Wildpflanzenschutz durch Botanische Gärten - "Einer von 1.000 Samen schafft es in der freien Natur"

Mo 05.06.23 | 06:18 Uhr | Von Lena Dreyer
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Anthericum liliago,Astlose Graslilie,St Bernard's lily (Quelle: dpa/Hippocampus-Bildarchiv/Frank Teigler)
Bild: dpa/Hippocampus-Bildarchiv/Frank Teigler

Städtebau oder Landwirtschaft machen den heimischen Wildpflanzenarten in Berlin und Brandenburg immer mehr zu schaffen. Die Zahl der bedrohten Arten steigt. Das Projekt "Verantwortungsarten" tut etwas dagegen. Von Lena Dreyer

Die astlose Graslilie sieht ohne Blüten im Vorbeigehen eher aus wie Gras. Die Wildpflanzenart ist in Deutschland mittlerweile ziemlich selten und fällt unter die sogenannten Verantwortungsarten. Elke Zippel vom Botanischen Garten Berlin weiß aber ganz genau, wo sie suchen muss. Den Standort dieser seltenen und bedrohten Art zu lokalisieren ist wichtig, damit im Herbst die reifen Samen eingesammelt werden können.

Die Samen werden in der Dahlemer Saatgutbank im Botanischen Garten Berlin gelagert. "Das Wichtige an diesem Projekt ist, dass es nicht nur bei der Einlagerung und bei der Kultivierung im Garten bleibt", sagt Elke Zippel. "Wir nutzen diese Samen auch, um hier vor Ort eine Populationsstützung zu machen, damit diese seltene Art nicht selten bleibt, sondern sich wieder ausbreiten kann."

Projekt "Verantwortungsarten"

Verantwortungsarten sind Wildpflanzen, deren weltweites Vorkommen relativ klein ist beziehungsweise sich nur auf ein bestimmtes Gebiet bezieht. Neben der astlosen Graslilie ist beispielsweise auch die Pfingstnelke sehr selten. In Brandenburg gilt sie sogar als hochgradig gefährdet. Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt in Deutschland. Wenn Deutschland also keine Verantwortung für diese Art hätte, würde die Pfingstnelke wahrscheinlich bald aussterben.

Trotzdem fallen nicht alle bedrohten Wildpflanzen direkt unter die Verantwortungsarten. Die Rotbuche beispielsweise ist in Deutschland weit verbreitet und nicht gefährdet. Trotzdem kommt sie hauptsächlich nur hier und in Teilen Mitteleuropas vor. Deutschland hat also eine besonders hohe Verantwortung, dass die Rotbuche erhalten bleibt und nicht ausstirbt. Es geht bei diesem Projekt also darum, dass Arten, die hauptsächlich in Deutschland oder gar nur in Berlin und Brandenburg vorkommen, erhalten werden müssen.

Man muss sich verdeutlichen, dass von den Pflanzenarten, die überall in Deutschland vorkommen, 40 Prozent in irgendeiner Weise gefährdet sind.

Daniel Lauterbach, Biologe

Bedrohung durch schwindenden Lebensraum

Die Kulturlandschaft – ein sich stetig ändernder Lebensraum durch Städtebau oder Land- und Forstwirtschaft – erschwert es den Wildpflanzen zu überleben. "Man muss sich verdeutlichen, dass von den Pflanzenarten, die überall in Deutschland vorkommen, 40 Prozent in irgendeiner Weise gefährdet sind. Das ist ein hoher Anteil an seltenen oder vom Aussterben bedrohten Arten", betont Daniel Lauterbach, Biologe am Botanischen Garten der Universität Potsdam. Und die Anzahl der bedrohten Arten steigt.

Wildpflanzen lieben nährstoffarme Böden. Da können sie wachsen und sich ausbreiten. Diese Freiflächen gibt es aber fast nicht mehr, weil es kaum Schaf- oder Ziegenherden gibt, die früher diese nährstoffarmen Orte beweideten und somit freihielten. Jetzt sind solche Flächen entweder zugewachsen mit dominanteren Wildpflanzenarten wie Gräsern und Löwenzahn oder wurden mit Kiefern aufgeforstet.

"Wenn Gehölze, also Bäume, wachsen, verdrängen sie die seltenen Arten. Sie leiden an Lichtmangel, werden immer weniger und sterben letztlich aus", erklärt Lauterbach. Denn eigentlich könnten die Pflanzen sich von selbst weiter ausbreiten, nur muss der Standort geeignet und verfügbar sein.

Die Lösung ist eine extensive Bewirtschaftung: Feuchtwiesen weniger mähen, weniger düngen und stattdessen mehr Freiflächen für Wildpflanzen schaffen. Einige geeignete Flächen werden bereits wieder so gepflegt, dass Wildpflanzen dort eine Chance haben zu leben. Trotzdem schaffen es die seltenen Arten nicht von allein, an diese Standorte zu kommen. Da helfen die Botanischen Gärten in Berlin und Potsdam nach.

