04.09.2023, Bayern, Abensberg: Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, stellvertretender Ministerpräsident von Bayern und bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landentwicklung und Energie, spricht beim Politischen Frühschoppen Gillamoos auf der Bühne.
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Einen im Internet kursierenden Video mit einem Teil von Hubert Aiwangers Gillamoos-Rede fehlt relevanter Kontext.

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#Faktenfuchs: Aiwanger-Zitat zu Geflüchteten ist verkürzt

Ein Video soll belegen, dass Hubert Aiwanger beim Gillamoos abwertend über Geflüchtete geredet habe. Doch der kleine Ausschnitt der Rede zeigt nicht den Kontext, in dem Aiwanger über schnelle Integration in den Arbeitsmarkt spricht. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Es geht um Wirtshaus und Wurstsalat, um Ukrainer und Syrer, die nach Bayern gekommen sind. In den sozialen Medien kursiert ein Ausschnitt der Rede von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) auf dem Gillamoos. Dieser Jahrmarkt in Niederbayern ist bekannt für seinen politischen Frühschoppen am Gillamoos-Montag. Jedes Jahr treten in den Festzelten gleichzeitig Politiker auf und liefern sich einen verbalen Schlagabtausch.

In dem gut eine halbe Minute langen Video-Ausschnitt vom 04. September, der derzeit im Netz geteilt wird, sagt Aiwanger Folgendes: "In drei Stunden – garantiere ich Ihnen – dass wir jedem, einem Ukrainer wie einem Syrer, erklären können: Das ist der Wurstsalat und den trägst du dort an den Tisch, und das Geld, das holt der andere."

Und direkt im Anschluss: "Meine Damen und Herren, da brauche ich keinen Deutsch-Grammatikkurs mit gehobener Stufe, sondern da brauche ich nur die Vernunft. Und da geht mit Fingerdeuten, da geht mit Vernunft sehr vieles."

Aiwanger sprach über schnelle Integration in den Arbeitsmarkt

Aiwangers Aussage wird in diesem Video aus dem ursprünglichen Kontext gerissen. Betrachtet man einen längeren Abschnitt der Rede, wird klar, dass Aiwanger eine schnelle Arbeitserlaubnis von Geflüchteten befürwortet, da diese eine Integration fördere. Dass Zitate von Politikerinnen und Politikern aus ihrem Kontext gerissen oder verkürzt werden, kommt häufig vor. Teilweise sind solche Vorgänge als Desinformation einzuordnen.

Für die Äußerungen im 34 Sekunden langen Video wurde Aiwanger teilweise scharf kritisiert. Ihm wurden Rassismus und Ausländerfeindlichkeit unterstellt. Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, ehemals Staatssekretärin in Berlin, schrieb zum Beispiel auf dem Kurznachrichtendienst X: "Und schon wieder macht Aiwanger Stimmung gegen ukrainische und syrische Flüchtlinge."

FW-Chef: Arbeitsplatz vor Deutschkurs ermöglichen

Vor diesen beiden langen Sätzen, die in dem Video-Ausschnitt zu hören sind, sagte Aiwanger aber noch deutlich mehr. Er beginnt das Thema folgendermaßen: "Und ja, wir müssen die Menschen, die zu uns kommen, sehr viel schneller in Arbeitsprozesse bringen. Ich höre das regelmäßig, gerade auch von den ukrainischen Zuwanderern. Die kommen häufig in der Gesinnung 'Ja, ich will hier arbeiten'. Und dann sagt man zu denen: Aber mal langsam, nicht so schnell. Mach mal einen Deutschkurs in sieben bis zwölf Monaten. Und dann schauen wir weiter, ob du dann im Bürgergeld bleibst oder doch einen Arbeitsplatz annimmst."

Danach spricht Aiwanger über die sogenannten Gastarbeiter der 1960er- und 1970er-Jahre. Schon bei der Ankunft seien diese vom Arbeitgeber empfangen worden. "Am nächsten Tag hat der an seinem Arbeitsplatz sein eigenes Brot verdient, war sozial anerkannt, seinen Deutschkurs hat er am Arbeitsplatz und in der Brotzeitstube bekommen und die Leute waren integriert."

