Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) bei Wasserstoff-Termin
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Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) bei Wasserstoff-Termin

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Zwischen Wirtshaus und Wasserstoff: Aiwangers Minister-Bilanz

Hubert Aiwanger als Wirtschaftspolitiker auf internationalem Parkett: "Unvorstellbar", fanden Kritiker, als der Freie-Wähler-Chef 2018 das Wirtschaftsressort übernahm. Wie hat er sich geschlagen? Welche Akzente hat der Minister gesetzt? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Es war definitiv eine Überraschung, als nach der Landtagswahl 2018 bekannt wurde, wer neuer bayerischer Wirtschaftsminister wird: Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. Viele hätten den Landwirt und Jäger aus Niederbayern eher im Landwirtschaftsministerium gesehen – verantwortlich für Tierhaltung und regionale Produkte.

Stattdessen sollte der hemdsärmelige Mann mit dem starken niederbayerischen Dialekt künftig also für Exporte, Start-ups und Tech-Firmen zuständig sein – außerdem für Energiefragen, die auch zu seinem Ressort gehören? Unvorstellbar für seine Kritiker. Peinlich könnte das auf internationalem Parkett werden, mutmaßten manche hinter vorgehaltener Hand. Auch Verbände wie die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) zeigten sich zunächst zurückhaltend bis skeptisch.

Erste Amtshandlung: Automobilindustrie vom Thron gestoßen

Bei seiner ersten Pressekonferenz als Wirtschaftsminister sprach Aiwanger dann vor allem über sein neues Wirtshaus-Förderprogramm: "Ein Dorf ohne Wirtshaus ist kein richtiges Dorf." Deshalb müsse ein Wirtshaus-Rettungsprogramm her.

Die Autoindustrie, die für gut ein Drittel der bayerischen Industrie steht und bislang von jedem Wirtschaftsminister geradezu hofiert wurde, spielte hingegen bei der Auftakt-Pressekonferenz kaum eine Rolle. Der Spott, der anschließend auf Aiwanger einprasselte, war groß. Als "Wirtshaus-Minister" wurde er süffisant bezeichnet.

So manchem in Erinnerung geblieben ist auch die die Eröffnung der Gründermesse Bits & Pretzels 2019. Anders als sonst, las der Minister vom Blatt ab, der niederbayerische Akzent kam auch im Englischen durch. Im Publikum war leises Gelächter zu hören. Auf Twitter schrieb ein Messe-Teilnehmer später: "Ein Wirtschaftsminister oder Comedian? Alle Klischees perfekt bedient inklusive Bavarian English." Selbst der Autovermieter Sixt griff das später in seiner Werbung auf und spottete: "We have for jedn Gschmack wos dabai."

Wie steht es um Aiwangers Ansehen im Ausland?

Auslandsreisen und Fragen zu Außenhandelsbeziehungen überlässt Aiwanger möglichst seinem Staatssekretär Roland Weigert (Freie Wähler). Seine erste eigene große Auslandsreise führte den Minister im Herbst 2019 nach China. Im Fokus dabei der König der bayerischen Industrie: der Automobilsektor. Das anschließende Fazit der Delegation aus Wirtschaftsvertretern und Landtagsabgeordneten fiel recht positiv für Aiwanger aus. Selbst Kritiker fanden, er habe sich gut geschlagen – auch wenn es eher bei einer Informationsreise blieb, ohne konkrete Handelsvereinbarungen.

Zwar waren Auslandsreisen mit Wirtschaftsdelegationen längere Zeit wegen der Corona-Beschränkungen nicht möglich, dennoch waren Aiwangers Amtsvorgänger Ilse Aigner (CSU) und Martin Zeil (FDP) in dieser Hinsicht erkennbar aktiver. Und im Fall einer zweiten Amtszeit des Freie-Wähler-Politikers im Wirtschaftsministerium stellt sich die Frage, inwieweit sich der Wirbel um die Antisemitismus-Vorwürfe gegen ihn als Hypothek im Ausland erweisen könnte. Denn die Debatte über Aiwanger wurde auch von Medien in anderen Ländern aufmerksam verfolgt. Dem Vernehmen nach gibt es bereits erste politische Signale aus dem Ausland, die auf Vorbehalte gegen Aiwanger schließen lassen.

