geil...... Mit NDW im Ghettoblaster auf dem Gepäckträger meiner 80'er und zu Spliffs Duett komplett im B-Kadett über die Avus zum Strandbad..... Geiiiiiiil..... Total analoge Zeiten erlebt...

  7. 29.

    Zum Glück gibt es Streaming Dienste wie Spotify u.a.
    Dadurch ist man nicht mehr darauf angewiesen, all die abgedroschenen uralten Songs im öffentlich rechtlichen Rundfunk ertragen zu müssen,. Es gibt aktuell so viele hochinteressante Musikrichtungen, aber wie bei allem wissen wir in Deutschland auch bei der Musik, was gut und korrekt und anspruchsvoll ist…..
    Übrigens der deutsche „ Schlager“ war noch nie anspruchsvoll, immer einfache gängige Melodien, zu denen man wunderbar mitklatschen konnte….

  8. 28.

    Aber warum? Was konkret ist das Problem, das beim Bereitstellen von Musik online statt via Platte und Äther angeblich Stars verhindert? Heute wie damals gibt es Mega-Stars, ob verdient oder unverdient. Heute, wie damals gibt es gute Songwriter, manche werden berühmt (John Denver, Ed Sheeran), Tausende Andere nicht. Heute ganz genau wie damals gibt es tolle Musiker, die kein Schwein kennt. Aber welchen negativen Einfluss hat das Streaming als technische Methode auf die Entwicklung guter Musiker?

  9. 27.

    ...Zitat, vom Anfang: "ein Abo kostet nicht viel oder ist sogar umsonst." - richtig, ich empfinde es auch als 'umsonst' (für den Schreiber: kostenlos hätte da eine andere, die richtige Bedeutung)
    Zusatz, zu den großen 'B' die Beatles fehlen da noch. Auch sie machten ernsthaft Musik und ihre Titel waren auch nicht nur 2:30 min. lang - es gibt auch sehr viel Längere.
    Aber mal den Hickhack beiseite, mich stört diese Sparteneinteilung sehr. Ich bevorzuge eine recht bunte Mischung. Leider gibt es nur noch sehr wenige Radionstationen, die so etwas bieten.
    Aber, die Überraschung (was hat denn der Redakteur nun vorgesehen) ist mir allemal lieber.
    Dabei ist es mir egal ob die Titel aus den 60ern, 70ern oder 80ern sind, aber ich habe auch den Eindruck, daß die Interpreten damals experimentierfreudiger, nicht aufs schnelle Geld zielend, waren.
    Ach ja - auch ich nutze noch immer MC's - die Kompression digitaler Wiedergaben egalisieren mir zu viel (Dynamikverlust).

  10. 26.

    Was ist mit eAutos? Was ist mit Menschen, die nicht oder nur ganz schlecht hören können? Jetzt ist man doof, weil man Autos nicht hört? Also wenn ich mit Kopfhörern draußen rum laufe, gehe ich trotzdem über grüne Ampeln und schaue links, rechts, links. Es gibt genug Gefahren, die auch ohne Geräusch mein Leben beenden können.

  11. 25.

    Hallo „Fred“,
    da ich genau Ihrer Meinung bin, sind wir schon zu zweit.
    Mit freundl. Grüßen

  12. 24.

    Echt, noch MC's? Dann wissen sie ja auch für was ein Bleistift noch gut ist. :-)

  13. 23.

    Leider trifft das bei AppleMusik/Amazon/RtlMusik auch zu. Ich höre gern DDR-Musik aus Nostalgiegründen (war halt meine Zeit). Das Angebot wurde massiv ausgedünnt im Stream. Aber es gibt zum Glück noch einen Radio-Sender (Internet) der das komplett abdeckt. Geschichte sollte man nicht komplett auslöschen

  14. 22.

    Zum Glück gibt’s doch sog. E-Musik, auch Klassik genannt. Da wird keine Note bei einem Beethoven abgekürzt oder nach 3 Minuten ein Konzert gekappt. Einfach auf die „großen B“ umsteigen - Bach, Beethoven, Brahms, Berlioz, Berg, Bartok - und schon hat sich das Thema erledigt.

  15. 21.

    Ich hatte seit 2013 das ganz große Glück, privat mit der Original-TCB Band (Elvis-Band 1969-77) durch Europa zu ziehen (ELVIS Team Berlin). Die alten Herren spielten auch bei Neil Diamond, John Denver und anderen echten Stars. Da weiß man wie Musik und Hits entstanden und wie Plattenverkäufe/Radio usw ablief. Stream ist der Tod echter Künstler/Legenden und es folgt Einheitsbrei ohne Anspruch. Leider sind die Radiosender zum Großteil nicht anders und Austauschbar - ich halte mich dann an LP/CD

  16. 20.

    Ich finde den Algorithmus der Suche bei Spotify nicht ausgereift.
    Für Klassik im Grunde nur sehr schlecht verwendbar. Seit Jahren hoffe ich da auf eine Verbesserung. Umsonst bisher.
    Offenbar glaubt man bei Spotify, sich auf Pop fokussieren zu müssen.
    Ansonsten: Jeder kann natürlich seinem persönlichen Geschmack nachgehen. Ein tolle Sache im Grunde!

  17. 19.

    Da kann nur sagen - DANKE das ich als Kind noch Musiklegenden und deren Songs bei Erscheinung und Entwicklung erlebt habe. Die Musik war vielfältiger und keiner Klang wie jeder. Es wird immer eintöniger

  18. 18.

    Streamingdienste verschärfen das Problem nur graduell: Die Vereinheitlichung von Musik durch das Trimmen auf vermeintliche Spielbarkeit findet bereits seit Jahrzehnten statt. Früher waren es halt die Musikredaktionen der Radios oder die Plattenbosse, die die Schablonen vorgaben. Radio Eins bildet(e) da bundesweit einen echten musikalisch Leuchtturm; jedoch vorwiegend für westliche Musik. Wirklich andere Musik z.B. aus ganz anderen kulturellen Regionen konnte man nur im Spätabend-Programm oder z.B. auf Funkhaus Europa/ Cosmo hören. Doch die Reichweite solcher Programme war und ist sehr bescheiden. -- Die Rückkehr der (Rohstoff-verschwendenden) Vinyl-Platte sehe ich nicht als Lösung: Ihre hohen Produktionskosten erhöhen das finanzielle Risiko der Produzenten, und der hohe Kaufpreis mindert die Bereitschaft, wirklich Neues zu probieren. -- Eigentlich steigen mit Streaming-Diensten die Chancen auf Neues - wären da nur nicht die verdammten Algorithmen zur geschmacklichen Blasenbildung...

  19. 17.

    Ein Rockabilly Song der 50er Jahre war i. d. R. auch kurz.
    "Rock chicken rock" von Ray Coleman dauert keine drei Minuten und ist hammerstark.
    Aber screaming oder screening oder streaming oder so ist schon merkwürdig. Ich habe noch die Platten und die CDs von früher.
    Aber die Zeiten ändern sich.
    Als älteres Semester kenne ich mich da aus.
    Was bleibt sind Erinnerungen.
    Rock on!

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