Genauso müsse man heutzutage Zuwanderer, egal ob aus der Ukraine oder aus Syrien, sofort nach der Ankunft einen Arbeitsplatz vermitteln. Aiwanger nennt als Beispiel Gasthäuser, die wegen fehlenden Bedienungspersonals nicht öffnen könnten. Daraufhin folgt die oben zitierte Wurstsalat-Passage.

Im Video: Die Aiwanger-Aussage im Kontext

Hubert Aiwanger auf dem Gillamoos
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Hubert Aiwanger auf dem Gillamoos

Fehlende Zeugnisse sollten Arbeit nicht verhindern

"Dann sind diese Leute rausgeholt aus ihren Unterkünften, sind sinnvoll beschäftigt, sind sozial anerkannt, bekommen Anschluss, verdienen ihr eigenes Geld, machen weniger Unsinn, dann ist doch allen geholfen. Warum kriegen wir denn das nicht hin, warum schaffen wir denn sowas nicht?", schließt Aiwanger an. Man solle Geflüchtete in Deutschland arbeiten lassen, auch wenn irgendeine Bescheinigung oder Zeugnisse aus dem Ausland fehlen, so Aiwanger. Er erzählt außerdem von einer Spedition, bei der wegen dieser Gründe ein Migrant nicht arbeiten könne.

Dass das verkürzte Video, das nur zwei Sätze Aiwangers zeigt, sinnentstellend wirken könnte, postete zum Beispiel bereits der Politikwissenschaftler Carlo Masala.

Verkürzte Zitate können auf Fehl- und Desinformation deuten

Das Verkürzen oder aus dem Kontext-Reißen von Zitaten ist eine gängige Strategie, um Fehl- und Desinformation zu verbreiten. Claire Wardle, eine Expertin für Desinformation und Verifikation, unterscheidet zum Beispiel sieben verschiedene Arten von Fehl- und Desinformation.

Der Aiwanger-Schnipsel kann in die Kategorie "Falsche Zusammenhänge" eingeordnet werden. Das sind "Informationen, die auf irreführende Weise verwendet werden, um einem Thema oder einem Individuum etwas anzuhängen".

Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen unterscheidet zwischen bewusstem und unabsichtlichem Vorgehen. Bei bewusstem Vorgehen würden die Zitate verdreht oder in einen anderen Zusammenhang gebracht.

"Manchmal werden Zitate auch unabsichtlich aus dem Zusammenhang gerissen, wenn für einen Beitrag nur begrenzt Platz zur Verfügung steht. Durch das Weglassen von wichtigen Sätzen vor und nach einem Zitat kann das alleinstehende Zitat leicht missverständlich wirken", schreibt die Landesanstalt.

Politiker-Aussagen werden immer wieder aus dem Kontext gerissen

Reden oder Aussagen von Politikerinnen und Politikern werden regelmäßig nicht vollständig wiedergegeben. Journalistinnen und Journalisten wählen aus Reden oder Gesprächen beispielsweise oft Zitate aus, die sie in ihre Berichte einfügen. Eine Grundregel beim notwendigen Kürzen und Auswählen ist dabei, dass die Auswahl nicht den Sinn entstellt. Von der journalistischen Praxis zu unterscheiden ist sinnentstellendes Verkürzen, das für Desinformation missbraucht werden kann.

So wurde 2022 über Außenministerin Annalena Baerbock verbreitet, ihr sei egal, was die deutschen Wähler denken würden. Als Beleg sollte ein Video einer Konferenz in Prag dienen. Der #Faktenfuchs zeigte in einem Artikel, wie die gesamte Baerbock-Aussage gekürzt und damit bewusst verfälscht wurde. Auch von anderen Grünen-Politikerinnen und Politikern kursieren Zitate, die teilweise schlicht gefälscht sind, teilweise ohne Kontext zumindest missverständlich wirken können.

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