Brandenburg Schule in Brandenburg: Neues Bündnis gegen Lehrkräftemangel
Im Wahlkampf gingen bildungspolitische Themen unter, dabei ist die Krise an den Schulen akut. Während Politiker in Brandenburg um Regierungsbündnisse ringen, erinnert erstmals ein Aktionsbündnis an unerledigte Hausaufgaben der Landesregierung. Von Hanno Christ
"Ich bin hergekommen und die Sonne hat gelacht." "Das ist das Paradies hier." Das Imagevideo, mit dem das Bildungsministerium Menschen für den Lehrerberuf in Brandenburg gewinnen will, spart nicht an blumigen Argumenten, um Menschen in die Mark zu locken. Doch wer auf der gleichen Internet-Seite einen Blick auf die vielen offenen Stellen auf dem Lehrkräftemarkt wirft, erkennt schnell, dass die Argumente der Brandenburger bei vielen nicht ziehen oder sie das Lehrer-Paradies andernorts in Deutschland entdeckt haben müssen.
Der Bedarf ist nach wie vor riesig. Noch zu Schuljahresbeginn verzeichnete das Ministerium eine Lücke von 455 Vollzeitstellen, die bislang noch nicht besetzt werden konnten. Dort mühten sie sich, die Zahlen eher optimistisch zu deuten: Die Unterrichtsversorgung an allen öffentlichen Schulen sei abgesichert, trotz gestiegener Schülerzahlen habe sich die Zahl der offenen Stellen nicht reduziert. Noch nie in den vergangenen 20 Jahren hätten mehr Lehrkräfte in Brandenburg unterrichtet. Es sei mehr Personal eingestellt worden als im vergangenen Jahr, hieß es in einer Pressemitteilung.
Für das ganze Bild ist es wichtig, auch diese, eher glänzende Seite der Medaille zu zeigen. Es gibt aber auch eine andere, weniger schöne, an die ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Eltern, Schülern und Studierenden am Montag in Potsdam erinnert. Für sie bedeuten 455 unbesetzte Stellen umgerechnet 11.375 Schulstunden pro Woche, die nicht gegeben wurden.
Forderungen nach mehr Tempo, weniger Bürokratie und engerer Betreuung
Der Pädagogenverband, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Landeselternrat, Wissenschaftler der Universität Potsdam und der Sprecher des Landesschülerrates haben deswegen nun ein 18-Punkte-Programm vorgelegt. Es ist auch eine Erinnerung für die künftige Landesregierung, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Unter anderem schlagen sie eine Erhöhung der Lehramts-Studienplätze noch im nächsten Jahr vor, ausgerichtet am Bedarf von Fächern und Schulformen sowie eine bessere Erfassung des tatsächlichen Lehrkräftebedarfs an Schulen.
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Dafür brauche es auch belastbarere Bevölkerungsprognosen. "Wir müssen wissen, wie viele Kinder in die Schule kommen", so die Landeselternsprecherin Ulrike Mauersberger. "Die bisher vorhandenen Studienplätze reichen nicht aus. Wenn das fehlt, muss man nachsteuern." Mauersberger fordert, dass Bildungspolitik, die "höchste Priorität politischen Handelns" werden müsse.
GEW warnt vor einem "Super-GAU"
Auch die Qualifikation und Anerkennung von Lehrkräften aus anderen Ländern wie zum Beispiel Polen müsse besser werden, ebenso wie die Ausbildung an den Universitäten. Zu oft könne die Regelstudienzeit von fünf Jahren nicht eingehalten werden, weil die Angebote nur lückenhaft seien. Die Mitglieder des Bündnisses fordern Anreize für einen schnelleren Abschluss, den Abbau von bürokratischen Hürden an den Universitäten und ein praxisnäheres Studium.
Wer sich für ein Lehramt in Brandenburg bewerbe, müsse besser betreut werden: Schon am Tag nach Bewerbungseingang müssten Bewerberinnen und Bewerber einen Anruf bekommen, innerhalb von vier Wochen ein Einstellungsangebot. Für Seiteneinsteiger müsse es attraktivere Einstiegsmodelle und mehr Unterstützung geben zum Beispiel durch Mentoren, so die Forderung. Es gebe tolle Seiteneinsteiger, so Mauersberger, kritisiert allerdings auch, dass ehemalige Friseure oder Studienanfänger ohne Vorbereitung und Erfahrung Grundschulklassen unterrichten müssten.
Der GEW-Vorsitzende Günther Fuchs warnt vor einem "Super-GAU". In Förderschulen sei mehr als ein Drittel der Stellen mit Seiteneinsteigern besetzt. "Ohne Seiteneinsteiger wird es nicht gehen", so Fuchs. Das "Auseinanderdriften des Landes" sei aber eine besorgniserregende Entwicklung, da vor allem in den berlinfernen Regionen immer mehr Seiteneinsteiger zum Einsatz kommen. "Es steht uns gut zu Gesicht, es gemeinsam anzugehen", sagt Fuchs.
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Um zu verhindern, dass Lehrkräfte zu früh in den Ruhestand gehen, müssten die Arbeitsbedingungen insgesamt attraktiver werden, sowie die Anerkennung von Lehrkräften gesteigert werden.
Unter anderem schlagen die Mitglieder des Bündnisses einen Brandenburger Lehrerinnen- und Lehrerpreis vor. Neben mehr Wertschätzung ginge es aber auch darum, für mehr Entlastung zu sorgen, etwa durch den flächendeckenden Aufbau von multiprofessionellen Teams. Dafür brauche es eine Mindestausstattung bis 2026 von mindestens 20 Wochenstunden Schulsozialarbeit je 300 Schülerinnen und Schüler an jeder Schule in Brandenburg.
Bildungsminister zeigt sich offen
Bei aller Kritik und vielen Forderungen: Untätigkeit lässt sich dem Bildungsministerium mittlerweile nicht mehr vorwerfen im Kampf um mehr Lehrkräfte. Auch in Brandenburg haben sie – wenn auch spät – erkannt, dass erhebliche finanzielle Anreize, Werbekampagnen, eine praxisnahe und intensivere Ausbildung sowie attraktive Beschäftigungsbedingungen hilfreich sein können, um Personal rekrutieren zu können.
So wurde ein Programm 63+ gestartet, das immerhin mehr als 400 Lehrkräfte mit kräftigen finanziellen Zuwendungen vom vorzeitigen Sprung in den Ruhestand abhielt. Seit dem vergangenen Wintersemester werden nicht mehr nur in Potsdam, sondern zusätzlich auch in Cottbus-Senftenberg Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet. Im Frühsommer setzte das Ministerium eine Werbekampagne aufs Gleis, um Interessenten nach Brandenburg zu locken. Schon beinahe ein Evergreen ist das Landlehrerstipendium, das Pädagogen auch in die großstadtfernen Räume locken soll.
SPD-Bildungsminister Steffen Freiberg begrüßte gegenüber rbb24 die Initiative des Aktionsbündnisses. "Alles was hilft, mehr gut ausgebildete Lehrkräfte zu bekommen, begrüße ich natürlich." Man sei an vielem schon dran. "Nur mehr Geld wird unsere Probleme nicht lösen," so Freiberg. Gut möglich also, dass der Bildungsminister selbst zwar Hausaufgaben bekommt, sie aber gar nicht mehr machen muss. Schon in wenigen Wochen könnte ein anderer als er im Bildungsministerium sitzen – je nach Regierungsbildung.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 30.09.24, 19:30 Uhr