Berlin Bolt, Uber & Co. bieten Fahrten von "Geister-Firmen" an
Die Berliner Mietwagenbranche sollte jetzt eigentlich sauber sein, denn im Mai sperrte das Land 1.700 illegale Fahrzeuge. Doch nach rbb-Recherchen sind weiterhin kriminelle Firmen in der Hauptstadt unterwegs. Von J. Göbel und J. Wiese
- Mindestens zehn große Mietwagen-Unternehmen ohne nachweisbaren Firmensitz im Berliner Raum aktiv
- Fahrzeuge teilweise trotz Firmen-Sperrungen unterwegs
- Berliner SPD-Abgeordneter Tino Schopf spricht von Organisierter Kriminalität
- Kontrollen offensichtlich nicht ausreichend
Ein Schrottplatz in Altglienicke am Berliner Stadtrand: Hier, zwischen Müllhaufen, Bauschutt und herumflitzenden Ratten, soll die P. GmbH zu finden sein. Das Unternehmen gehört zur Mietwagenbranche und befördert Fahrgäste, die über Plattformen wie Uber, Bolt, Freenow oder Bliq vermittelt werden. 31 Fahrzeuge hat die P. GmbH angemeldet. Voraussetzung für die Zulassung war der Nachweis eines Firmensitzes mit Büro und einem Dispatcher, der die Fahrten verteilt. Außerdem sind ein Pausenraum für die Fahrer und ein Stellplatz für jedes Fahrzeug vorgeschrieben.
In einer Baracke könnte mal ein Büro gewesen sein. Die Tür ist offen, im Eingangsbereich stehen ein paar fleckige Sessel, die Türen dahinter sind verschlossen. Ist das der Firmensitz der P. GmbH? "Das sind Geister-Firmen", sagt ein Mann auf dem Platz. "Das sind Verbrecher - aber nennen sie mich nicht, die zünden mir sonst die Bude an."
Briefkästen Altglienicke
Verwaiste Betriebssitze
rbb24 Recherche hat in den vergangenen sechs Wochen die Firmensitze von 15 großen Berliner Mietwagenfirmen überprüft: Davon waren zehn verlassen oder das gesuchte Unternehmen war nie an diesem Ort.
In einem Fall ist die Adresse ein Hotel, in einem anderen ein asiatisches Einkaufszentrum, ein weiterer Firmensitz soll sich in einem vergitterten Keller befinden. Überall das gleiche: keine Mietwagenflotte, keine Fahrer, die auf Aufträge warten. Stellplätze verwaist oder gar nicht vorhanden. Dabei müssten laut Personenbeförderungsgesetz die Fahrzeuge nach jedem Auftrag an den Betriebssitz zurückkehren, sofern sie keinen direkten Folgeauftrag erhalten. Auf Nachfragen bei Nachbarn, Geschäftsleuten oder Arbeitern im Umfeld hieß es meist: Die sind verschwunden, die haben wir schon seit Jahren nicht gesehen, oder: Die waren niemals hier.
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Die Masche hinter den "Geister-Firmen"
Fehlende Büros, keine Aufenthaltsräume für Fahrer - das dürfte es eigentlich nicht geben, wenn ein Unternehmen in Berlin Fahrgäste transportieren will. Um eine Genehmigung für die Beförderung von Fahrgästen zu erhalten, müssen die Firmen zuvor Mietverträge für Geschäftsräume beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) vorlegen. Doch die Behörde prüfte in der Vergangenheit oft nur auf dem Papier und selten vor Ort. Nachdem die Genehmigung erstmal erteilt ist, scheinen viele Firmen die Mietverträge wieder zu kündigen, um sich die Kosten von etwa 20.000 bis 30.000 Euro im Jahr zu sparen.
Kenner der Szene berichten rbb24 Recherche, dass für die Vermittlung der Fahraufträge an die Fahrer auch keine Firmenbüros oder Dispatcher notwendig seien, weil die Aufträge automatisiert über eine Software an die Fahrer weitergeleitet werden.
Die P. GmbH scheint solch ein Fall zu sein: Im Netz findet sich ein Handy-Kontakt, aber die Nummer ist tot. rbb24 Recherche verschickt einen Brief per Einschreiben, eine Visitenkarte wird im Briefkasten hinterlassen, der Vermieter des Gewerbehofs kontaktiert - ohne dass eine Kontaktaufnahme gelingt. Kontrolleure des Labo waren nach rbb-Informationen 2022 das letzte Mal in Altglienicke vor Ort.
Fahrzeuge der P. GmbH sind jedoch im September 2024 auf Berlins Straßen unterwegs. rbb24 Recherche liegen aktuelle Fahrtbelege vor.
