SPD-Parteitag beschließt entschärften Juso-Antrag - Das Ende der Ära Giffey-Saleh

Sa 27.05.23 | 10:09 Uhr | Von Christoph Reinhardt
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Franziska Giffey (l-r) und Raed Saleh, Landesvorsitzende der SPD Berlin, nehmen am Landesparteitag Berliner SPD teil. Auf dem Parteitag der Berliner SPD wird unter anderem über die Entscheidung für eine schwarz-rote Koalition und über die Wiederholungswahl im Februar diskutiert. (Quelle: dpa/Monika Skolimowska)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.05.2023 | Christoph Reinhardt | Bild: dpa/Monika Skolimowska

Als die Berliner Jusos kurz vor dem Landesparteitag die Trennung von Amt und Mandat forderten, nahm das kaum jemand ernst. Eine entschärfte Version aber begeisterte nun sehr viele Delegierte - selbst die kritisierte Parteiführung. Von Christoph Reinhardt

Read Saleh hatte den Antrag der Berliner Jusos offenbar gründlich gelesen – und erkannt, dass die SPD-Nachwuchsorganisation einen Nerv seiner Partei getroffen hatte. In seiner Eröffnungsrede zeigte Saleh sich selbstkritisch und verzichtete auf das Bashing der rot-grün-roten Koalition, die die Jusos nur allzu gerne fortgesetzt hätten. Die SPD habe vor den Wiederholungswahlen eigentlich gut regiert, "aber wir standen gegen das negative Gefühl der nicht funktionierenden Stadt – nach einer vergeigten Wahl und nach Jahrzehnten politischer Verantwortung." Den innigen Wunsch der Partei, die Basis bei der Aufarbeitung stärker einzubeziehen, habe er verstanden.

"Ich habe verstanden"

Salehs Co-Landesvorsitzende, die ehemalige Regierende Bürgermeisterin und jetzige Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey dagegen verteidigte in ihrer Eröffnungsrede die Koalition mit der CDU offensiv. Ein Weiter-so mit Grünen und Linken hätte die SPD nur noch tiefer herabgezogen. Die Koalition mit der CDU sei zudem die einzige Alternative zum vollständigen Machtverlust der SPD gewesen, so stelle Giffey es dar: "Wir waren kurz davor: Schwarz-Grün lag in der Berliner Luft, das ist eindeutig."

Giffeys Erzählung über die Rettung der Berliner SPD durch die ungeliebte Koalition mit der CDU aber wollten nur wenige Genossen an diesem Abend hören – sondern Selbstkritik. Für die Juso-Vorsitzende Sinem Tasan-Funke dürfe man das Problem mit der schwindenden Akzeptanz bei der Wählern nicht Grünen und Linken anlasten: "Die Verantwortungsfrage immer auf andere zu schieben, macht uns am Ende unglaubwürdig." Als Lösungsansatz hatten die Jusos in ihren dreiseitigen Initiativantrag namens "Luft zum Atmen“ vorgelegt. Neben einer „schonungslosen Aufarbeitung der Wahlniederlage" mit externer Begleitung, einem „Visionsprozess“ mit breiter Mitgliederbeteiligung richtet sich die Kernforderung direkt gegen die aktive Parteiführung.

"Neue Köpfe"

Wäre es nach dem ursprünglichen Antrag gegangen, hätten alle Mitglieder des geschäftsführenden Landesvorstands, die der Landesregierung als Senator oder Staatssekretär angehören bzw. die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus anführen, nicht mehr gewählt werden dürfen. Bis auf zwei Personen hätte das alle jetzigen Mitglieder betroffen – noch am frühen Abend aber entschärften die Jusos die radikale Forderung, so dass es im Vorstand lediglich keine Mehrheit von Regierungspolitikern geben darf. Um über diese Version zu debattieren, meldeten sich fast 90 der 263 Delegierten zu Wort – und äußerten sich ganz überwiegend positiv.

Als nach drei Stunden das Ende der Debatte beschlossen wurde, ergriffen die beiden Vorsitzenden beherzt die Flucht nach vorn: "Volle Unterstützung mit dem Änderungsantrag der Jusos", rief Saleh in den Saal, und forderte alle Delegierten auf, als Zeichen der Geschlossenheit dem Juso-Antrag zuzustimmen: "Die Partei braucht das jetzt". Und auch Giffey lenkte ein: „Dann gehen wir zusammen diesen Weg." Wohin der Weg für Giffey und Saleh führt, ist allerdings offen - denn der Antrag läutete zugleich das Ende des Vorsitzenden-Duos Giffey-Saleh. Bei einer Doppelspitze darf künftig nur eine Person ein Spitzenamt in Fraktion oder Senat haben, so lautet der Beschluss, dem sich bis auf eine Gegenstimme alle Delegierten angeschlossen hatten.

