Bunt und kreativ ist der Landkindergarten St. Michael in Sachrang.
Bildrechte: BR / Dagmar Bohrer-Glas

Weil eine Fachkraft geht, muss der Landkindergarten in Sachrang womöglich zum 1. Mai schließen.

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Zu wenige Erzieher: Müssen Kindergärten auf dem Land schließen?

Im Chiemgau droht vielen Familien eine Katastrophe: Die Gemeinde Aschau sieht sich gezwungen, einen beliebten Kindergarten zu schließen und in weiteren Einrichtungen Dutzende Plätze zu streichen, sofern sich nicht schnell Erzieherinnen finden.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Seit mehr als zehn Jahren haben Kinder in Bayern ab ihrem ersten Geburtstag bis hin zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege. Doch nach wie vor gibt es viel zu wenige Erzieherinnen und Erzieher, die die Kinder betreuen könnten. Eine der drastischsten Folgen des Erziehermangels wird in Oberbayern sichtbar: Dem Landkindergarten in Sachrang droht nun die Komplettschließung. Die Gemeinde Aschau im Chiemgau fürchtet zudem den Verlust von 50 bis 80 Kita-Plätzen.

Kindergarten kurz vor der Schließung

Ein Kindergarten wie in Astrid Lindgrens Bullerbü: Kunterbunt ist der Kindergarten St. Michael in Sachrang, Ortsteil der Gemeinde Aschau im Chiemgau. Die Einrichtung ist in einem wunderschönen Altbau untergebracht, in dem die Holzdielen knarzen. Auf einem Tischchen steht geschnittenes Obst, und im Garten treiben neben dem Sandkasten schon die ersten Sträucher aus. Doch mit der Idylle könnte es demnächst vorbei sein. Zum 1. Mai droht dem katholischen Landkindergarten die Schließung.

Mit dem Landkindergarten noch nicht genug: Sollte sich bis Herbst nicht zusätzliches Kita-Personal für drei andere Einrichtungen in der Gemeinde finden, droht insgesamt der Verlust von 50 bis 80 Kita-Plätzen, bilanziert Aschaus Bürgermeister Simon Frank. Das sei eine Katastrophe.

Gemeinde schlägt Alarm, berufstätige Eltern am Limit

Er werde auch oft beim Einkaufen oder auf der Straße darauf angesprochen, insbesondere von berufstätigen Eltern. In jeder größeren Familie sei jemand betroffen, schildert Frank. Oft müssten beide Elternteile arbeiten, es seien Kredite abzuzahlen, auch die Mietpreise seien hoch. Der Bürgermeister hat zu einem Aktionstag in die Gemeinde geladen, um auf die schwierige Situation aufmerksam zu machen.

Gleichzeitig wirbt Sachrang nun um Personal, insbesondere eine neue Leitung wird ab Herbst gesucht. Rosenheims Landrat Otto Lederer verweist auf die neue Berufsfachschule für Kinderpflege in Rosenheim. Ein erster Schritt, so Lederer. Nun müsse man mit den Erziehern nachziehen. Die Möglichkeit einer Ausbildung in der Region sei immens wichtig, unterstreicht der Rosenheimer Landrat.

Haben Kindergärten mit nur einer Gruppe eine Zukunft?

Der typische Landkindergarten mit rund 20 Plätzen in einer einzigen Gruppe wird es künftig wohl immer schwerer haben, schätzt Simone Tewes vom Kita-Verbund Chiemsee, der Träger des Sachranger Landkindergartens. Bei eingruppigen Kindergärten sei es zum Beispiel Auflage, dass stets zwei Betreuungspersonen anwesend sein müssen. Das bedeute einen großen Personalaufwand und Mehrkosten. Zudem verdiene die Leitung eines eingruppigen Kindergartens unwesentlich mehr. Die Verantwortung sei hingegen enorm, so Tewes.

Auch andernorts im Landkreis Rosenheim haben einzelne Gruppen wegen Personalmangel derzeit nicht geöffnet, heißt es seitens des Landratsamts. Meist würden dann innerhalb einer Gemeinde Gruppen zusammengelegt, was nun auch für Sachrang geplant sei.

Kreis Rosenheim: Noch nie musste ein Kindergarten zumachen

Die komplette Schließung einer Einrichtung hat es bisher im Landkreis Rosenheim noch nicht gegeben. Bürgermeister Frank will sich noch keine Nachnutzung für den schönen Altbau überlegen. "Das bleibt Kindergarten!", ist er sich sicher. Der Elternbeirat verweist darauf, dass das kleine Dorf am Ende des Prientals ohne Kindergarten für junge Familien deutlich unattraktiver werden dürfte.

München: Familien müssen sich neuen Kita-Platz suchen

Dass es auch Einrichtungen in Großstädten treffen kann, zeigt ein Beispiel aus der Landeshauptstadt München. Die Großtagespflege "Rehkitz" im Münchner Norden hat wegen zu wenig Kita-Personal Ende vergangenen Jahres die Türen geschlossen. Zehn Kinder und deren Familien mussten sich kurz vor Weihnachten einen neuen Kindergartenplatz suchen. Der Grund: Beide Erzieherinnen hatten gekündigt und der Träger "Akitz!" hatte in einer Zeitspanne von wenigen Wochen keine Möglichkeit, neue Erzieherinnen einzustellen.

Die Kündigungsfrist von sechs Wochen sei für die Branche normal, sagt der Träger im Gespräch mit den Eltern. Trotz Betreuungsvertrags hatten die Eltern keinen rechtlichen Anspruch auf einen neuen Platz vonseiten des Trägers. Mittlerweile sind alle zehn Kinder in anderen Einrichtungen untergekommen. Die Räumlichkeiten des "Rehkitz" stehen aktuell leer.

Freising: Knapp 700 Kinder auf der Warteliste

In Freising stehen derzeit 680 Kinder auf der Warteliste für Kita- und Hortplätze. "Wir machen alles, was wir können", versicherte Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher (Freisinger Mitte) gegenüber BR24, aber man habe einfach nicht genug Personal. An den Räumlichkeiten fehle es jedenfalls nicht: "Wir haben eine Kita nach der anderen gebaut." Bereits im vergangenen Jahr war die Lage in Freising sehr angespannt. Schon damals hatte Eschenbacher von einem "überregionalen Thema" gesprochen - der Personalmangel sei "eines der drängendsten Probleme unserer Zeit".

Erzbistum: Gruppenschließungen wegen zu wenig Personal

Dass wegen Personalmangel Gruppen geschlossen werden müssen, bestätigt die Erzdiözese München und Freising für den ihr zuständigen Bereich. Es seien bislang keine Einrichtungen komplett geschlossen worden, wohl aber Gruppen, heißt es auf BR24-Anfrage. Zudem seien zwei nicht ausgelastete Einrichtungen zu einer zusammengelegt worden. Kürzungen von Öffnungszeiten seien eine Möglichkeit, um einem Personalmangel, der auch vorübergehender Art sein kann, zu begegnen, sagt die Erzdiözese.

Genauere Zahlen oder Statistiken bayernweit gibt es nicht. Eine Datenerhebung wäre bei mehr als 10.600 Kinderbetreuungseinrichtungen in Bayern mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden, teilt das bayerische Sozialministerium mit. Das Ministerium verweist darauf, dass Kinderbetreuung eine Aufgabe der Gemeinde im eigenen Wirkungskreis sei. Die Kommunen seien zuständig für die Planungs- und Finanzverantwortung, würden aber vom Freistaat Bayern hierbei unterstützt.

Dieser Artikel ist erstmals am 13. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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