Für FDP-Landeschef Martin Hagen, der selbst gern das Wirtschaftsministerium übernehmen würde, steht fest: "Hubert Aiwanger ist kein gutes Aushängeschild mehr für Bayern im Ausland", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Es wird schwer für ihn sein, Delegationsreisen nach Israel oder in die USA zu unternehmen."

Aiwanger, der Mittelstands-Minister?

Welche konkreten Erfolge hat er nach fünf Jahren im Amt vorzuweisen? Was hat Aiwanger gegen den Fachkräftemangel in Bayern getan? Konnte er für neue Jobs sorgen? Wie hat er die Wirtschaft durch die Corona-Jahre geführt? Und: Was hat er als Energieminister erreicht? BR24 hat bei den großen bayerischen Wirtschaftsverbänden und dem Gewerkschaftsverbund DGB nachgefragt.

Ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre zeigt: Öffentliche Aufmerksamkeit bekommt Aiwanger eher mit bodenständigen Themen. Mit seinen umstrittenen Äußerungen zur Seilbahnförderung und zur Subvention von Beschneiungsanlagen geriet er im vergangenen Winter bundesweit in die Schlagzeilen – Aiwanger als Retter des Skitourismus? Grüne und Umweltschützer kritisierten: Beschneiungsanlagen zu fördern, sei nicht zukunftsfähig und schade der Umwelt. Der Minister konterte: Die Grünen würden Skifahrer mit Autos in ausländische Skigebiete zwingen, was der Umwelt nur noch mehr schade.

In den Köpfen seiner Kritiker bleibt Aiwanger damit der Wirtshaus- und Tourismus-Minister. Doch ist das überhaupt so verwerflich? Kleine und mittelständische Unternehmen, zu denen die Hotels und Gaststätten gehören, spielen für die bayerische Wirtschaft schließlich eine große Rolle - zumindest von den Arbeitnehmerzahlen her. Allein im Gastgewerbe arbeiten laut Bayerischem Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) fast 450.000 Beschäftigte. Das sind mehr als doppelt so viele wie in der Automobilbranche: Bei Autobauern und deren Zulieferern sind im Freistaat nach Zahlen des Wirtschaftsministeriums 208.000 Menschen tätig.

Und so stellt der Dehoga Aiwanger insgesamt ein gutes Zeugnis aus. Nur beim Bürokratieabbau sieht der Hotel- und Gaststättenverband Nachholbedarf. Die Dokumentationspflicht, beispielsweise für Arbeitszeiten und Reinigung, sei noch immer sehr ressourcenaufwändig. Das Wirtschaftsministerium verweist an der Stelle an den Beauftragten für Bürokratieabbau, Walter Nussel (CSU), der sein Büro im Finanzministerium hat.

Manchmal mehr Landwirtschafts- als Wirtschaftsminister

Sich in die Ressorts anderer Minister einzumischen, damit hat Aiwanger sonst allerdings kein Problem – beispielsweise, wenn es um den Abschuss von Wölfen geht, die Rettung der Schweinebauern oder andere eigentlich landwirtschaftliche Themen. Die fallen in den Aufgabenbereich von Ministerin Michaela Kaniber (CSU). Dass ihr die ständige Einmischung Aiwangers durchaus auf die Nerven geht, versteht sich von selbst.

Noch dazu hat Aiwanger kürzlich anklingen lassen, dass sich die Freien Wähler sehr gut vorstellen können, nach der Landtagswahl im Herbst das Agrarministerium zu besetzen: "Landwirtschaft ist uns schon sehr wichtig", sagte er der "Augsburger Allgemeinen", stellte in der der Mediengruppe Bayern aber kurz darauf klar: "Ich möchte wieder Wirtschaftsminister werden."