Jusos fordern Gespräche mit Linken und Grünen

Ebenfalls im Juso-Paket enthalten: Die Aufforderung an den Landesvorstand, das zerrüttete Verhältnis zu den ehemaligen Koalitionspartnern wieder zu verbessern. Die Berliner SPD solle "Brücken zu Linken und Grünen wieder aufbauen" – um "gemeinsame linke Projekte der Zukunft" zu definieren.

Dass die Delegierten mit neuem Selbstbewusstsein kurz nach halb elf Uhr auch noch die im Koalitionsvertrag mit der CDU eigentlich fest vereinbarte Ausweitung des Unterbindungsgewahrsams ablehnten, trieb allerdings Anhängern der CDU-Koalition die Zornesadern ins Gesicht. Parteichef Raed Saleh dagegen zeigte sich am Ende des langen Abends wie erlöst und lobte geradezu begeistert seine Partei. "Es war ein guter Parteitag – wir setzen das gemeinsam fort." Die Wahlniederlage soll in den nächsten Monaten detailliert von einer Kommission aufgearbeitet werden. Die nächste Vorstandswahl ist für Frühjahr 2024 geplant.

Sendung: rbb24 Abendschau, 26.05.2023, 19:30 Uhr

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Beitrag von Christoph Reinhardt

79 Kommentare

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  1. 79.

    @Lincoln, nein natürlich nicht. Aber einige haben es immer noch nicht gerafft...

  2. 78.

    "Da müssen schon konkrete Vorteile für den Bürger herausspringen oder wenigstens der soziale Abstieg gestoppt werden."
    Schon mal was von taktisch wählen gehört? Das ist es doch gerade: Wählen Sie AfD, dann bekommen Sie eben NICHT den Vorteil, den Sie erwarten. Sondern eine Große Koalition, die beim nächsten Mal (auf Bundesebene) schätzungsweise auch von der CDU regiert wird. Und die denkt garantiert nicht an Ihren kleinen Geldbeutel! (...Aber allerdings, geschenkt, durchaus an Ihre Zuwanderungsabneigung....)
    Dann lieber gar nicht wählen gehen. Auch das ist dann Demokratie.

  3. 77.

    Auch für Eigentumswohnungen gilt das von mir geschriebene. Die extrem hohen Grundstückspreise schlagen selbstverständlich voll auf die Mietkaufraten durch. Mir scheint, nicht ich sondern Sie suggerieren Fachkenntnisse, die Ihnen fehlen.

  4. 76.

    SPD und Linke vertreten nach Tradition, Programm und Regierungspraxis Arbeitnehmerinteressen. Andere Parteien vertreten andere soziale Gruppen. Politik „für alle“ gibt es nicht.

  5. 75.

    Willy Brandt der hat Strahlkraft bis heute.
    Bei der jetzigen Berlin SPD Führung kann man nur hoffen dass die Überschrift das Artikels wahr wird „Das Ende der Ära Giffey-Saleh“. Es tragisch , dass für diesen Misserfolg keine Verantwortung mehr übernommen wird. Es fehlt einfach an Profil. Fotolächeln auf Twitter und co macht noch keine Persönlichkeit aus.

  6. 74.

    "Viele Berliner hatten einfach die Schauze von RGR voll und wählten statt SPD die CDU. Die Jusos und Sie haben das immer noch nicht verstanden."

    Sie haben etwas nicht verstanden, rein rechnerisch wollte die Mehrheit der Wähler einen Fortbestand von RRG.

    Allerdings hatte die cDU mit ihrem rassistischen Wahlkampf großen Erfolg, was mich am meisten entsetzt.

  7. 73.

    "Aber da sie auf die Außenbezirke schielen, die CDU ist halt die Partei fürs Dorf und nicht für die Innenstadt."

    Und vor allem der Besserverdienenden. Frohnau, Gatow/Kladow, Wannsee/Nikolassee usw.

  8. 72.

    Viele Berliner hatten einfach die Schauze von RGR voll und wählten statt SPD die CDU. Die Jusos und Sie haben das immer noch nicht verstanden.

  9. 71.

    "Sie könnten etwas von Verwaltungen wissen, leider Fehlanzeige" Der Grundstückspreis wird auch beim Wohnungskauf herangezogen. Also die Fehlanzeige liegt bei ihnen.

  10. 70.

    "Wenn Sie von dummen Ossis schwadroniere" Sie müssen nochmal nachlesen, mein Vorkommentator fing damit an. Übrigens habe ich auch kluge Ossies geschrieben. Komisch das sie das weglassen.
    "Willy Brandt" hätte wohl ehr bei ihrem Kommentar "Magenkrämpfe".
    Gab ürigens auch Außenbezirke wo andere gewonnen haben. Aber da sie auf die Außenbezirke schielen, die CDU ist halt die Partei fürs Dorf und nicht für die Innenstadt.

