#Wiegehtesuns? | Mutter zum Lehrer-Warnstreik - "Gefühlt war jeden Monat einmal Streik"

Di 06.06.23 | 08:14 Uhr
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Symbolbild: Leeres Klassenzimmer (Quelle: imago/Jörg Halisch)
Bild: imago/Jörg Halisch

Berliner Lehrkräfte fordern kleinere Klassen und streiken deswegen ab Dienstag für drei Tage. Eine Mutter aus Friedrichshain findet die Forderung zwar richtig, sagt aber auch: Durch ständige Streiks bleibt mehr Arbeit an den Eltern hängen. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Nathalie Reinhard* ist Designerin und lebt gemeinsam mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern (6 und 10 Jahre) in Berlin-Friedrichshain. Dort besuchen beide Kinder eine Grundschule - sofern nicht gestreikt wird.

Ich habe großes Verständnis dafür, dass die Lehrer hier in Berlin streiken. Ich habe auch den Lehrern in der Schule meiner Kinder gespiegelt, dass das so gut und richtig ist. Es ist mir ja auch selbst ein Anliegen, dass die Klassen kleiner werden. Aber das geht jetzt schon das ganze Schuljahr und gefühlt war jeden Monat einmal ein Streik.

Nun naht das Schuljahresende und auch durch die Corona-Jahre hat sich ja einiges an Nachholbedarf aufgestaut bei den Kindern. Da wäre es jetzt schon wichtig, nochmal richtig Unterricht zu machen. Als jetzt der Streik-Aufruf für drei Tage kam, dachte ich, dass das jetzt irgendwie nicht so günstig kommt. Und man muss ja leider auch dazu sagen, dass die Forderungen der GEW hier in Berlin auf lange Sicht unrealistisch sind. Wenn mehr Geld gefordert würde, dann wäre das ja eventuell verhandelbar. Aber kleinere Klassen wird es in Berlin in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht geben können. Eher im Gegenteil. Trotzdem finde ich es natürlich eigentlich wichtig, dass es – auch von der Gewerkschaft – immer wieder thematisiert wird. Aber jetzt gerade bin ich ziemlich zerrissen diesbezüglich.

Denn am Ende landet das ja doch wieder bei den Eltern. Mitunter kriegen die Kinder Hausaufgaben für den Streiktag, die müssen dann betreut werden. Und es macht auch etwas mit uns Eltern, wenn Schulstoff und Themen noch nicht erledigt sind. Es kam ja auch gerade durch die IGEL-Studie wieder heraus, dass gerade bei Grundschülern unter anderem durch Corona noch ganz viele Lücken sind. Für mein Gefühl müsste da jetzt viel Zeit in Unterricht investiert werden.

An den Streiktagen bietet unsere Schule eine Notbetreuung. Die Hortbetreuung, die eigentlich ja vor allem für die Nachmittagsbetreuung zuständig ist, übernimmt dann voll. Aber da gibt es kein großes Programm. Denn da wird ja ein ganzer Schultag kurzfristig in die Hortbetreuung überführt. Einige Eltern behalten ihre Kinder an diesen Tagen zu Hause und machen Home-Office. Bei uns geht das nicht immer. Aber ich finde das auch echt schwierig. Wir Eltern haben während Corona gelernt uns damit zu arrangieren, dass die Kinder zu Hause sind, aber am Ende fällt es uns auf die Füße, zum Beispiel weil die eigenen Kräfte, die Gesundheit oder der Job darunter leidet. Ich habe das Gefühl, dass auch nicht so richtig daran gedacht wird, was mit den Kindern während des Streiks passiert, wie sie dann betreut werden oder betreut werden sollten und was mit dem ausgefallenen Unterricht passiert. Auch von die GEW nicht. Das macht mir Bauchschmerzen.

Es macht auch was mit uns Eltern, wenn Schulstoff und Themen noch nicht erledigt sind

Nathalie Reinhard*, Mutter von zwei Grundschülern

Hinzu kommt, dass ja – obwohl das an unserer Schule noch geht – auch sonst viel Unterricht ausfällt. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass in meiner Schulzeit so viel Unterricht ausgefallen ist. Heute ist das eigentlich ein Dauerzustand. Für meine Kinder ist das auch durch die Corona-Zeit ganz normal, dass längere Zeit mal keine Schule ist, zum Beispiel durch den Lehrerstreik regelmäßig unterrichtsfreie Tage sind. Es gibt zwar die Schul-, aber leider keine Bildungspflicht. Die Schulpflicht heißt vor allem, dass man pünktlich physisch da sein muss. Was dann aber in der Schule inhaltlich stattfindet, ob alle Kinder abgeholt werden können, ob Unterricht ist oder ausfällt, das wird dabei nicht betrachtet. Ich würde mir wünschen, dass man mehr darüber redet, ob es nicht eine Bildungspflicht geben sollte.

