Kommentar | Wahl Wegners - Amtsantritt mit blauem Auge nach rechtem Haken

Fr 28.04.23 | 06:22 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin, sitzt nach seiner Wahl im Saal. Im dritten Wahlgang ist der CDU-Politiker Kai Wegner zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt worden. (Foto: dpa)
Audio: rbb24 | 28.04.2023 | Sebastian Schöbel | Bild: dpa

Drei Wahlgänge brauchte Kai Wegner, um neuer Regierender Bürgermeister zu werden. Weil die neue Koalition gleich zu Beginn uneins war, lag am Ende ein Schatten über seiner Wahl. Ein Kommentar von Sebastian Schöbel

Seit Jahren hatte Kai Wegner auf diesen Moment hingearbeitet: das Rote Rathaus übernehmen. Die Sondierungsgespräche führte er am Euref-Campus in Berlin-Schöneberg – dort, wo er einst seine Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz bekanntgegeben hatte. Symbolpolitik eines Mannes, der sich sprichwörtlich vom Rand der Stadt, aus Spandau, ins Machtzentrum vorgearbeitet hat.

Wegner hat parteiinterne Konkurrenten wie Monika Grütters ausgestochen, sich die CDU zurechtgelegt und am Ende die historische Wiederholungswahl mit einem bewusst zugespitzten Wahlkampf genutzt, um ausgerechnet im rebellisch-linken Berlin die Christdemokraten zur Protestpartei zu machen.

Bis zum 27. April 2023, dem Tag seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte Kai Wegner alles richtig gemacht.

CDU und SPD reißen schon die erste Hürde - und die AfD nutzt das

Und nun startet er politisch schwer beschädigt in eine Rest-Legislatur, an der Seite eines offenbar unzuverlässigen Partners, überschattet vom Malus des "Bürgermeisters von AfD-Gnaden". Dass es so weit kommen konnte, verdankt die schwarz-rote Koalition einer bemerkenswerten Verkettung von politischen Fehlern: Ausgerechnet die beiden Parteien, die dem Chaos der Stadt mit Berlin-untypischer Effizienz und beinahe langweiligem Pragmatismus zu Leibe rücken wollten, reißen bereits die erste, vergleichsweise niedrige Hürde. Sie zwingen ihren Senatschef in einen dritten Wahlgang, in dem am Ende nicht klar ist, ob die einfache Mehrheit nur dank Stimmen der AfD zustande kam.

Dass Wegner im ersten Wahlgang scheitern würde, war sogar schon im Zeitplan eingepreist: Viele SPD-Abgeordnete nutzten erwartungsgemäß die Chance, wenigstens einmal ihren Unmut über die umstrittene Koalition zu Protokoll zu geben, mit einer Nein-Stimme. Wegner räumte hinterher sogar ein: Selbst in seiner eigenen CDU-Fraktion gab es wohl Abweichler – ein paar offene Rechnungen von früher vielleicht, oder die Enttäuschung, bei der Postenvergabe leer ausgegangen zu sein. Doch spätestens im zweiten Wahlgang hätte es klappen müssen. Tat es aber nicht, weil eine Stimme fehlte. Im dritten Wahlgang nutzte dann die AfD ihre Chance: mit der kaum zu widerlegenden Behauptung, Wegner gewählt zu haben.

Können sich CDU und SPD trauen?

Die verzweifelten Beteuerungen und Rechennachweise der beiden Koalitionäre, am Ende doch zusammengestanden zu haben, verpuffen: Wie Wegner am Ende auf 86 Stimmen kam, wird man wohl nie endgültig klären können. Der Zweifel aber bleibt und hängt nun über der gesamten Koalition: Können sich CDU und SPD überhaut trauen? Wohl kaum, wenn man sich nach solch einem Debakel die Schuld gegenseitig in die Schuhe schiebt, was natürlich umgehend geschah.

"Das Beste für Berlin" hat Schwarz-Rot versprochen. Das Vertrauen in die Politik wollte man nach dem Wahldebakel von 2021 wiederherstellen. Geliefert haben beide Parteien bei der erstbesten Gelegenheit nun aber erstmal Verantwortungslosigkeit. Für eine Stadt, die vor enormen Herausforderungen steht, ist das keine gute Voraussetzung.

Sendung: rbb24, 28.04.2023, 23 Uhr

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Beitrag von Sebastian Schöbel

88 Kommentare

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  1. 88.