Kampf gegen den Fachkräftemangel

Beim Thema Fachkräftemangel verweist das Ministerium unter anderem auf die Einführung eines Meisterbonus in Höhe von 3.000 Euro. Außerdem wurde ein jährlicher "Tag des Handwerks" ab der 5. Klasse etabliert und es gab Investitionen in die Bildungsstätten des Handwerks. Alles Maßnahmen, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken sollen.

Der bayerische Handwerkskammertag zeigt sich entsprechend zufrieden: "Sehr gut umgesetzt." Kritischer reagiert der Gewerkschaftsbund DGB Bayern. Im Freistaat fehle es an einer Strategie zur Gewinnung und Weiterbildung, insbesondere von Geringqualifizierten. Hier gebe es "noch viel Luft nach oben."

Unternehmensgründungen vereinfachen

Als seinen Erfolg wertet Aiwanger, Bayern zum "Gründerland Nummer eins" gemacht zu haben - mit der Initiative "Gründerland Bayern" und dem Ausbau der digitalen Gründerzentren. Schließlich gelten Start-ups, genauso wie neu gegründete Handwerksbetriebe, als Quelle neuer Arbeitsplätze. Sie treiben Innovationen voran und schaffen Wohlstand.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gießt in dem Punkt allerdings Wasser in den Wein. Im Koalitionsvertrag 2018 hatte die schwarz-orange Koalition versprochen: Junge Unternehmen sollten "digital und an einem Tag" gegründet werden können. Jetzt, anlässlich der Landtagswahl, schickt Söder diesbezüglich eine deutliche Botschaft an das Wirtschaftsministerium: Er habe gebeten, einen "engagierteren Plan vorzulegen bei dem Thema". Denn man bewege sich hier eher "im Zentimeterbereich voran als mit Siebenmeilenstiefeln."

Kritik an Rückzahlung der Soforthilfen

Eine unerwartete Herausforderung kam durch die Corona-Pandemie auf die Wirtschaft zu - und damit auch auf Aiwanger. Stolz ist der Minister auf eine rasche Hilfe. Aiwanger habe eine eigene bayerische Masken- und Desinfektionsmittelproduktion organisiert und für eine schnelle Auszahlung der Corona-Soforthilfen gesorgt, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.

Doch was zunächst so positiv klingt, hat in den vergangenen Monaten für viel Streit gesorgt. Die Rückzahlung zu viel gezahlter Hilfen bringe manche kleinere und mittlere Betriebe in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so die Kritik aus dem Mittelstand. Aiwangers Soforthilfeprogramm sei handwerklich schlecht gemacht gewesen. Nach heftigem Protest unter anderem aus dem Friseurhandwerk, gab Aiwanger schließlich nach. Selbständigen mit einem geringen Jahreseinkommen wird die Rückzahlung der Soforthilfe erlassen.

Der bayerische Mittelstand ist trotzdem nicht zufrieden. Die Corona-Hilfen seien als Zuschüsse angekündigt worden, eine Rückzahlung sei gar nicht vorgesehen gewesen, sagte der Politikbeauftragte des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) Bayern, Achim von Michel, noch im Frühjahr. Mittlerweile, kurz vor der Wahl, klingt sein Fazit etwas milder. "Im Großen und Ganzen hat die bayerische Landesregierung in Sachen finanzieller Krisen-Unterstützung, Ausbildung und Qualifikation von Arbeitskräften sowie Exportförderung richtige wirtschaftspolitische Impulse gesetzt", betont von Michel.

Neue Kernaufgabe Energiepolitik

Spätestens mit dem Krieg in der Ukraine ist die Energiepolitik in den Fokus gerückt. Es folgte laut Wirtschaftsministerium ein "Energiewende-Turbo". Aiwanger lobt sich gern dafür, dass er eine Reform der umstrittenen Abstandsregel für Windkraftanlagen (10H) auf den Weg gebracht habe. In der Tat machte er sich bei der CSU für eine Lockerung stark, der Einfluss der Energiekrise und des öffentlichen Drucks auf Bayern nicht zuletzt durch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dürfte in diesem Zusammenhang aber nicht zu unterschätzen sein.

