Keine Still- und Wickelräume - Rückzugsorte für junge Mütter fehlen in der Staatsbibliothek

So 04.06.23 | 08:22 Uhr | Von Thy Le
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Symbolbild: Helferinnen kleben in Berlin ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Wickelraum" an ein Geländer. (Quelle: dpa/K. Nietfeld)
Video: rbb|24 | 04.06.2023 | Bild: dpa/K. Nietfeld

14 Jahre lang wurde die Staatsbibliothek Unter den Linden für viel Geld saniert - an Angebote für junge Eltern wurden dabei nicht gedacht. Am Standort in der Potsdamer Straße sieht es nicht besser aus – zum Nachteil studierender Mütter. Von Thy Le

Im November kam der Sohn von Nina Franz zur Welt – die 42-Jährige unterbrach dafür ihre Forschungsarbeit. Acht Wochen später wollte sie sie wieder aufnehmen. "Es ist für mich dabei wichtig, die Bibliothek zu nutzen", sagt die Kulturwissenschaftlerin.

Zum Arbeiten sind die eigenen vier Wände für die zweifache Mutter keine Option, da bestimmte Literaturexemplare nicht digitalisiert oder nicht außer Haus ausleihbar sind. Mit der Ausstattung in der Staatsbibliothek traf die Kulturwissenschaftlerin allerdings auf Probleme. Denn an beiden Standorten Unter den Linden und Potsdamer Straße fehlen elterngerechte Angebote: Es gibt weder für Eltern reservierte Arbeitskabinen noch Bereiche zum Stillen oder Wickeltische. Das bestätigte auf Nachfrage von rbb|24 die Pressestelle der Staatsbibliothek.

"Wie viele Fälle gibt es noch?"

Ninas Partner bringt deshalb ihren Sohn ihr manchmal zum Stillen in die Staatsbibliothek. Das Kind nimmt sie dann allerdings nicht mit in den Lesesaal - sonst müsste sie darauf achten, dass die Babygeräusche für die anderen Lesenden nicht zu laut werden. "Das würde mich selbst auch beim Arbeiten stören", sagt sie. Mittlerweile gibt es eine provisorische, aber nicht ideale Lösung. Die Mitarbeiter:innen am Standort Potsdamer Straße, wo Nina Franz oft arbeitet, haben ihr einen kleinen Raum im Personalbereich angeboten; möbliert mit einem Stuhl und einem kleinen Tisch. Solche Lösungen würden allerdings erst auf Nachfrage kommen, meint Nina. Interessierte suchen auf der Webseite der Staatsbibliothek vergeblich nach Informationen für Besucher:innen mit Kindern.

Franz ist kein Einzelfall. Sie kennt andere Mütter in der Wissenschaft, die in der gleichen Situation sind wie sie. "Und wenn ich schon drei Mütter kenne, die es momentan betrifft – wie viele gibt es denn noch?", fragt sie sich.

Rückzugsmöglichkeiten sind für stillende Mütter wichtig

Laut dem Bundesbericht zu Wissenschaftlichem Nachwuchs von 2021 waren unter Promovierenden knapp ein Sechstel Eltern. Von den Studierenden waren es acht Prozent – 2021 hatte ein knappes Drittel von ihnen ein Kind, das unter drei Jahren alt war, wie eine Studierendenbefragung ergab. Einige Mütter würden auch ohne ihr Kind vor Ort Milch abpumpen, da sonst Milch austräte, sagt Franz.

In der Toilettenkabine abzupumpen oder das Kind zu stillen, fühle sich "räudig" an, sagen die Philosophin Charlotte Szász und Studentin der Informations- und Bibliothekswissenschaften Sophie Tertel untereinander, die beide in Berlin leben und arbeiten. Auch sie sind vor weniger als einem Jahr Mütter geworden. Charlotte Szász berichtet von ähnlichen Negativerfahrungen mit der Staatsbibliothek wie die von Nina Franz. Daher gehen Charlotte Szász und Sophie Tertel zum Arbeiten ins Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum zwei Blöcke weiter auf – dort gibt es einen Eltern-Kind-Bereich. Rückzugsmöglichkeiten seien für stillende Mütter mit ihren Kindern wichtig. Und für Alleinerziehende werde die wissenschaftliche Arbeit durch das Fehlen entsprechender Angebote zusätzlich erschwert, sagt Franz.