Seit Jahren sind die Schwachstellen in unserem Bildungssystem bekannt. Und klar ist auch, dass das in den nächsten Jahren immer schlimmer werden wird, weil der Lehrermangel auch weiter akut sein wird. Und bei allem, was man heute über Bindung und Lernen weiß, bräuchte man sogar noch viel mehr Personal an den Schulen. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es, dass viel mehr in Bildung investiert wird. Ich glaube schon, dass reines Geld da auch helfen würde. Damit man wegkommt von diesen formalen Strukturen und aufwändiger Bürokratie, die zeitintensiv sind und nur Kapazitäten fressen.

Und dann: In der freien Wirtschaft schaut man ja auch, was man Fachkräften anbietet, um sie zu halten. Das Denken ist ja, was die Pädagogen betrifft, gar nicht da. Im Gegenteil, es gab ja kürzlich die Debatte, die Lehrer sollten statt Teilzeit noch mehr arbeiten. Das ist so kurz gedacht. Man müsste doch mal überlegen, warum so viele Teilzeit machen.

Ich würde mir insgesamt wünschen, dass viel mehr Fokus und Aufmerksamkeit auf Kinder und Bildung gelenkt wird, Sofortprogramme für mehr Lehrkräfte aufgelegt werden usw. Doch meine Kinder würden davon vermutlich nicht mal mehr profitieren können. Weil alles so träge ist und so lange dauert. Das ist ein ziemlich deprimierender Gedanke.

Gesprächsprotokoll: Sabine Priess

*Name geändert. Der richtige Name der Protagonistin ist der Redaktion rbb|24 bekannt.

48 Kommentare

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  1. 48.

    In Rheinland-Pfalz möchte man bereits 1 1/2 Jahre vor Schulbeginn--bisher 1 Jahr--alle Kinder auf Sprache-- Entwicklung testen--auch diejenigen, die nicht in die Kita gehen.

    So könne man rechtzeitig reagieren.
    Das würde dann sicher auch Lehrerinnen und Lehrer entlasten.
    Und die Kinder hätten evtl. selbst mehr Spass in der Schule.

    Es ist mir wurscht--welche politische Agenda Sie mir unterstellen.--Mir gehts uns Thema, um Kinder und auch darum, Lehrer zu unterstützen.
    Denn scheinbar läuft ja einiges schief--das sich relativ einfach entschärfen lassen könnte.
    Und Kinder wollen doch fleißig und gut in der Schule sein. Das geht aber nicht, wenn man zu Hause nicht gefördert wird und alles auf die Lehrer abgewälzt wird.
    Wären viele Kinder auf ähnlichem Level--wären auch größere Klassen kaum ein Problem.

  2. 47.

    Ok, danke
    Ich habe ja auch Verständnis für die Forderung der GEW
    Was viele hier vergessen oder nicht wahrhaben wollen ist das die Anforderungen an die Lehrkräfte ganz andere sind als Früher
    Der Lehrplan ist ein ganz anderer , mehr Fächer usw.

  3. 46.

    Als Berufseinsteiger habe ich auch so lange gearbeitet, Unterrichtsstunden, die auf das an den Schulen vorhandene Material angepasst sind, (Chemie, Biologie, Physik ...) gibt es nicht fertig ausgearbeitet zu kaufen, da muss man selber ran. Dafür hat ein Lehrer studiert, dass er das kann.

  4. 45.
    Antwort auf [Soso] vom 06.06.2023 um 21:21

    Wer hat was davon geschrieben das er Kinder für das Kindergeld haben möchte

  5. 44.

    Ich unterschreibe jedes Wort, das die interviewte Mutter hier zu Protokoll gegeben hat. Besonders den Aspekt der „Bildungspflicht“. Unsere Kinder haben ein Recht auf Bildung! Das ist ein Menschenrecht und in Deutschland ein Grundrecht. Durch die desaströse Bildungspolitik in diesem Lande wird den Kindern dieses Grundrecht in weiten Teilen verwehrt. Noch nicht mal mehr Betreuung können die Grundschulen durchgehend bieten, von guter Bildung und Unterricht ganz zu schweigen.

  6. 43.
    Antwort auf [Soso] vom 06.06.2023 um 17:16

    Und für was zahlen wir soviel steuern?
    Hoffe das war Ironie?

  7. 42.

    Au weia, von woher haben Sie denn dieses Wissen?
    Wenn ich an meine Schulzeit zurück denke,dann hätte der Melder Mengenrabatt bekommen müssen.

  8. 41.

    Ich finde es gut, dass die neue Berliner Regierung das Thema Bildung zur Chefsache erklärt hat.
    Da wird sich schnell etwas tun.

  9. 40.

    Genau.
    Deshalb verlasse ich auch wie viele andere dieses tolle Bundesland.
    Könnt ihr eure Kinder demnächst in Klassen mit 40 SuS stopfen.
    Lehrkraft sein in Berlin ist eine Zumutung.

  10. 39.

    Der Wechsel steht jedem frei! Also nicht rum jammern, einfach machen. Entweder an der eigenen Organisation etwas ändern oder den Job wechseln (bei solchen Arbeitszeiten kommt ja nur Burnout als logische Konsequenz).
    Ja, man will seinen Job (den man u.U. sogar gerne macht) gut machen, aber irgendwo sollte auch der Punkt erreichen sein, wo man für sich die Reißleine zieht.