Außerdem weist Aiwangers Haus darauf hin, dass der Minister ein Photovoltaik-Speicherprogramm mit 100.000 geförderten Anlagen aufgelegt und einen "Boom bei Freiflächen-PV ermöglicht" habe.

Das Resümee des DGB Bayern zu Aiwangers ersten fünf Minister-Jahren fällt freilich deutlich kritischer aus. "Durch die 10-H-Regel hinkt der Ausbau der Windkraft in Bayern massiv hinterher. Die gesteckten Ziele der Staatsregierung werden hier weit verfehlt." Auch der mangelhafte Ausbau der Verteilnetze bremse die Energiewende sichtlich. "Das verkündete Ziel der Klimaneutralität in Bayern bis 2040 kann mit dem derzeit vorgelegten Tempo der Staatsregierung nicht erreicht werden." Die IHK für München und Oberbayern sieht in der Energiepolitik zumindest einen "neuen Aufbruch in Bayern, vor allem durch Lockerungen bei den zuvor rigiden Abstandsregeln für die Windkraft sowie die Beschleunigung der Genehmigungen beim Bau von Stromleitungen und Energieanlagen".

Wasserstoff allein macht noch keine Energiewende

Und dann ist da ja noch die Wasserstoffstrategie des Freistaats. Wer Aiwanger fragt, als was er in die Geschichtsbücher eingehen möchte, muss nicht lange auf eine Antwort warten: als Wasserstoff-Minister. Wenn er von dem neuen, klimafreundlichen Gas spricht, gerät er ins Schwärmen. Grüner Wasserstoff ist für den Wirtschaftsminister die Triebfeder für die Energiewende. Als Erfolg zählt er die Gründung des bayerischen Wasserstoffzentrums auf, ein Bündnis mit über 330 Partnern. Hinzu kommt der Bau des Wasserstoff-Technologie-Anwenderzentrums WTAZ in Pfeffenhausen.

Eine bayerische Wasserstoffstrategie wurde bereits im Koalitionsvertrag 2018 angekündigt. Entstanden ist daraus die sogenannte Wasserstoff-Roadmap, mit der vor allem die bayerischen Potentiale auf dem Gebiet gelistet und miteinander verknüpft werden sollen. Das sei auch weitgehend gelungen, bewertet Michael Sterner das Vorgehen. Er ist Professor für Energietechnik und Wasserstoff an der OTH in Regensburg.

In seinen Augen falsch war allerdings der Fokus der Staatsregierung auf den Verkehr. Wasserstoff lasse sich auch noch in den Bereichen Wärme, Strom und vor allem in der Industrie einsetzen, sagt Sterner BR24. Das sei nicht ausreichend passiert, weshalb gerade die energieintensiven Branchen jetzt das Nachsehen hätten. "Nun haben wir zwar 50 Wasserstoff-Tankstellen in Bayern, aber viel zu wenige Abnehmer und keinen zusätzlichen Strom, um sie zu betreiben", sagt der Energieexperte. Mit einem Eintrag in die Geschichtsbücher als "Wasserstoff-Minister" dürfte es, nimmt man diese Kritik ernst, also erst einmal noch nichts werden.

Fazit: Viele unerledigte Hausaufgaben

Die großen Herausforderungen, die die bayerische Wirtschaft auch schon zu Aiwangers Amtsantritt vor fünf Jahren beschäftigt haben, bleiben. Darin sind sich alle befragten Wirtschaftsverbände einig. Die Energiewende, der Arbeitskräftemangel und der Bürokratieabbau: Hausaufgaben bleiben für die nächste Legislaturperiode noch genug - egal, wer dann Wirtschaftsminister wird.

Im Video: Koalitionscheck Klima und Energie

Koalitionscheck Klima und Energie
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Koalitionscheck Klima und Energie

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