    Der Literat, der schon durch sein profunde Wissen um Hertha BSC in den Mittelpunkt rückte, jetzt auf dem politischen Parkett? Und natürlich spr7ngt auch er, ohne konkrete Beweise, über das dargebotenen Stöckchen der AfD.
    Was für eine gespielte Empörung, wenn man davon ausgeht, dass die AfD eine Punktlandung hingelegt hat, wenn, die Koalition 86 Stimmen, etwas von der billigen Propaganda der AfD stimmt. Dann müssten die Vertreter der AfD genau gewusst haben, wer und wieviel Abweichler in der CDU und der SPD es sind.
    Aber egal, die gespielte Empörung ist groß - leider aber auch peinlich.

  2. 87.

    Es ist doch völlig wurscht wer Herrn Wegner gewählt hat, Hauptsache ist das er gewählt ist. Und für linke und grüne bedeutet das ab sofort Oppositionsarbeit mit der AFD. Basta!

  3. 86.

    Bleibt aber weiterhin mutig mit großen Restunsicherheiten. Das politische Problem ist doch eher, warum das ein Thema sein sollte? Besteht sofort eine Kontaktschuld bei eienr demokratischen Wahl, wenn auch zustimmende Stimmen aus der AfD abgegeben werden und der Kandidat darf dann die Wahl nicht annehmen (siehe einen Fall in einem anderen Bundesland)? Dann würden die anderen Parteien der AfD die Macht geben durch geschicktes Zustimmungsverhalten nahezu alles zu blockieren und damit das ganze politische System stillzulegen.

  4. 85.

    „ Im dritten Wahlgang nutzte dann die AfD ihre Chance: mit der kaum zu widerlegenden Behauptung, Wegner gewählt zu haben.“ Seit wann ist es wichtig was die AfD behauptet? Seit wann müssen deren Behauptungen widerlegt werden? Ich behaupte, die AfD will nur Streit und Zwietracht herbeiführen. Wer will, kann meine Behauptung widerlegen. Sonst stimmt es … So?

  5. 84.

    So ist es. These aufstellen und dann Beweisführung. Das andere ist was für Verschwörungen und Alternative Wahrheiten.

  6. 83.

    Das ist doch unerheblich, ziehen Sie die möglichen AfD Stimmen ab, es hätte dennoch gereicht. Diese Spekulationen führen zu nichts außer zu Werbung für die AfD. Kann sie doch so ihren Anhänger weismachen, dass sie Macht im Parlament hat.

  7. 82.

    Sorry nicht zu Ende gelesen. Da im 3. Wahlgang die einfache Mehrheit reicht, redet man präzise natürlich auch von einfacher Mehrheit.
    Dass das Ergebnis in diesem Fall auch die absolute Mehrheit war, spielt für das Protokoll keine Rolle, ist aber formal richtig.

  8. 81.

    ....bestimmt liegt er eher wieder verkehrt herum, denn das letzte RRG war ja schon nicht zu ertragen....die Idee von CDU/SPD drehte ihn dann wieder richtig....das weitere hatte ich schon geschrieben.

  9. 80.

    Warum mit 86 Stimmen ist das auch absolute Mehrheit (ab 80), auch wenn Wegener die einfache Mehrheit im 3. Wahlgang gereicht hätte.

  10. 79.

    Hatte ich schon in meinem Kommentar #23. Er hat die Unsicherheit aus den ersten beiden Wahlgängen in Verbindung einiger Besonderheiten dieser Wahl auch auf den dritten Wahlgang übertragen und diese als Zufallsgröße modelliert.
    Dann kommt man unweigerlich zum Ergebnis, dass die Behauptung, die Wegnerkoalition hätte im 3. Wahlgang komplett für Wegner votiert der unwahrscheinlichste Fall ist.
    Da man eine Unterstützung der Linken und Grünen für Wegner vollständig ausschließen kann (zumindest für sehr unwahrscheinlich halten muss, kommt nur der wahrscheinlichste Raum der Kombinationen mit der AfD in Frage.
    Ich würde mal sagen, der Autor hats drauf!!

  11. 78.

    Irrtum.
    Niemand muss beweisen, dass die AfD die Stimmen beschafft hat.
    Die Kritik an der Verantwortung für eine Situation die Unklarheit darüber ermöglichte, hat nichts damit zu tun, ob die AfD tatsächlich für Wegner stimmte.

    Sie können ja auch nicht beweisen, ob Grüne und LINKE nicht Wegner wählten. Weil die Hälfte der abstimmenden SPD-Mitgliedschaft gegen diese Koalition stimmten.