  11. 38.

    Das ist einfach nicht wahr… Herr Müller wird nicht jeden Tag eine Arbeit schreiben.. bei so vielen Schülern wird es auch mehrere Klassen einer Stufe geben. Bedeutet, auch eine Vorbereitungsstunde kann mehrmals gehalten werden. Also der Mythos, dass ein Lehrer die Ferien frei hat,weil er 60 Stunden arbeitet ist nur lächerlich. Ich spreche aus Erfahrung.. Eltern , Großeltern und auch wir sind Lehrer

  12. 37.

    Sie können das mit 23 Uhr glauben. Herr Müller unterrichtet als einziger Lehrer an einer Berliner Gesamtschule u.a. Physik, wodurch Herr Müller rund 250 SuS allein in diesem Fach betreut. (Hinzu kommen noch die anderen Fächer und Klassenlehrertätigkeiten).

  13. 36.

    Es wird viel zu sehr auf die Bedürfnisse der Lehrer*innen geschaut .. es geht aber um unsere Kinder. Die individuelle Förderung ist nur möglich wenn man auch die Zeit für die SuS hat. Was mich total stört, keiner spricht über das weitere pädagogische Personal. Lehrer arbeiten nur 20 Zeitstunden in der Woche in der Schule, haben bis zu 85 Tage frei im Jahr und ein Gehalt was doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt. Was ist mit den Erzieher*innen? Ohne die ist Grundschule nicht mehr denkbar.

  14. 35.

    Ich glaube das sie Frau Ulf nicht viel erklären müssen
    Das einzige was ich ihr nicht soglaube ist das ein Lehrer bis 23 Uhr arbeitet

  15. 34.

    "Ein Lehrer mit einer 60 Stundenwoche, der hat wohl den Beruf verfehlt"

    Und genau wegen solch einer ignoranten Haltung und Schönrechnerei streiken die Lehrkräfte. Sie finden hier in den Kommentaren Lehrkräfte die meine Beispielrechnung ( eines Fachlehrers in Sek I) bestätigen.

  16. 33.

    Bei dem Unterrichtsausfall den die Schüler ständig hinnehmen müssen, eigentlich ein eher schlechter Ansatz. Obwohl meistens schon länger geplant, informieren die einzelnen Schulen immer äußerst kurzfristig, damit die Eltern auch richtig was davon haben.

  17. 32.

    Wenn ich bedenke das eine Unterichtstunde 45 Minuten dauert und es 26 Pflichstunden pro Woche gibt, dann kann der Untericht nicht täglich volle 7Stunden und wöchentlich 35 volle Stunden betragen.
    Die Anwesenheit von 7.30 - !5 Uhr täglich, die wird wohl auch mit anderen Tätigkeiten zu tun haben, beispielsweise Korrekturen und Vorbereitungen auf den Untericht.
    Der Lehrer ist pro Woche 37.5 Stunden in der Schule anwesend, also auch für Korrekturen Zeit vorhanden.
    Mehrmals im Jahrgibt es Schulferien also unterichtsfreie Zeit, wo dann Fortbildung etc. stattfinden kann, und dann auf 37,5 Stundenwoche zu kommen ......

    Ein Lehrer mit einer 60 Stundenwoche, der hat wohl den Beruf verfehlt

  18. 31.

    Da haben sie aber "schön" die Tatsachen ihrer politischen Agenda angepasst.

    (Hervorhebung durch mich). "Denn viele Kinder könnten schlecht Deutsch ODER kämen aus bildungsfernen Familien, sagt die Schulleiterin. Deshalb gibt es zusätzliche Förderkräfte, die den Lehrern zur Seite stehen. Doch das hat diesmal nicht gereicht."

    "Außerdem gibt es in ganz Ludwigshafen zu wenige Kita-Plätze. Im Unterricht zeige sich schnell, dass manche Kinder nie in einer Kita gewesen seien. Viele Kinder müssten zum Beispiel erstmal lernen, still auf ihrem Platz zu sitzen und sich zu konzentrieren. "

  19. 30.

    Die Arbeit einer Lehrerin ist nicht gegrenzt auf die Zeit von 7:20-13:30 Uhr.
    Schön wärs. Ich komme auch locker auf 60 Stunden. Hatte früher andere Berufe, aber in keinem
    so viel Stress und Arbeit wie in diesem.
    Bin meist bis 16 Uhr in der Schule. Dann fahre ich nach Hause, kaufe kurz ein, Essen und häufig sitze
    ich dann wieder von 18-22 Uhr und arbeite weiter. Sonntag genauso. Vorbereiten für die kommende Woche.
    Wenn Sie es nicht glauben, sind Sie herzlich eingeladen mich eine Woche mal an meiner Grundschule in Lichtenberg zu begleiten. Kein Problem. Und zum letzten Mal: WIR HABEN KEINE SECHS WOCHEN FERIEN.
    Danke.

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