Ein Raum mit Tisch und bequemem Stuhl – mehr verlangt Franz nicht

Am Standort Unter den Linden fehlen entsprechende Angebote für junge Eltern - weil bei der Sanierung nicht daran gedacht wurde. Dies sei dem Umstand geschuldet, "dass die Planung für die Sanierung bereits zwanzig Jahre zurückliegt – ein Zeitpunkt, zu dem entsprechende Bedarfe noch nicht in der heute gängigen Weise mitgedacht wurden", erklärt die Pressestelle in einer schriftlichen Stellungnahme.

Nina glaubt, dass die jüngere Generation von Wissenschaftlerinnen selbstbewusster wird. Ihre Familienplanung würden sich die jungen Frauen nicht mehr nehmen lassen und auch Räume für sich als Mütter in der Wissenschaft einfordern. "Ich finde besonders wichtig, dass das Arbeiten mit Kindern ermöglicht wird", sagt Franz. Ein Raum mit Tisch und bequemem Stuhl – mehr brauche es nicht.

Es gebe bereits abschließbare Arbeitskabinen in der Staatsbibliothek – wieso sind nicht einzelne davon für Eltern mit Kind reserviert? Einige Zeit müssen Eltern sich dafür noch gedulden. Derzeit bemühe sich die Staatsbibliothek um unbürokratische Lösungen, für die Zukunft sei für den Standort Potsdamer Straße ein großzügiger Eltern-Kind-Bereich geplant, heißt es in einem Pressestatement. Einzelheiten gebe es dazu aktuell noch nicht. Nur so viel: Die Sanierung am Standort Potsdamer Straße soll 2025 beginnen und frühestens 2032 fertigstellt werden.

Nina Franz wird davon also nicht mehr profitieren.

Beitrag von Thy Le

28 Kommentare

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  1. 28.

    Aha, sehr interessante Argumentation. "Gestillt wird zu Hause, wenn die Kinder einem was wert sind. In ruhiger vertrauter Umgebung. Fas alle Mütter bleiben zu Hause und haben keine Schwierigkeiten einen 4 Stundenrhytmus zu organisieren. Für die „zwei“ die das nicht können lohnen sich Wickelräume in Nichtkindereinrichtungen nicht."
    Das hat mit der Lebensrealität 2023 wenig zu tun. Hört sich wie aus einem anderen Jahrhundert an à la "Frauen sind zuständig für Kochen, Kinder und Kirche. Dieser 4-Stundenrhythmus lässt sich für Mütter, die studieren oder einer Erwerbstätigkeit nachgehen nicht einhalten. Und ich hatte nie den Eindruck, dass es meine Kinder gestört hatte, wenn ich sie unterwegs gestillt habe. Und was soll der Beisatz 'wenn die Kinder einem was Wert sind'? Mütter und auch Väter kleiner Kinder haben ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe, der Besuch einer Bibliothek gehört dazu. Und damit sich niemand gestört fühlt, wird auch gerne ein separater Raum in Anspruch genommen.

  2. 27.

    Sie haben sehr recht!

    Es wäre wünschenswert, wenn es auch Restaurants und Cafes nur für Erwachsene (und nicht nur Hotels) geben würde,
    man möchte auch mal in der Öffentlichkeit in Ruhe einen Kaffee trinken...

  3. 25.

    Ja, die Staatsbibliothek ist eine wissenschaftliche Einrichtung, in der Kinder nichts zu suchen haben.

  4. 24.

    Kleine Kinder haben in einer Bibliothek nichts zu suchen. Das ist ein Ort der absoluten Ruhe. Wer dort arbeitet, den stört Kindergeschrei sehr.

  5. 22.

    Und in der Mall of Berlin fehlen - wie auch in vielen Shopping-Spass-Häusern - Sitzmöglichkeiten für eine Ruhepause.

  6. 21.

    Sorry, heute bekommt man so viele sinnlose Gesprächsfetzen Erwachsener mit, dass ich mich über "Babygeschrei" schon freue.
    Waren Sie selbst nie Baby?
    Freuen wir uns doch, dass ein Baby uns etwas mitteilen oder seine Gefühle äußern möchte.
    Was ist nur aus den Menschen geworden?
    Für mich ist es selbstverständlich, einer Mutter das Leben nicht noch anstrengender zu machen, als es schon ist.

  7. 20.