    Politik ist halt komplizierter, als manche sie haben und sehen möchten.

  12. 77.

    Liebe Redaktion,
    Herr Wegner wurde mit der absoluten, nicht der einfachen Mehrheit gewählt.

    Im übrigen: Sowas kommt von sowas.

  13. 76.

    "an soetwas wie Sozialdemokratie" Klingt gut, aber mir ist überhaupt nicht klar, wie man - auch unter Hinzuziehung der Geschichte der SPD - Sozialdemokratie überhaupt richtig und trennscharf definieren sollte.

  14. 75.

    So besetzt man Themen in der Politik bzw. verdrängt andere von Themen. Das funktioniert nicht nur bei diesen Wahlen, sondern bei fast allen Themenbereichen nach dem gleichen Schema - die Strategie der AfD funktioniert gut bzw. die anderen spielen da sehr gut mit.

  15. 74.

    Lieber RBB. Der Artikel ist reißerisch geschrieben und in det Art der journalistischen Aufarbeitung mit vielen Interpretationen statt Fakten geschrieben. Beweisen Sie, dass die afd die nötigen stimmen beschafft hat. "Im dritten Wahlgang nutzte dann die AfD ihre Chance: mit der kaum zu widerlegenden Behauptung, Wegner gewählt zu haben." was hat sich der journalist mit dieser Formulierung gedacht? 86 stimmen sind die von SPD und CDU und das reicht.

  16. 73.

    Das die Sozis dem Volk aufs Maul schauen und ihre Fahne immer nach dem Wind hängen, ist eine Binsenweisheit. Wenn sie aber bei 4% von einer Mehrheit reden, dann haben sie den Knall nicht gehört. 4% liegt im Teilnahme- und Stimmungsrauschen! Die Sozis sind vollständig gespalten, zwischen den Opportunisten, die jedem hinterherrennen und denen, die tatsächlich an soetwas wie Sozialdemokratie glauben.
    Und das wird Wegner und vor allen Dingen Giffey während der Regierungszeit zu spüren bekommen. Es wird sich rächen, dass der größte Wahlverlierer Giffey weiterhin auf einer Führungsposition beharrt, anstelle für neue Köpfe endlich Platz zu machen.

  17. 72.

    "Es war kein Alleingang von Fr. Giffey,"

    Mit Alleingang meine ich, dass es überhaupt wieder Thema wurde, dass die SPD mit der CDU koaliert. Sie hatte ja bereits im Wahlkampf 2021 ohne Not das Fass aufgemacht. Dann hat sie maßgeblich zu den Unstimmigkeiten im rrg Senat beigetragen. Und letztendlich nach den Sondierungsgesprächen entschieden, dass es mit der CDU weitergehen soll (und das recht unfair den andern 3 Parteien gegenüber kommuniziert).

    Der Mitgliederentscheid war erst ganz am Ende dieses Prozesses.

  18. 71.

    Klimaschutz?
    Wie oft kam dieser Begriff und das zugehörige Thema denn in den letzten Wochen aus dem Munde dieser Koalitionspartner? Er ist leider selten vorgekommen. Das hat schlicht keine Priorität. Lieber ereifert man sich über die Rechtmäßigkeit von Sitzblockaden. Dabei müsste gerade die SPD, stolz wie Giffey auf die soziale Handschrift im Koalitionsvertag ist, allmählich die soziale Komponente des Klimaschutzes begreifen.

    Aber wenn diese Regierung deshalb gewählt wurde, weil - wie weiter unten erwähnt - Jarasch eine "einseitige Verkehrspolitik" (zugunsten der Radfahrer) gemacht habe, obwohl es in Berlin ein unbestreitbare und messbare Dominanz des Kfz-Verkehrs gab und gibt, dann ist es natürlich nur folgerichtig, wenn man sich dazu lieber weniger äußert...

  19. 70.

    Es war kein Alleingang von Fr. Giffey, sondern 54,3% der SPD haben für Schwarz-Rot gestimmt. Die Mehrheit der SPD hatte wohl begriffen, dass sie und vor allem Berlin mit dern GRÜNEN keinen Blumentopf mehr gewinnen können.

  20. 69.

    "... mit der kaum zu widerlegenden Behauptung,..."
    Ich kenne das so, das eine Behauptung bewiesen werden muss, Herr Schöbel. Alles Andere ist Rummelbudenpolemik.

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