Im Botanischen Garten werden Setzlinge von seltenen Wilpflanzenarten pikiert (Quelle: rbb/Mark Albrecht)

Fleißarbeit für den Artenschutz

Viele bedrohte Verantwortungsarten schaffen es nicht von selbst sich zu vermehren, sprich: Die Pflanze blüht, bildet Samen, die fallen zu Boden, keimen und daraus wächst eine neue Pflanze. Deshalb werden die reifen Samen abgeerntet. Ganz wichtig ist: Die Samen müssen aus Berlin und Brandenburg kommen. Denn hier sind die Pflanzen optimal an die Umgebung angepasst und bleiben langfristig erhalten.

Die Samen werden in Papiertüten gesammelt, damit sie nicht anfangen zu schimmeln. Danach geht es in die Dahlemer Saatgutbank. Hier werden die Samen in einer Trockenkammer bei 15 Grad Celsius und 15 Prozent Luftfeuchtigkeit gelagert. Elke Zippel, Kustodin der Dahlemer Saatgutbank erklärt, warum es wichtig ist die Samen nach dem Sammeln zu trocknen: "In jedem Samen ist ein winzig kleiner Embryo – eine kleine lebende Pflanze. In dieser laufen Stoffwechselprozesse ab. Der Samen atmet. Um diese Stoffwechselprozesse zu verlangsamen, also die Lebensdauer zu verlängern, ist es wichtig die Samen zu trocknen".

Richtung März und April werden Tausende Samen im Gewächshaus der Botanischen Gärten ausgesät. Nach wenigen Wochen sprießen auch schon die ersten Sämlinge. Jedes Pflänzchen bekommt dann seinen eigenen Topf, um über den Sommer weiterwachsen zu können. Damit sich die Jungpflanzen schon an das Wetter außerhalb des Gewächshauses gewöhnen können, werden die Töpfe draußen in eingefasste Beete gestellt.

Harte Bedingungen schon bei der Aufzucht

Besonders das Vereinzeln der Pflanzen ist Fleißarbeit. "Wir sagen pauschal: Ewa 30 Prozent, die wir draußen wieder auspflanzen, überleben", sagt Daniel Lauterbach. "Der Laie sagt: Oh, so wenig! Wir freuen uns aber darüber, wenn 30 Prozent übrigbleiben. Wir gehen nicht raus und gießen dann später. Das können wir gar nicht."

Obwohl nicht alle Jungpflanzen nach dem Wiederansiedeln überleben, ist die Rate höher, als wenn die bedrohten Wildpflanzenarten sich von allein zu vermehren versuchen. "Wenn wir das wenige Saatgut, dass wir draußen von den Pflanzen sammeln können […] einfach wieder in die Landschaft streuen würden, wäre die Chance, dass daraus eine Pflanze wächst, relativ gering", so Lauterbach. "Vielleicht einer von 1.000 Samen schafft es in der freien Natur".

Auch wenn den Sämlingen in den Botanischen Gärten in Berlin und Potsdam bei ihren ersten Schritten geholfen wird, leben sie nicht im Luxus. An eine Sache werden sie nämlich von Anfang an gewöhnt: an nährstoffarmen Boden. Gedüngt wird in der Natur schließlich auch nicht.

Pikierte Setzlinge werden vorbereitet für die Aufzucht im Freien. Die Pflänzchen sollen sich dadurch schnell an typische Bedingungen gewöhnen. (Quelle: rbb/Jan Rieger)

Erfolg im Artenschutz braucht Zeit

Mit dem Projekt "Verantwortungsarten" erholen sich zwar viele bedrohte Wildpflanzenarten. Allerdings heißt es nicht, dass direkt ein Erfolg zu verzeichnen ist. Der tritt erst dann ein, wenn es die Pflanzen aus eigener Kraft schaffen sich in dem Gebiet weiter auszubreiten. "Das sind aber sehr langwierige Prozesse, die wir oftmals in den Artenschutzprojekten, die über drei bis fünf Jahre gehen, gar nicht sehen können", erklärt der Biologe am Botanischen Garten der Uni Potsdam. Aus vorherigen Projekten wisse er, dass erst nach zehn Jahren, wenn der Bestand größer geworden sei, Erfolg zu sehen sei.

Was kann ich privat tun?

Tatsächlich kann privat nichts für den Erhalt der lokalen Artenvielfalt, speziell auch für die Verantwortungsarten, getan werden. Denn wer draußen in der Natur große Mengen an Wildpflanzen sammelt, macht sich strafbar. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Botanischen Gärten in Berlin und Potsdam haben von den Behörden dafür eine Genehmigung bekommen. Aber auch nur, um innerhalb des Projektes die Pflanzenpopulation zu stützen.