"Gegründet mit dem Ziel, den Staat zu betrügen"
"Dem Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten ist die Situation entglitten", meint der SPD-Abgeordnete Tino Schopf. "Selbst die zuständige Kontrollbehörde kann viele Firmen nicht mehr finden."
Der verkehrspolitische Sprecher der Berliner SPD im Abgeordnetenhaus stieß bei einer Akteneinsicht auf mehrere ähnliche Fälle. Dabei handele es sich nicht um ein simples Adressenproblem, erklärt Schopf. Aus den Unterlagen, die er einsehen konnte, geht nach seinen Worten hervor, dass mehrere aktive Firmen zu wenig oder keine Unfallversicherungs- oder Krankenkassenbeiträge zahlten sowie Steuern hinterzogen. Es soll dabei um Summen von bis zu 60.000 Euro gehen. "Diese Unternehmen werden gegründet mit dem Ziel, den Staat zu betrügen. Wir reden hier über organisierte Kriminalität", sagt Schopf im Interview mit dem rbb. Auch beim Labo habe man den Trick mit den "Geister-Firmen" inzwischen erkannt und kämpfe dagegen an, ist Tino Schopf nach der Akteneinsicht überzeugt.
Auf Anfrage erklärte die zuständige Senatsverwaltung für Verkehr, das Labo überprüfe zurzeit die Betriebssitze und Geschäftsführer aller in Berlin zugelassenen Unternehmen, die für Plattformen wie Uber, Bolt, Freenow oder Bliq Fahrgäste befördern. "Diese formale Überprüfung führte inzwischen zu 113 Anhörungen und 25 Widerrufen von Genehmigungen. Sie wird voraussichtlich noch bis zum Ende des Jahres andauern", teilt die Pressestelle schriftlich mit.
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Sogar nach Sperrung noch auf der Straße
Wenn das Labo nach der Überprüfung den Unternehmen die Zulassung entzieht und die angemeldeten Fahrzeuge sperrt, werden auch die Plattformen darüber informiert. Uber, Bolt und Co. dürfen dann eigentlich keine Aufträge mehr an die Firmen oder die Fahrer weiterleiten. Doch auch das scheint nicht immer zu funktionieren. rbb24 Recherche hat mehrere Autos ausfindig gemacht, die trotz Unternehmenssperrungen auf Berliner Straßen unterwegs waren. Weitere Beispiele fand der Abgeordnete Tino Schopf bei seiner Akteneinsicht.
Alexander Mönch, Präsident der Plattform Freenow Deutschland bestätigt, dass das ein Problem ist. Für sein Unternehmen garantiert er aber: "Sobald uns das Labo informiert, sperren wir die Fahrzeuge noch am selben Tag." Auch die Plattformen Uber und Bliq teilen rbb24 Recherche mit, dass sie gesperrte Autos sofort nach der Information vom LABO aus der Vermittlung nehmen. Bolt schreibt: "Zu diesem Thema möchten wir derzeit keine Stellungnahme abgeben."
Für die Plattformen wäre es durchaus riskant, weiterhin Aufträge an gesperrte Fahrzeuge herauszugeben. Das LABO hätte die Möglichkeit, ein Verfahren gegen sie einzuleiten, wenn es eine solche unerlaubte Vermittlung entdecken würde - hat es bis dato jedoch nach eigener Aussage noch nicht.
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"Krimineller Sumpf"
Aus Sicht des SPD-Abgeordneten Tino Schopf ist die Landesbehörde Labo mitverantwortlich für den, wie er sagt, "kriminellen Sumpf, der in den letzten Jahren in dieser Branche entstanden" sei. Schopf zählt Beispiele auf, die er als behördliches Versagen wertet: In einem Fall sei der Betriebssitz zwei Jahre lang nicht kontrolliert worden. Keiner habe gemerkt, dass die Firma niemals vor Ort existiert hat. In mehreren Fällen seien die Unterlagen zur Betriebsprüfung von Firmen lediglich auf Vollzähligkeit geprüft worden. Für eine inhaltliche Prüfung fehle das Personal, hieß es mehrfach in Aktenvermerken. "Wir wissen alle, dass dieses Geschäftsmodell hier in Berlin aber auch anderswo wirtschaftlich legal nicht zu betreiben ist", sagt Schopf.
Schopf fordert jetzt, dass die Labo-Mitarbeitenden eine fachliche und juristische Beratung von externen Experten erhalten sollen - und falls nötig auch mehr Personal. "Denn das Labo ist Teil des Problems, das muss man in dieser Deutlichkeit sagen."
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