  11. 69.

    Das schlechte Ergebnis kam durch den Kurs von Frau Giffey. Das war ja ihr Wahlkampf. Die Ausrede mit den Jusos macht also nicht so richtig Sinn.

  12. 68.

    Als "Geringverdiener" ist ihnen eine "Obergrenze bei Asyl und Zuwanderung" wichtig, mmh, alles klar.

  13. 67.

    "Als Geringverdiener kommen also Linke, Grüne, Jusos und SPD für mich nicht in Frage."

    Also ausgerechnet FDP und AfD? Dann werden sie sich als Geringverdiener selbst schaden.

    "Ich sehe nur, wie unermeßliche Summen Steuergeld in bestimmte Projekte wandern."

    So wie bei der FDP mit dem A 100 Ausbau oder Tankrabatte für Porschefahrer?

    "Zudem sind die genannten Parteien nicht bereit, den ÖRR zu reformieren und die Kosten dafür zu halbieren."

    Also doch eher die rechtsextreme AfD?

  14. 66.

    "Sie werden auch keinen AfD-Wähler mit dem Argument überzeugen" Seit wann hören AfD Wähler auf Argumente? Da geht es doch mehr um Gefühle und eingebildete Ängste. Übrigens der Anstieg der Umfrageergebnisse kommt nur durch die Kriegsversteher, die jetzt in der Linken sich nicht mehr vertreten fühlen.

  15. 65.

    "Ich hatte ja auch von den Jusos gesprochen" Nein haben sie nicht. Sie schrieben "SPD sollte sich auflösen". Das man sich nicht mal das eigene Geschriebende merken kann. Erstaunlich.
    "Frsu Gifey finde ich Klasse" Ist klar, sie schreiben ja auch, die SPD soll sich auflösen. Vielleicht mal im eigenen Laden die Spenden-Gelder überrpüfen.

  16. 64.

    "Die Linke ist definitiv keine Arbeinehmerpartei, das ist dann eher noch die CDU. "

    Wie bitte? Noch besser können sie nicht demonstrieren wie sie irrlichtern. Ihnen ist jeglicher politischer Kompass abhanden gekommen.

    Die Linke ist die letzte verbliebene sozialdemokratische Partei in Deutschland. Ergo eine Arbeitnehmerpartei.

  17. 63.

    Gerichturteil nicht verstanden.
    "kurz vor Wahlen" Die Straße wurde bereits 2020 umgestaltet.
    Die Charlottenstraße war ja erst Ende November Fahrradstraße. Kann man ja überlegen ob man dann nur eine reine Fußgängerzone braucht.

  18. 62.

    Steuersenkungen nicht möglich"
    In der Tat, Steuersenkungen für die Gut- und Besserverdienenden, die Couponschneider und generell für die oberen 10 % sollten nicht erfolgen. Und so sind die Forderungen derjenigen, die sich im politischen Spektrum links verordnen, auch zu verstehen.
    fdpcducsu machen daraus natürlich, das Steuersenkungen für Geringverdiener, zu denen Sie sich zählen, von den Linken ausgeschlossen werden.
    Klaus Staecks Plakat aus den 70ern (Deutsche Arbeiter, die SPD will Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen) hat wahrlich nichts an Aktualität verloren.
    Der linke Flügel der spd fordert dabei unisono mit der Linken, das die Reichen höher besteuert werden um die unteren Einkommensbereiche zu entlasten.

  19. 61.

    "Progressiv ist nicht gleichzusetzen mit linker Politik" Lesen muss man schon. Ich habe sowas nirgends gesagt. Sie haben der SPD die "Progressivität" abgesprochen. Vielleicht nochmal den Vorkommentar lesen.
    "Ost-Westschemata gefangen zu sein" Wo? Der eine Kommentator fing mit dem Ost-Schemata an. Wirkt jetzt ehr so als ob sie in diesen Kategorien denken.

  20. 60.

    "2023 sind der SPD in Scharen die Wähler zur CDU weggelaufen. Die Jusos arbeiten hart daran, dass sich das wiederholt."

    2023 sind der sPD die Wähler in Scharen weggelaufen weil sich Giffey mit ihrem Wendehalskurs nicht zur Koalition bekannt hatte. Nicht nur der Wähler, auch die sPD Mitglieder wollten eine RRG Koalition.

    Das haben die Jusos gut erkannt. Die Jusos sind das letzte sozialdemokratische in der sPD, die von Seeheimern, nicht nur in Berlin, weiter in den Abgrund geführt wird.

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