In vielen Gartenmärkten werden Samenpackungen der Pfingstnelke oder auch der astlosen Graslilie verkauft. Dabei handelt es sich allerdings um Ziervarianten. Die Samen kommen dabei nicht aus der Region. Naturschutzfachlich wäre es nicht erlaubt, solch eine Packung in die freie Natur einzubringen. Dafür gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Botanischen Gärten, die sich in Projekten wie den "Verantwortungsarten", darum kümmern, dass das Arten-Repertoire an heimischen Wildpflanzen in Brandenburg und Berlin erhalten bleibt.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 26.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Lena Dreyer

12 Kommentare

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  1. 12.

    Das sind unnatürliche Lebensräume. Bestimmte Pflanzen haben die Möglichkeit, durch Anpassung an diesen, in der Natur nicht vorkommenden Raum, potentielle Vorteile gegenüber Pflanzen in natürlichen Räumen zu erlangen. Das kann unangenehm werden.

    Der Hauptgrund für das Kurzhalten dieser Bereiche ist allerdings die Sicherheit der jeweiligen Verkehrsteilnehmer.
    Hohe Gräser können die Sicht behindern.
    Nebengrund kann sein, dass derartige Flächen im Notfall als Stellflächen für die Rettung dienen.

  2. 11.

    Ich bin davon überzeugt das Deine Auffassung falsch ist.
    Die von Dir aufgeführten Lebewesen sind ausnahmslos Schädlinge und Insekten.
    Sonst würde man wohl nicht so vorgehen ;-)

  3. 10.

    Wenn ich immer beobachte, und verwundert bin, wie oft vielfältige grüne Rand- und Mittelstreifen, Baumteller und (artenreiche) Wiesen im Jahr gemäht werden brauch man mir nicht mit derart Sensibilisierung zu kommen.
    Ich bin der Auffassung, die (langen) Gräser und Blüher spenden für den Boden mehr Schatten gegen Austrocknung sowie Nahrungs-, Unterkunfts- und Lebensmöglichkeiten für Insekten.
    Aber nö, in ständiger Regelmäßigkeit werden die gestutzt.
    Daher finde ich solch Berichte (auch zu Insekten) häufig echt verlogen.

  4. 9.

    Z.B. die astlose Graslilie stammt aus den Gebirgsregionen Europas und konnte in Berlin/Brandenburg nur "heimisch" werden, nachdem der Mensch den ursprünglich dichten Wald lichtdurchlässig gemacht oder abgeholzt hat. Meiner Meinung sollten unsere begrenzten Steuermittel nicht für den Erhalt solcher hier nicht hingehörenden Arten verschwendet werden sondern der Fokus auf Nutzpflanzen gelegt werden, die dem Klimawandel standhalten. Oder sollen wir bald Graslilien essen?

  5. 8.

    Man kann auch einfach höher bauen und mehr Platz zwischen den Häusern lassen. Dann hat man schöne Windschneisen in der Stadt und die Häuser holen kühlere Luft von oben runter. Siehe zum Beispiel Tokio, wo der Sommer sehr warm und vor allem sehr feucht ist, aber trotzdem ein reges öffentliches Leben in den Sommermonaten herrscht.

  6. 7.

    Ich habe eine ganze Weile in Tokio gelebt und fand es klasse. Auch die Innenstadt von Paris ist sehr schön. In war auch eine Zeit in den "entzerrten" Städten Amerikas. Für mich ein Albtraum.

  7. 6.

    Zu einem geht es hier vermutlich um Nutzwald, das Stichwort Kiefer ist gefallen, zum anderen war Mitteleuropa von sich aus nie vollständig bewaldet, es gab genug offene Flächen, im Gleichgewicht von Flora und Fauna. Aber ich gebe zu, das ist im Artikel unglücklich formuliert.

  8. 4.

    Eigentlich eine gute Idee, nur dass die Städte jetzt schon klimatechnisch an ihre Grenzen kommen und in wenigen Jahren aufgrund der Klimakatastrophe in den Sommermonaten kaum mehr funktionieren werden (siehe zB den Klimaplan von Paris, der eine wesentliche Einschränkung des öffentlichen Lebens in den Sommermonaten ab 2050 prognostiziert). Jede weitere Bebauung ist deshalb kontraproduktiv.

  9. 3.

    Glauben sie mir, in einer solchem Stadt wollen sie nicht leben. Vielmehr müssen Städte statt verdichtet, entzerrt werden. Die Städte brauchen viel mehr Grün und ein besseres (Regen-) Wassermanagement. Nur so kann der Überhitzung von Städten vorgebeugt werden und nur so ist sie für Mensch und Tier lebenswert. Unter jedem Baum ist es durch Verdunstung merklich kühler. Bei mehr Bäumen erhöht sich dieser Effekt.

  10. 2.

    "Wenn Gehölze, also Bäume, wachsen, verdrängen sie die seltenen Arten. Sie leiden an Lichtmangel, werden immer weniger und sterben letztlich aus"
    Wo wuchsen denn diese Pflanzen, als Deutschland/Mitteleuropa noch fast vollständig von Wald bedeckt war?

  11. 1.

    Man könnte ja auch mal dichtere Städte bauen statt endlos Versiegelung in den Speckgürteln zu betreiben.

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