    Gestillt wird zu Hause, wenn die Kinder einem was wert sind. In ruhiger vertrauter Umgebung. Fas alle Mütter bleiben zu Hause und haben keine Schwierigkeiten einen 4 Stundenrhytmus zu organisieren. Für die „zwei“ die das nicht können lohnen sich Wickelräume in Nichtkindereinrichtungen nicht. Übrigens, muss es die auch geben.

  8. 19.

    Schlimm, schlimm. Wenn die Muttis so doll LEIDEN müssen ;.(

  9. 18.

    Umdisponieren? Warum? Warum ist es zuviel verlangt, Eltern die Möglichkeit zu geben, zu studieren und zu forschen? Eltern allgemein sind Meister im "Umdisponieren", dies gilt umso mehr für Alleinerziehende. Oft kostet dies nicht nur Kraft und bedeutet Stress für alle Beteiligten, manchmal geht es nicht anders. Ein separater Raum für Eltern mit Kindern, die vor Ort Bücher sichten und lesen wollen. Und ein Still- und Wickelraum. Warum bitteschön sollten solche Räume andere Bibliotheksnutzer stören?

  10. 17.

    Warum auch, in einer Bibliothek sollte Ruhe herrschen und kein Babygeschrei, was ja wohl leider nicht aufzuhalten wäre.

  11. 16.

    Beim Arbeiten mit den Büchern, welche sehr wertvoll oder alt sind, dürfen z.B. auch die Angestellten nichts essen oder trinken. Mit diesen Büchern muss sehr vorsichtig umgegangen werden. Diese werden auch nur in einem abgeschlossenen Bereich unter Aufsicht zur Verfügung gestellt. Das hat nichts mit Familienfeindlichkeit zu tun.
    Im normalen Bereich ist es sicher möglich. Am Potsdamer Platz existieren Kabinen, die man bestimmt reservieren kann.

  12. 15.

    Bemerkenswert, dass Sie nur die Kommentare der anderen Kommentatoren kommentieren und zur Sache selbst nichts beizutragen haben.

    Frage ist halt, wie man das mit den Arbeitskabinen hinbekommt. Bin gespannt auf die Lösung.

  13. 14.

    Ja, sicher kommt das nicht alle Tage vor. Aber manche Bücher muss man vorbestellen und kann sie nur in einem bestimmten Zeitrahmen vor Ort einsehen. Wer neben seiner wissenschaftlichen Arbeit einen Säugling zu betreuen hat, ist sicher dankbar, eine abgeschlossene Räumlichkeit vorzufinden, in der beides problemlos möglich ist. Es ist auf jeden Fall wünschenswert, wenn nicht nur Bibliotheken, sondern auch andere öffentlichen Einrichtungen für Eltern mit Kleinkindern entsprechend nutzbar gestaltet werden. Ich finde das nicht abgehoben, sondern endlich an der Zeit.

  14. 13.

    Wer sein Baby zur selben Zeit stillen oder wickeln möchte, muss dann umdisponieren, wenn er gleichzeitig in einer wissenschaftlichen Bibliothek etwas lesen will. Diese Zumutung erscheint mir überschaubar zu sein. Ich persönlich finde, dies gehört nicht zu den Aufgaben einer Staatsbibliothek und erscheint mir etwas abgehoben zu sein.

  15. 12.

    Bemerkenswert, dass sich die familienfeindlichen Kommentator:innen nicht einmal die Mühe machen, vor dem Kommentieren den Artikel zu lesen...

  16. 11.

    Googlen Sie doch einfach mal das Wort "Präsenzbibliothek" und schauen sich dann Ihren Kommentar noch einmal an. :-)

  17. 10.

    Sie haben scheinbar den Text nicht gelesen und gehen nicht in Bibliotheken: Nicht alle Bücher können ausgeliehen werden. Manche dürfen nur vor Ort eingesehen werden.

  18. 9.

    Man kann eben nicht alle Bücher einfach ausleihen. Das ist ja keine Stadtbücherei, sondern eine wissenschaftliche Bibliothek. Seltene, vor allem besonders alte Titel gibt es manchmal nur in einem einzigen, nicht digitalisierten Exemplar. Vielleicht haben Sie schon mal in einem Dokumentarfilm gesehen, dass man ein Buch einem gesonderten Schrank entnimmt und nur mit entsprechenden Handschuhen darin blättert.

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